Chicago. In den Umfragen läuft es gut für sie. Doch es gibt mehrere Felder, auf denen Harris angreifbar ist. Trumps Strategen spekulieren darauf.

Das Spendengeld fließt in Strömen. Die Umfragen verheißen neue Zuversicht. Im Wahlvolk links der Mitte herrscht Aufbruchsstimmung. Die ersten Auftritte mit ihrem neuen Vize-Kandidaten Tim Walz erinnern an die Euphorie der Obama-Jahre. Aber: Eine Garantie für den Sieg von Kamala Harris bei den Präsidentschaftswahlen am 5. November in den USA gegen den republikanischen Herausforderer Donald Trump ist das nicht. Die wirkliche Arbeit für die 59-jährige Demokratin beginnt erst nach dem Parteitag in Chicago. Fünf mögliche Stolpersteine liegen im Weg: 

Die Ausgangslage: Harris hat seit dem Rückzug Joe Bidens die Umfragenlandschaft komplett verändert, das stimmt. Wo der Amtsinhaber Biden national wie auch in sieben mutmaßlich wahlentscheidenden Bundesstaaten (Nevada, Arizona, Georgia, Pennsylvania, Michigan, Wisconsin und North Carolina) konstant und deutlich hinter Trump rangierte, sind die Abstände neutralisiert worden. Vereinzelt liegt Harris sogar vorn. Nimmt man alle seriösen Befragungen derzeit zusammen, bewegt sich aber alles im Rahmen der gängigen Irrtums-Marge. Harris gewinnt seit Tagen einen Nachrichten-Zyklus nach dem anderen, in der unangefochtenen Pole-Position der Meinungsforschung ist sie noch nicht. Trumps Leute sagen voraus, dass Harris‘ „Honeymoon” mit der Wählerschaft im September vorbei sein wird.

Denn: Die Kandidatin bewegt sich bisher in einem schützenden Kokon. Sie gab noch kein einziges Interview. Ihre politische Vision und ihre thematischen Standortwechsel (Todesstrafe, Fracking als Methode der Energiegewinnung etc.) in der Vergangenheit wurden aktuell noch nie in ihrem Beisein öffentlich hinterfragt. Auch ihre Mitverantwortung für den erst kürzlich zurückgegangenen Anstieg bei der illegalen Einwanderung seit Bidens Amtsantritt harrt der Aufarbeitung. Darin steckt Sprengstoff. Für weite Teile des konservativen Amerikas ist Kamala Harris ein liberales Westküsten-Geschöpf, dem die Zukunft von Transgender-Athleten wichtiger ist als die Abmilderung industrieller Strukturreformen, die unter demokratischer Führung Hunderttausenden Amerikanern die wirtschaftliche Existenz genommen haben. Mit diesem Vorurteil in knapp zehn Wochen aufzuräumen, wird nicht leicht.

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Kamala Harris: Fünf Baustellen stehen ihr jetzt im Weg

Die Wirtschaft: Der kurze Börsen-Absturz kürzlich, gepaart mit mickrigen Zahlen bei der Neubeschäftigung und nach wie vor hohen Verbraucherpreisen sowie Kreditzinsen, hat die Sorge vor einer möglichen Rezession verstärkt. Plus-Faktoren wie höhere Löhne, im internationalen Vergleich starkes Post-Corona-Wirtschaftswachstum und eine unter drei Prozent gesunkene Inflation verblassen vor dem Gefühl vieler Amerikaner, dass das tägliche Leben kaum mehr bezahlbar ist. Donald Trump wird in Umfragen beständig häufiger zugetraut, die Wirtschaft besser in den Griff zu kriegen. Harris‘ erster Konter löste zwiespältige Reaktionen aus. Dass sie Steuergutschriften für Familien im ersten Lebensjahr pro Kind auf 6000 Dollar erhöhen und drei Millionen bezahlbare Wohnungen schaffen will, findet Zuspruch. Dass Harris eine Verordnung gegen Preiswucher in der Lebensmittelindustrie ankündigt, hat scharfe Proteste ausgelöst. Republikaner sprechen von „kommunistischer Preiskontrolle”. US-Kommentatoren erkennen eine „populistische Mogelpackung”. Hier gibt es Klärungsbedarf.

Die Wahl-Arithmetik: Kamala Harris hat zwei wichtige Wählergruppen – junge Wählerinnen und Wähler und Afroamerikaner – neu elektrisiert. Beide Segmente hatten die Biden-Präsidentschaft mit Lethargie oder offener Ablehnung begleitet. Ob Harris den Aufwärtstrend in ausreichend Stimmen ummünzen kann, ist noch ungewiss. Dazu kommt: Weiße, schlechter gebildete Arbeiter, die 2008 noch zur großen „Obama-Koalition” zählten, sind nach aktuellem Stand weitgehend an Trump verloren gegangen. Harris muss sie, gemeinsam mit Frauen/Müttern aus den Vorstädten, zurückgewinnen. Schwieriges Unterfangen. Abtreibung als Mobilisierungsthema allein wird nicht reichen.

TV-Debatte mit Trump könnte zum Knackpunkt werden

Der Gegner: Donald Trump ist total in der Defensive. Darum sein rassistisches, frauenfeindliches Umsichschlagen. Weder er noch seine Kampagne haben bisher ein Mittel gefunden, um eine knapp 20 Jahre jüngere, dauerstrahlende Frau und ihren volkstribunhaften Vize-Kandidaten Tim Walz aus der Balance zu werfen. Das muss nicht so bleiben. Trump hat seit 2016 diverse politische Tode (sexistisches Geprahle, Amtsenthebungsversuche, Strafverfahren und zuletzt sogar einen Mordanschlag) überlebt, man darf ihn nie unterschätzen. Mit milliardenschweren Wahlkampf-Geldgebern und „social media”-Giganten wie X-Boss Elon Musk im Rücken kann der Ex-Präsident bis Anfang Oktober wieder die Oberhand gewinnen, wenn er sich diszipliniert verhält. Sollte Trump Harris bei der TV-Debatte am 10. September in Schwierigkeiten bringen, kann der Stern von Kamala Harris schnell sinken. Auch Patzer in Interviews oder Bürgerbefragungen können eine fatale Eigendynamik entfalten.

Die außenpolitischen Unwägbarkeiten: Ein vom Iran angezettelter Krieg gegen Israel oder eine dramatische Verschlechterung der Lage für die Ukraine im Abwehrkrieg gegen Russland kann die latente Unwilligkeit im US-Wahlvolk verstärken, sich weiter geopolitisch zurückzuziehen. Harris ist – weil Vizepräsidentin – gezwungen, die Politik Joe Bidens mitzutragen. Wähler links der Mitte könnten ungehalten reagieren.

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