Krefeld. Im Haus dei Riccio in Krefeld werden Igel aufgepäppelt – in diesem Jahr schon über 750. Warum ein nächtliches Mähroboter-Fahrverbot dem Verein nicht ausreicht.
Sanft wickelt Katharina Kiefer das kleine Stachelbündel in ein Küchenpapier und legt es in ihre Hand. Die Spritze mit der Milch hält sie dem kleinen Igel immer und immer wieder vor die Nase, bis er endlich trinkt. „Der ist zwischen sieben und acht Wochen alt“, schätzt die ehrenamtliche Pflegerin im gelben T-Shirt und mit dunklen, zusammengebundenen Haaren. Das kleine Tier, das in den Händen der 63-Jährigen fast verschwindet, trägt die Nummer 708. Es ist einer der über 750 Igel, die der Verein Casa dei Riccio – Haus der Igel in diesem Jahr aufgenommen hat. Und es werden Tag für Tag mehr.
Der Raum, in dem der Braunbrustigel an diesem Morgen sein Futter bekommt, sei vorher das Empfangszimmer der Igelauffangstation gewesen. „Aber wir haben daraus unsere Babystation gemacht, weil wir in diesem Jahr so viele junge Tiere bekommen haben“, erklärt Pflegerin Ursula Proctor, die seit einem Jahr ehrenamtlich im Verein arbeitet. „Oft kommen die jungen Tiere unterernährt zu uns oder mit Parasiten, weil sie nichts zu fressen finden und dann Schnecken fressen, die befallen sind.“
Igel-Nothilfe warnt: „Schon im Mai die ersten Mähroboter-Opfer“
Doch nicht nur das fehlende Futter in der Natur mache den Wildtieren zu schaffen. „Das größte Problem sind immer noch die Mähroboter, oftmals auch Kantenschneider“, sagt Proctor und zeigt auf ein Tier mit klaffender Schnittwunde im Nacken, das auf dem Behandlungstisch sitzt. „Schon im Mai hatten wir in diesem Jahr die ersten Mäh-Opfer, das hat uns verzweifeln lassen“, erinnert sich Vorsitzende Brigitte Theveßen, die den ehrenamtlichen Verein im Februar 2021 gegründet hat. Seitdem hätten die rund 40 Pflegenden durchgearbeitet, „und der Winter kommt erst noch“.
Auch dieser Tag hat für die Ehrenamtler um 7 Uhr begonnen. Die Frühschicht hat die Boxen sauber gemacht, die Tiere gewogen, behandelt und das Futter vorbereitet. Während es für Nummer 708 gerade noch Igelmilch aus der Spritze gibt, stehen auf dem abendlichen Speiseplan der Pflegetiere Katzenfutter, Rührei, Hähnchen, Trockeninsekten, Honig und gemahlene Eierschalen. Für einige Igel kommt das vielfältige Futterangebot zu spät: „Manchen Tieren kann man nicht mehr helfen, dann geht es darum, sie schmerzfrei sterben zu lassen“, so Tierschützerin Theveßen.
Für die 60 bis 70 Braunbrustigel, die derzeit in der Auffangstation aufgepäppelt werden, steht die Prognose gut. Sie haben sich in großen Plastikkisten unter Zeitungspapier eingerollt oder sitzen – wenn es ihnen besonders schlecht geht – in einem Inkubator, der sie warm hält. Privatpersonen aus dem Umland, die die verletzten oder erkrankten Tiere gefunden haben, haben sie in die Geschäftsstelle nach Krefeld-Hüls gebracht. „Jeden Tag stehen im Schnitt acht Menschen mit neuen Igeln vor der Tür“, schätzt die Vereinsvorsitzende.
Nachtfahrverbot für Mähroboter? Erster Schritt, aber reicht nicht aus
Dass die Stadt Köln kürzlich ein Nachtfahrverbot für Mähroboter erlassen hat, ist für die 61-Jährige zwar ein erster Schritt in die richtige Richtung, doch es müsse noch mehr passieren: „Es gibt zwei Probleme. Einmal das mechanische Einwirken der Menschen mit Mähroboter, Kantenschneider und ähnlichen Gartengeräten und dann der Klimawandel.“
Lebensräume für die Igel würden zerstört, die Artenvielfalt gehe verloren. „So finden die Tiere nichts zu fressen und sind öfter auch tagsüber unterwegs.“ Am liebsten wäre es der Tierschützerin, wenn Mähroboter gar nicht mehr unbeaufsichtigt fahren. Dass das nicht einfach durchzusetzen ist, weiß auch die Vorsitzende. „Es muss aber dringend mehr Aufklärung stattfinden und es braucht mehr Bewusstsein für Lebensräume und Biodiversität.“
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„Die Tiere, die zu uns kommen, sind in einem jämmerlichen Zustand. Und es wird immer schlimmer“, pflichtet Ursula Proctor der 61-Jährigen bei. „Viele wissen gar nicht, wie sie helfen können oder dass ein Laubhaufen und insektenfreundliche Pflanzen beispielsweise zum Leben der Igel beitragen“, so Proctor. „Wenn es so weiter geht wie bisher, sehe ich schwarz. Wir müssen akzeptieren, dass die Igel Schutz brauchen. Seit 2020 stehen sie zwar auf der Vorwarnliste zur Roten Liste und es ist auch ein guter Schritt, dass die Igel nun gezählt werden und der Bestand geprüft wird, aber das reicht nicht. Sie müssen explizit geschützt werden. Und wichtig ist, dass ein Umdenken stattfindet.“
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Ein Wunsch, den auch Pflegerin Katharina Kiefer teilt. Die 63-Jährige hat den kleinen Igel mit der Nummer 708 fertig gefüttert und legt ihn satt in seine Box zurück. Lange dauert es nicht, bis sie sich das nächste Jungtier greift und es in ein Küchenpapier wickelt. Nur noch eine Stunde, dann ist die Frühschicht geschafft und im Casa dei Riccio geht gegen 13 Uhr das Licht aus – „dann müssen die Tiere Ruhe finden und schlafen, bevor am Abend die nächste Fuhre kranker oder verletzter Igel ankommt.“