Kleve. Der Tiergarten Kleve feiert Jubiläum. Martin Polotzek verrät, welche Tiere für einen Besucherboom sorgen und in Zukunft geplant ist.
Ist es vielleicht die künstlerisch begabte Pandadame Kamala oder der gemächliche Baumstachler Bruce, der bizarr aussehende Rüsselspringer, der auf den ersten Blick so gar nichts mit seinem riesengroßen Verwandten, dem Elefanten, gemeinsam hat, sind es die imposanten Trampeltiere oder die quirligen Zweifarbtamarine, die seit gut zwei Jahren für einen regelrechten Besucherboom im Klever Tiergarten sorgen? Diese Frage kann der junge Tiergartenchef Martin Polotzek wohl kaum ganz genau beantworten. Ist auch gar nicht so leicht, schließlich hat der aus Österreich stammende Veterinär den kleinen Zoo seit Januar 2021 nahezu komplett umgekrempelt und wachgeküsst. Ist also kein schlechter Anlass, dem in unmittelbarer Nachbarschaft zu den historischen Klever Gartenanlagen gelegenen Tierpark zu seinem 65. Geburtstag zu gratulieren.
Es waren zwei elternlose Frischlinge, vom Förster im Reichswald gefunden und vor dem Verhungern gerettet, mit denen Ende der 1950er Jahre der Grundstein für den heutigen Tiergarten gelegt wurde, der innerhalb von zehn Jahren mit der Hilfe vieler Freiwilliger entstand. Der Boden wurde vom Land NRW gepachtet, und auf Ackerland wurden Wege angelegt, Bäume gepflanzt und Gehege errichtet. Der Verein Tiergarten Kleve e.V. gründete sich 1959 und ist bei heute Träger des Parks.
Die ersten Bewohner des Klever Tiergartens
Die beiden unfreiwilligen Pioniere aus dem Wald waren die ersten Bewohner des kleinen Tiergeheges. Für die beiden jungen Keiler organisierte der umtriebige Anwalt Dr. Heinz Will, im Übrigen maßgeblich am Wiederaufbau der Klever Schwanenburg nach dem Ende des zweiten Weltkrieges beteiligt, zwei hübsche Bachen. Damals wie heute halfen Privatleute, Unternehmen und die Stadt und unterstützten die Anmietung eines Freigeländes für die Unterbringung der größer werdenden Wildschweinschar sowie die Anschaffung weiterer Tiere. Später kamen Rotwild und Rentiere hinzu. Mufflons, Luchse, Goldfasane und Zwergziegen zogen nach und nach in ihre Gehege ein.
Aufsehen erregte im Sommer 1969 der Einzug zweier Braunbären in den Tiergarten. Ihr Weg per Lkw aus dem Heidelberger Zoo in ihr neues Zuhause wurde in Kleve von begeisterten Menschen gefeiert. Ein Musikzug spielte nur für Ele und Fant, die so hießen, weil elefanten-Schuhfabrikant Hoffmann für ihren Ankauf 5000 Mark spendiert hatte. Viele fleißige Hände hatten den beiden Neu-Klevern einen Zwinger gebaut. 1971 dann kamen Seehunde, 1975 Pinguine dazu. Die Robben blieben bis ins Jahr 2023 und waren die erklärten Publikumslieblinge. Zur täglichen Fütterung füllte sich der Rand ihres Beckens vor allem mit kleinen Besucherinnen und Besuchern. Wegen ihrer nicht artgerechten Haltung in Süßwasser und zu hohen Kosten für eine neue Anlage verließen die Robben Ende letzten Jahres die Stadt.
Tierpark zum Anfassen
Wie die meisten Gebäude und Gehege des Tiergartens wurde auch das Seehundbecken nahezu ausschließlich in ehrenamtlicher Arbeit errichtet. Jahr für Jahr ergänzten und erweiterten die Mitglieder des Tiergartenvereins um ihren Vorsitzenden Heinz Will den Klever Zoo. Mehr als 80.000 Menschen pro Jahr machten ihn zu einer der beliebtesten Freizeiteinrichtungen der Stadt. Neben zahlreichen bedrohten Haustierrassen beherbergt der Klever Tiergarten vom Aussterben bedrohte Wildtierarten wie das Südliche Kugelgürteltier oder den Großen Mara. Heute erstreckt sich das Gelände über eine Fläche von rund sechs Hektar. 1969 stellte der Tiergartenverein mit Wilfried Hermanns seinen ersten festen Mitarbeiter ein. 1996 übernahm Zootierpfleger Dietmar Cornelissen das Ruder. Der Tiergarten wurde Mitglied in verschiedenen Zuchtverbänden für Haustiere. Veranstaltungen wie Schafschurfest oder Herbstfest machten aus dem Klever Zoo einen Tierpark zum Anfassen.
300 Tiere im Tiergarten Kleve
Im Tiergarten sind mehr als 300 Tiere aus 60 verschiedenen Arten beheimatet. Die jährlichen Betriebskosten liegen bei zwei Millionen Euro. Träger des Tiergartens ist der Verein Tiergarten e.V. Seit kurzem bietet er sogenannte Fördermitgliedschaften an. Ein ehrenamtliches Team zur Unterstützung der Mitarbeiter wird derzeit aufgebaut.
Der Tiergarten Kleve liegt an der Tiergartenstraße 74. Öffnungszeiten montags bis sonntags von 9 bis 18 Uhr. Erwachsene zahlen 9,50 Euro, Kinder zwischen zwei und 13 Jahren 7 Euro Eintritt. Für die Montags-Hunde kostet der Tiergarten 3,50 Euro. Alle Tickets können online gebucht werden. Ausführliche Informationen unter www.tiergarten-kleve.de
Alles auf den Prüfstand heißt es seit Anfang 2021. Seitdem leitet Martin Polotzek den Tiergarten, und der 29-Jährige sprüht geradezu vor Ideen, Kreativität und Hartnäckigkeit. Er generiert fast im Halbjahrestakt Fördergelder, akquiriert Spendenwillige, startet Crowdfunding-Aktionen und begeistert sein von 18 auf 33 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter angewachsenes Team. „Ohne sie alle geht es nicht“, ist er dankbar für so viel Unterstützung. Die alles entscheidende Begegnung sich von seiner Heimatstadt Wien an den Niederrhein aufzumachen, habe er vor vier Jahren gehabt, erzählt er gern. „Ich hatte mich auf den Posten des Tiergartenleiters beworben und bin zunächst inkognito durch den Tiergarten gelaufen“, berichtet Polotzek. „Ich wollte mir die Strukturen ansehen und herausfinden, ob und welches Potenzial das Gelände hatte.“ Dabei habe er bei den Lamas einen kleinen Jungen beobachtet, der zunächst etwas ängstlich, dann aber mächtig stolz gewesen sei, die Tiere selbst gefüttert zu haben. „Das war der entscheidende Moment, zu sehen wie nah man den Tieren hier sein kann.“
Modernes Artenschutzzentrum
Polotzek bekam den Job und suchte als erstes das Gespräch mit dem Team des Tiergartens. Ihre Wünsche und Ziele wurden Teil des 2022 veröffentlichten Masterplans, der den Zoo in den kommenden Jahren zu einem modernen Natur- und Artenschutzzentrum entwickeln soll. Entstehen sollen dafür Themenbereiche für teils hoch bedrohte Tiere wie den Roten Panda oder den Mähnenwolf. „Ich bin ein Freund klarer Strukturen“, erklärt Polotzek und „ordnet“ den Tiergarten in die Bereiche Asien, Südamerika, Nordamerika, Afrika, Australien, plant einen Schaubauernhof und eine Anlage für Pinguine. Ihre Rückkehr würde Tiergartengründer Heinz Will († 1978) wahrscheinlich ganz besonders erfreuen.
Im Tiergarten sollen in den nächsten Jahren nach und nach mehr als 40 einzelne Projekte in die Tat umgesetzt werden. So gibt es seit einigen Monaten das himmelblau gestrichene Fischerhaus vom Amazonas. Von dort stammen die seltenen Zweifarbtamarine, die sich hier wie zu Hause fühlen. „Sie gibt es nur in zwei weiteren Zoos in Deutschland,“ weiß der Chef. Gerade erst wurde die begehbare Präriehundeanlage eröffnet. Sechs vierbeinige Nordamerikaner buddeln sich schon seit einigen Tagen durch ihr Gehege, das einer verlassenen Westernstadt nachempfunden ist. Bis zu 50 der putzigen Tiere sollen es bald sein. „Wir wollen eben nicht nur naturnahe Anlagen einrichten, sondern immer auch eine Geschichte erzählen“, erklärt Polotzek. Mittelfristig geplant ist ein Südamerika-Haus, wo bedrohte Arten wie der Greifstachler, Totenkopfaffen, Tapire, freilaufende Faultiere oder Ameisenbären aus nächster Nähe beobachtet werden können. „Die Gespräche dazu werden in Kürze geführt“, verrät er.
Im Klever Tiergarten gibt es seit kurzem einen Hundemontag, an dem Besucher ihren Hund mitbringen dürfen. Neu aufgelegt wurde die Homepage, für den Online-Shop hat der Verein den Eingangsbereich umgerüstet. Ein gut besuchter Abenteuerspielplatz lockt Familien mit Kindern in den Tiergarten. Spezielle Führungen für Schulklassen werden angeboten, Forschungsprojekte und Kooperationen angestoßen. Die Vielzahl der kleinen Maßnahmen zeige, wo der Tiergarten hinwolle, findet der junge Leiter. Der enorme Anstieg der Besucherzahlen in den vergangenen beiden Jahren auf zuletzt mehr als 140.000 Gäste zeigt, dass das Konzept aufgeht und Erwachsene wie Kinder gleichermaßen anspricht. Und weil der Einfallsreichtum des 29-Jährigen kaum zu bremsen ist, brachte er von einer Fachtagung in Helsinki die China Lights nach Kleve. In nur sechs Wochen bescherten die eindrucksvollen Lichtinstallationen im Tiergarten dem Zoo und der Stadt mal eben weitere 60.000 Besucherinnen und Besucher.