Mülheim. Nachlasspfleger arbeiten sich durch die Privatsphäre Verstorbener. Wieso sie das tun und warum böse Überraschungen dabei nicht selten sind.

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  • In unklaren Erbfällen machen sich Nachlasspfleger auf die Suche nach Hinterbliebenen.
  • Messie-Wohnungen, aber auch skurrile Funde gehören zum Alltag der Experten.
  • Zwei Mülheimer Nachlasspfleger berichten von unschönen Überraschungen und ihren Beweggründen.

Nachlasspfleger kommen immer dann ins Spiel, wenn nach dem Tod eines Menschen nicht klar ist, ob es noch Angehörige – und damit potenzielle Erben – gibt. Sie ordnen und sichern das, was der oder die Verstorbene zurücklässt. Und das, sagt Thomas Bückmann, „ist nicht immer eine schöne Sache“. Der Mülheimer Rechtsanwalt und Fachanwalt für Insolvenzrecht übernimmt seit 20 Jahren Nachlasspflegschaften im Ruhrgebiet.

Die vermüllte Wohnung eines psychisch Kranken, stinkende Autos voller abgelaufener Lebensmittel vor dem Haus eines einsam Verstorbenen, fünf Pferde inmitten eines handfesten Erbstreites: Die Arbeit als Nachlasspfleger scheint alles andere als langweilig. Vor allem aber ist sie oft langwierig, akribisch und kompliziert.

Nachlasspfleger in Mülheim: Jemand muss Alarm schlagen

Damit ein Nachlasspfleger überhaupt erst zum Einsatz kommen kann, muss jedoch jemand Alarm schlagen. „Das Ordnungsamt beispielsweise“, sagt Rechtsanwältin Katrin Stamm aus der Kanzlei Bückmann, „meistens aber der Vermieter“.

Denn ein Mietvertrag endet nicht automatisch, wenn jemand stirbt. Kümmern sich dann keine Angehörigen um die weiteren Abläufe, um die Kündigungen aller Verträge, um das Ausräumen der Wohnung, steht der Vermieter vor einem handfesten Problem. Stamm: „Er kann die Wohnung nicht weitervermieten, bleibt meist auf der Miete sitzen – und hat es im schlimmsten Fall mit einer komplett vermüllten Wohnung zu tun. Über das Nachlassgericht kann er eine Nachlasspflegschaft beantragen. Und wir versuchen, herauszufinden, ob es noch Erben gibt.“  

Messie-Wohnungen sind längst Alltag

Nachlasspfleger in Mülheim
Die Mülheimer Rechtsanwälte Thomas Bückmann und Katrin Stamm arbeiten sich als Nachlasspfleger durch das Vermächtnis Verstorbener. © FUNKE Foto Services | Christoph Wojtyczka

Für Bückmann und Stamm startet dann alles mit einer zentralen Frage: Gibt es irgendwo einen Schlüssel zur Wohnung? Katrin Stamm: „Meist bekommen wir den übers Ordnungsamt, aber manchmal ist es recht schwierig, vor allem, wenn wir es mit kleinen, privaten Vermietern irgendwo im Land zu tun haben, die nur schwer zu erreichen sind. Aber bislang habe ich noch jeden Schlüssel auftreiben können.“

Die nächste Hürde ist dann meist die Wohnung selbst. „Natürlich gehen wir auch in vollkommen normale Wohnungen, die aufgeräumt sind und sauber. Aber man muss einfach auch sehen, dass wir meist dann gebraucht werden, wenn jemand einsam gestorben ist, sich also wahrscheinlich schon lange niemand mehr um die Person gekümmert hat oder sich derjenige abgeschottet hat“, sagt Bückmann. In der Folge erwartet die Nachlasspfleger mitunter die ein oder andere schlechte Überraschung. Eine komplett verdreckte Messie-Wohnung sei da vielfach noch das geringste Übel.

Erster Fall für den Mülheimer: Selbstmord in der Badewanne

Oft, sagt Stamm, könne man beispielsweise noch sehr genau erkennen, wo derjenige in der Wohnung gestorben sei. „Bei meinem allerersten Fall“, erinnert sich Bückmann, „hatte sich jemand in der Badewanne umgebracht. Der Körper war natürlich nicht mehr da, als ich gekommen bin. Aber niemand hatte das Wasser in der Wanne abgelassen. Der Gestank war furchtbar.“

Was dann kommt, umschreibt der Anwalt mit dem Begriff „Detektivarbeit“ – für ihn das Spannende an dieser Aufgabe: „Das hat auch etwas mit Neugierde zu tun. Wir wühlen uns durch das Leben dieser Menschen, indem wir ihre Unterlagen sichten, die Eigentumsverhältnisse durchgehen, immer irgendwie versuchen, noch Angehörige zu finden. Wir dringen quasi in ihre Geheimnisse vor.“

Überraschungsfunde: Nazis-Devotionalien, Sprengstoff, Waffen

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Und die sind mitunter erschreckend. „Wir haben schon Devotionalien aus dem Zweiten Weltkrieg gefunden oder ein ganzes Waffenarsenal inklusive Maschinenpistolen, die die Polizei dann mit einem Lkw abholen musste. Nicht zu sprechen von Pornografie in jedweder Form.“ Katrin Stamm sah sich tatsächlich schon mit einem heimlichen Bombenbauer konfrontiert, der Sprengstoff gelagert hatte – „in einem Holzhaus und über der Wohnung einer Familie mit Kind, das war erschütternd“.

Warum tut man sich das an? Weil es, sagt die Rechtsanwältin, auch darum gehe, Ordnung in das Leben eines Verstorbenen zu bringen, ein letzter Dienst gewissermaßen. Und nicht zuletzt, ergänzt Bückmann, habe die Arbeit auch mit dem Ehrgeiz zu tun, vielleicht doch noch jemanden aus der Familie zu finden, selbst wenn dafür Archive durchsucht und Stammbäume gewälzt werden müssen.

Gier statt Dank – auch das ist Alltag für die Mülheimer Experten

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„Und wenn man es dann tatsächlich schafft, jemanden zu finden, und man kann ihm kurz vor Weihnachten mitteilen, dass er 100.000 Euro geerbt hat, dann ist das ein tolles Gefühl“, versichert Bückmann – und ergänzt sofort: „Sofern man dann nicht zu hören bekommt, dass da doch eigentlich noch viel mehr sein müsste“.

Denn auch Ärger mit möglichen Hinterbliebenen ist nicht unüblich. Bückmann: „Es kann sein, dass wir jemanden finden und derjenige das Erbe ausschlägt, weil er Angst hat, Schulden zu erben. Wenn sich dann doch Vermögenswerte finden, möchten manche das dann irgendwie wieder rückgängig machen.“ Und manchmal stelle sich auch heraus, dass die ansonsten eher abwesende Verwandtschaft heimlich in der Wohnung war, um Wertgegenstände mitzunehmen, die es dann wieder abzugeben gelte. „Und da werden wir auch schon mal angeschrien.“

Mülheimer Nachlasspfleger: Manchmal geht es um Millionen

Schließlich besteht eine Aufgabe der Nachlasspfleger auch darin, zu schauen, was sich im Nachlass noch zu Geld machen lässt, um eine Entrümpelung und offene Forderungen bezahlen zu können. Auch die Kosten für die Arbeit von Bückmann und Stamm werden aus dem Nachlass bestritten, abhängig von den jeweiligen Vermögenswerten. Ist beim Verstorbenen nichts mehr zu holen, kommt der Staat für die Arbeit der Anwälte auf.

Einsamkeit im Tod beobachtet der Mülheimer Nachlasspfleger Thomas Bückmann immer öfter.
Einsamkeit im Tod beobachtet der Mülheimer Nachlasspfleger Thomas Bückmann immer öfter. © dpa | Arne Dedert

Gut 300 Fälle kommen jährlich auf den Tisch der Mülheimer Kanzlei. Der vielleicht aufwendigste der jüngsten Zeit führte gar bis nach Indien. Bückmann: „Gut eine Millionen Euro konnten wir dort an die Familie eines indischstämmigen Arztes übergeben.“ Gedauert habe das ganze Verfahren allerdings zwei oder drei Jahre. „Das war mitten in der Pandemie und allein die Terminvergabe beim deutschen Botschafter in Indien hat uns ein halbes Jahr gekostet.“

Immer mehr Menschen in Mülheim sterben einsam

300 Fälle. 300 Schicksale. 300 einsame Tode. Und künftig, resümiert Bückmann, könnten das durchaus noch mehr werden. „Ich habe tatsächlich das Gefühl, als würden immer mehr Menschen einsam sterben, weil sie ihren Verwandten vollkommen egal sind.“ Ein gesellschaftliches Problem, sagt der Mülheimer Anwalt, vielleicht sogar ein typisch deutsches. „Ich kann die genauen Ursachen nicht benennen, aber wir haben so gut wie keine Fälle, in denen ein Migrationshintergrund eine Rolle spielt.“ Vielleicht, so seine Vermutung, hänge das auch mit einem anderen Anspruch an den Familienbegriff in anderen Kulturen zusammen.

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