Mülheim. Einsam, allein und sozial isoliert: Ein Mülheimer Projekt will Betroffenen helfen und vorbeugend aktiv werden. Die Lösung ist oft ganz einfach.

Die Sonne scheint, der Himmel ist blau – ein perfekter Tag für einen Spaziergang. Alleine? Das muss nicht sein. Seit einigen Jahren organisiert die Seniorenberatung der Stadt Mülheim zusammen mit der Pflege Behmenburg regelmäßig Ausflüge. Die Dauer beträgt ein bis zwei Stunden. Das Tempo ist gemütlich. Das Angebot richte sich aber nicht nur an Senioren. Ob mit Rollstuhl oder Kinderwagen – alle sind willkommen.

Wenn Menschen zusammenkommen, kann ein Austausch stattfinden. Die Spaziergänge sind eben nicht nur eine körperliche, sondern auch eine soziale Aktivität. Sich bewegen, auf andere Gedanken kommen. Ungern wird über Einsamkeit im Alter gesprochen, scheint es. Die Lösung könnte ein Spaziergang sein. Was am schwersten fällt: Der erste Schritt.

Spazierangebot in Mülheim: Einsamkeit ist eine Sache der Einstellung

Für viele Menschen, wie Hubert Engelskirchen und Sylvia Kladeck, ist Einsamkeit eine Frage der Einstellung. „Es erfordert Mut“, so Sylvia Kladeck. Doch Mut alleine reicht nicht immer, wie die Diplom-Pädagogin und Mitarbeiterin im Bereich der Sozialarbeit bei Pflege Behmenburg Svenja Ester erklärt: Einsamkeit habe oft tiefere Ursachen. „Ältere Menschen merken nicht, wie der Abbau fortschreitet, wenn sie sich nicht aktivieren. Ohne soziale Kontakte fehlt auch die Motivation, sich zu bewegen oder gesund zu essen“, so Svenja Ester.

„Ich wusste damals sofort, dass wenn ich mich nicht selbst bemühe, dass ich alleine sein werde.“

Silvia Kladeck
Rentnerin

Einsamkeit im Alter entsteht häufig durch einen Verlust, wie den Tod eines nahestehenden Menschen. Besonders abends, wenn Routinen wegfallen und Ablenkung fehlt, wird das Gefühl spürbar. Sich die Einsamkeit eingestehen, fällt schwer. „Was einsam? Nein, ich bin nicht einsam! Nur manchmal, abends, da bin ich alleine. Das ist ja was ganz anderes“, sagt Hubert Engelskirchen. Man möchte eben niemandem zur Last fallen oder stören. Viele ältere Menschen empfinden ihr Alleinsein nicht zwangsläufig als negativ – es ist oft ein Zustand, den sie akzeptieren.

Je älter man wird, umso schwerer sei es, neue Kontakte zu knüpfen, weiß Svenja Ester. Oft fehlt die Kraft und Energie. „Ich wusste damals sofort, dass wenn ich mich nicht selbst bemühe, dass ich alleine sein werde“, bestätigt Silvia Kladeck. Viele ältere Menschen bleiben in gewohnten Mustern und Routinen gefangen. Diese bieten einerseits Sicherheit, andererseits erschweren sie die Offenheit für Neues. Oft braucht es gezielte Angebote und Ermutigung, um Muster zu durchbrechen. Diese erreichen aber bei weitem nicht alle.

Mülheimer zeigen Wege aus der sozialen Isolation auf

Bewegung an der frischen Luft hilft. Hubert Engelskirchen und Sylvia Kladeck beim Spaziergang in Mülheim-Raadt.
Bewegung an der frischen Luft hilft. Hubert Engelskirchen und Sylvia Kladeck beim Spaziergang in Mülheim-Raadt. © Tamara Tadsen

Für viele ältere Menschen ist die Schwelle, sich einem Spaziergang anzuschließen, hoch. Sie befürchten, andere aufzuhalten oder fühlen sich durch körperliche Einschränkungen unsicher. „Früher hat uns noch eine ältere Dame regelmäßig begleitet, aber sie kommt nicht mehr, aus Angst, die Gruppe aufzuhalten. Sie ist auf eine Gehhilfe angewiesen und braucht viele Pausen“, so Svenja Ester.

Dabei sind die Spaziergänge speziell auf die Bedürfnisse älterer Menschen abgestimmt. „Wir nehmen uns die Zeit, die jeder braucht“, erklärt sie. Es werden regelmäßige Pausen eingelegt, und das Tempo wird so angepasst, dass niemand zurückbleibt. Man wählt asphaltierte, möglichst gerade Routen. Unterwegs bleibt die Gruppe immer wieder stehen, um die Umgebung bewusst wahrzunehmen. Sei es die Natur, Tiere oder kleine Details am Wegesrand. Dabei wird viel geredet.

Auch interessant

Alleinsein: Der erste Schritt ist, den ersten Schritt zu machen

Doch wie könne man Menschen erreichen, die sich einsam fühlen? Ein Lösungsansatz liegt in der Nachbarschaft. „Wir wissen zu wenig voneinander“, gibt die Leiterin zu. In Alters- und Pflegeheimen könne man besser über die Angebote informieren. Gerade ältere Menschen, die alleine wohnen, seien deswegen schwieriger zu erreichen. „Häufig besteht auch kein Zugang zum Internet.“ Ein Austausch oder Gespräch unter Nachbarn könne die Möglichkeit schaffen, über die Spaziergänge zu informieren.

Auch wenn aktuell vorwiegend ältere Menschen an den Spaziergängen teilnehmen, sollen sich auch andere Generationen von dem Angebot angesprochen fühlen. „Die Menschen blühen auf, wenn sie miteinander sprechen und Zeit verbringen“, so Svenja Ester. Zum einen könnten dadurch Vorurteile aufgebrochen werden, aber auch ein besserer Austausch zwischen den Generationen stattfinden, meint Hubert Engelskirchen.

Für alle Generationen – gemeinsame Erlebnisse in Mülheimer Stadtteilen

Senior woman walking with granddaughter in park during autumn
Etwas für alt und jung: In Mülheim gibt es in vielen Stadtteilen Gruppen, die sich für einen Spaziergang treffen. © Getty Images/iStockphoto | Ridofranz

Einsamkeit ist eine Herausforderung, die nicht nur individuelle Anstrengungen, sondern auch Gemeinschaftsinitiativen erfordert. Ein Spaziergang mit Sylvia Kladeck und Hubert Engelskirchen zeigt, dass es möglich ist, etwas gegen das Gefühl zu tun. Der erste Schritt? Einfach mitmachen und mutig sein.

Spaziergangsgruppe Dümpten: 1. Dienstag im Monat, 15 Uhr Treffpunkt: Endhaltestelle der Straßenbahnlinie 102 3. Dienstag im Monat, 11 Uhr, Treffpunkt: Sparkasse an der Oberheidstraße, Ansprechpartner: Holger Förster, Tel. 0208 455 5059

Spaziergangsgruppe Styrum: 1. Donnerstag im Monat, 14 Uhr Treffpunkt: Feldmann-Stiftung, Augustastraße 108–114 Ansprechpartner: Holger Förster, Tel. 0208 455 5059

Spaziergangsgruppe Stadtmitte: 4. Mittwoch im Monat, 15 Uhr Treffpunkt: Fielmann Forum Ansprechpartnerin: Ragnhild Geck, Tel. 0208 455 5007

Spaziergangsgruppe Raadt: letzter Freitag im Monat, 11 Uhr Treffpunkt: Pflege Behmenburg, Brunshofstraße 6–8 Ansprechpartnerin: Svenja Ester, Tel. 0208 493066

Spaziergangsgruppe Heißen: 4. Dienstag im Monat, 15 Uhr Treffpunkt: Quartierspunkt Heißen-Süd, Kleiststraße 20 Ansprechpartnerin: Anna Schewerda, Tel. 0208 45002 409

Gesellschaft in Mülheim - Lesen Sie hier mehr:

Bleiben Sie in Mülheim auf dem Laufenden!

>> Alle Nachrichten aus Mülheim lesen Sie hier. +++ Abonnieren Sie kostenlos unseren Newsletter per Mail oder Whatsapp! +++ Hier kommen Sie zu unseren Schwerpunktseiten Wohnen, Gastronomie, Handel/Einkaufen und Blaulicht. +++ Zu unserem Freizeitkalender geht es hier. Legen Sie sich doch einen Favoriten-Link an, um kein Event zu verpassen! +++ Lokale Nachrichten direkt auf dem Smartphone: Laden Sie sich unsere News-App herunter (Android-VersionApple-Version).