Moers. Der ehemaligen AfD-Fraktion in Moers folgen auf Facebook rund 3270 Menschen. In mehreren Beiträgen gibt es Ungereimtheiten. Eine Analyse.

Über politische Entwicklungen informieren, Missstände aufzeigen, für den eigenen Standpunkt Werbung machen: Soziale Netzwerke sind mittlerweile in der Politik nicht mehr wegzudenken. Große und kleine Parteien nutzen Facebook, TikTok und Co., um ihre eigenen Ansichten und Werte zu verbreiten. Auch die Freie Fraktion Moers (ehemals AfD-Fraktion) ist hier unterwegs, der Facebook-Seite folgen rund 3270 Menschen. Die Fraktion besteht aus den Ratsherren Renatus Rieger und Holger Raumann, Fraktionsgeschäftsführerin ist Daniela van Meegeren.

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Nicht immer entsprechen Beiträge in sozialen Netzwerken der Wahrheit. Auf Facebook können Informationen ungefiltert verbreitet werden. Auch bei der Freien Fraktion Moers gibt es Ungereimtheiten. Die Redaktion hat sich drei Beiträge genauer angeschaut – und einen Faktencheck vollzogen. Ratsherr Renatus Rieger hat zu den Ergebnissen Stellung bezogen.

Facebook-Post vom 25. August 2024: Kundgebung vor einer Kirche in Nürnberg

Am 25. August, zwischen mehreren Beiträgen mit Bezug zum Anschlag in Solingen, teilte die Freie Fraktion Moers ein Video, das mutmaßlich eine Kundgebung vor einer Kirche zeigt. Menschen halten schwarze Flaggen mit weißen Schriftzeichen hoch, außerdem ist Musik in nicht deutscher Sprache zu hören. Woher das Video stammt, gibt die Fraktion nicht an. Im Video selbst ist der Schriftzug „Bienvenue à“, also „Willkommen in“ zu lesen. Die Fraktion schreibt dazu: „Der Islamische Staat? Nein, das ist nicht in Moers. Aber das, was da heute vor der St. Lorenzkirche in Nürnberg, einer evangelischen Kirche, geschwenkt wurde, sah schon sehr wie die Flagge des Islamischen Staates aus.“ Und weiter: „Das könnte durchaus bald so auch in Moers aussehen.“ Worauf diese Mutmaßung fußt, erklärt die Fraktion indes nicht.

Der Facebook-Auftritt der
Der Facebook-Auftritt der "Freien Fraktion Moers". © NRZ | pws

„Die Mitglieder dieser Kirchengemeinde, so heißt es, seien Verfechter von Multikulti und hätten rotgrüne Gesinnung. Das würde uns nicht wundern, denn das entspricht dem generellen Trend bei den deutschen Protestanten.“ Auch hier erklärt die Fraktion nicht, woher sie diese Informationen hat. Das zuständige Polizeipräsidium Mittelfranken erläutert auf Anfrage der Redaktion, was auf dem Video zu sehen ist. „Es handelte sich hierbei um eine bei der Versammlungsbehörde der Stadt Nürnberg ordnungsgemäß angemeldete Versammlung. In der Spitze nahmen daran rund 50 Personen teil“, sagt Polizeisprecher Christian Seiler. Die „friedliche“ und „ohne Zwischenfälle“ abgelaufene Versammlung stand zudem in keinem Zusammenhang mit den Ereignissen in Solingen. Seiler: „Sie findet regelmäßig zum Gedenken an die zwölf getöteten Imame der schiitischen Religionsströmung Islam (auch Zwölfer-Schia genannt) statt. Die gezeigten Flaggen zeigen die Namen der verstorbenen Imame.“

Freie Fraktion Moers nimmt Stellung zum geteilten Video

Renatus Rieger teilt mit, dass niemals behauptet wurde, dass auf dem Video definitiv eine IS-Flagge zu erkennen ist. Aber: „Schon die der IS-Flagge ähnliche Flagge ist schließlich schlimm genug.“ Das Video stamme von „X“ (ehemals Twitter), die Kirchengemeinde habe laut Rieger in der Vergangenheit „politisch missliebige Demonstrationen“ unmöglich gemacht. „Das hätten sie rein rechtlich tun dürfen, haben das in diesem Fall aber nicht getan. Sie haben die Demonstranten auch nicht freundlich dazu aufgefordert, eine Flagge, die der des IS zum Verwechseln ähnlichsieht, nicht zu schwenken.“ Laut Rieger liege eine Vermutung nahe, dass die Gruppierung bewusst Flaggen gewählt hat, die eine Verwechslungsgefahr befördern.

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Dass „sowas auch in Moers möglich wäre“, erklärt der Ratsherr so: „Die Hälfte der aus muslimischen Ländern nach Moers eingewanderten Menschen kommen aus arabischen Ländern. Im benachbarten Dinslaken hatten wir bereits mit dem Islamischen Staat zusammenhängende Vorfälle. Es wird Zeit, dass wir auch in Moers auf die Neu-Moerser mit arabischen Wurzeln zugehen, um solche Entwicklungen zu verhindern.“ Laut Rieger gebe es durchaus „gebildete“ und „gutwillige“ Menschen, die „uns in dieser Aufgabe unterstützen. „Gegen von Ankara geleitete Vertreter der DITIB hilft jedoch aus unserer Sicht nur eine ‚Brandmauer‘.“

Facebook-Post vom 24. August 2024: Ukraine-Kundgebung in Moers

Am 24. August postete die Fraktion Bilder von der Ukraine-Kundgebung, die am selben Tag in der Moerser Innenstadt stattfand. Hintergrund war der Unabhängigkeitstag der Ukraine. Die Fraktion schreibt unter anderem: „Die Demo verlief wohl friedlich und ohne Zwischenfälle. Das ist insofern bemerkenswert, da es in Moers auch eine nicht unbedeutende Anzahl russisch-stämmiger Mitbürger gibt, die möglicherweise ganz anderer Ansicht sind.“ Woher die Fraktion diese Informationen hat, wird nicht genauer erläutert.

Facebook-Beiträge der „Freien Fraktion Moers“ befassen sich auch mit der Ukraine (Symbolfoto).
Facebook-Beiträge der „Freien Fraktion Moers“ befassen sich auch mit der Ukraine (Symbolfoto). © FUNKE Foto Services | Lars Fröhlich

Auch in einem Beitrag vom 25. August schreibt die Fraktion, dass es in Moers „unzählige russische Putin-Sympathisanten“ gebe. Stadtsprecher Klaus Janczyk erklärt auf Anfrage der Redaktion, dass in Moers aktuell 239 Bürgerinnen und Bürger mit der Staatsangehörigkeit „Russische Föderation“ leben. Zum Stichtag 31. Dezember 2023 lebten in Moers insgesamt 108.636 Menschen. Heißt: Der Anteil der Mitbürgerinnen und Mitbürger mit russischer Staatsangehörigkeit beträgt 0,22 Prozent.

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Dass es „unzählige Putin-Sympathisanten“ gibt, ist für Renatus Rieger ein Fakt. Besonders bei Parteien wie der AfD und dem Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) seien diese zu finden. „Innerhalb der AfD sind die Sympathien besonders stark bei den sogenannten ‚Russlanddeutschen‘ unter Eugen Schmidt festzustellen. Schmidts Wahlkreis liegt gerade 65 km von Moers entfernt. Sein Einfluss reicht jedoch bis nach Moers.“ Die Angabe von 0,22 Prozent mit russischer Staatsangehörigkeit ist für Rieger zudem nicht repräsentativ: „Das sind diejenigen, die offiziell einen russischen Pass haben. Die meisten Mitbürger aus der ehemaligen Sowjetunion haben jedoch einen deutschen Pass. Diese Moerser mit Migrationshintergrund aus Russland und der ehemaligen Sowjetunion müssen hinzugezählt werden“, sagt er, ohne es weiter zu belegen.

Facebook-Post vom 14. August 2024: Beflaggung am Moerser Rathaus

Um die Fahnen am Moerser Rathaus ging es in einem Beitrag am 14. August. Der Titel: „Partnerstadtfahne verstecken?“. Die Fraktion schreibt, dass die Israel-Fahne in Moers im vergangenen Jahr nach dem 7. Oktober beschädigt wurde. „Nach unserem Antrag hin (...) hatte der Bürgermeister die Fahne nachts und am Wochenende abnehmen lassen. Jetzt ist sie durch eine Fahne der Partnerstadt Ramla, Israel ersetzt worden. Diese Fahne wird auch nachts abgenommen. So will man verhindern, dass die Partnerstadtfahne verschwindet oder beschädigt wird. Ist das nicht alles traurig?“, steht in dem Beitrag. Darunter zwei Fotos: Das eine zeigt drei Fahnenstangen vor dem Rathaus, eine ohne Fahne, eine mit Deutschlandfahne sowie eine mit NRW-Fahne. Das rechte Foto zeigt die Fahne der Partnerstadt in Israel, eine Ukraine-Fahne sowie die Fahne mit dem Wappen von Moers.

Die Israel-Flagge am Moerser Rathaus wurde im Oktober 2023 beschädigt.
Die Israel-Flagge am Moerser Rathaus wurde im Oktober 2023 beschädigt. © NRZ | M. Alfringhaus

Stadtsprecher Klaus Janczyk erklärt dazu: „Das Hissen der Israel-Flagge ist damals auf Bestreben des Bürgermeisters geschehen, um ein Zeichen der Solidarität mit der Partnerstadt Ramla nach dem 7. Oktober zu zeigen, was der Fraktion damals mitgeteilt wurde.“ Richtig sei aber: Einen entsprechenden Antrag gab es, dieser habe sich mit dem Bestreben des Bürgermeisters „etwas überschnitten“. Dass das Abnehmen der Fahne als Reaktion auf einen Antrag passiert, kann der Sprecher hingegen nicht bestätigen. „Abgenommen wurde die Flagge ebenfalls auf eigene Veranlassung, da es zweimal Vandalismusschäden gab.“ In einem Kommentar unter dem Beitrag der Freien Fraktion fragt eine Nutzerin zudem, wer entscheidet, welche Flagge gehisst wird. Die Fraktion antwortet darauf, dass der Bürgermeister der Ansicht sei, „dass er das entscheiden kann und er nicht den Rat der Stadt dazu befragen muss.“

„Das Hissen der Israel-Flagge ist damals auf Bestreben des Bürgermeisters geschehen, um ein Zeichen der Solidarität mit der Partnerstadt Ramla nach dem 7. Oktober zu zeigen, was der Fraktion damals mitgeteilt wurde.“

Klaus Janczyk, Sprecher der Stadt Moers

Von einer „Ansicht“ kann hier kaum die Rede sein. „Die Rechtsgrundlagen für das Hissen hoheitlicher und nicht hoheitlicher Flaggen ist im Gesetz über das öffentliche Flaggen NRW geregelt“, erklärt Janczyk. Im Gesetz heißt es dazu: „Die Dienststellen der Gemeinden und Gemeindeverbände sowie der Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts können auf eigene Entschließung flaggen, wenn sie eine öffentliche Beflaggung für erforderlich halten.“ Die Verwaltungsvorschrift zum Gesetz über das öffentliche Flaggen mit Runderlass des Innenministeriums vom 15. Dezember 2005 regele zudem weitere Einzelheiten: „Die Gemeinden und Gemeindeverbände sowie die Körperschaften und Anstalten des öffentlichen Rechts können aus eigener Entscheidung flaggen, wenn dies aus örtlicher Veranlassung geboten oder wünschenswert erscheint. Soll wegen einer örtlichen Veranstaltung geflaggt werden, so ist darauf zu achten, dass die Beflaggung nicht als Parteinahme in politischen Fragen gedeutet werden kann.“

Flaggen am Moerser Rathaus: Bürgermeister kann in den meisten Fällen entscheiden

Heißt konkret: Bürgermeister Christoph Fleischhauer konnte beispielsweise entscheiden, in der Vergangenheit die Regenbogenflagge zu hissen - oder eben auch die Israel- bzw. Ramla-Flagge als Solidaritätsbekundung für die Partnerstadt. Janczyk: „Weitere Beispiele, an denen der Bürgermeister auf eigene Entscheidung hissen darf, wären wie gesagt die Flaggen der Partnerstädte und ihrer jeweiligen Länder, moers festival, Mayors for Peace, Internationaler Tag der Geflüchteten oder Equal Pay Day. Der Rat kann natürlich auch zu den freiwilligen Beflaggungen Anträge stellen.“ Ausnahmen: Die Bundes-, EU- und NRW-Flaggen. Hier regelt die Beflaggungsverordnung NRW die Tage, an denen verpflichtend und einheitlich geflaggt wird. „Da gibt es regelmäßige Beflaggungstage, wie den 27. Januar als Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus oder den Tag der Deutschen Einheit, die den Städten bekannt sind. Auch zu Wahlen sind Beflaggungen angeordnet. Bei kurzfristigen Beflaggungen informiert die jeweilige Bezirksregierung bzw. das Land NRW die Kommunen, wie zum Beispiel bei Trauerbeflaggungen“, so der Stadtsprecher.

Auf die Frage, ob die Fraktion die gesetzliche Regelung kennt, antwortet Rieger: „Wir hätten uns gewünscht, wenn weiterhin die Israel-Flagge hängen würde und nicht nur die Partnerschaftsflagge. Das wäre ein deutlicheres Zeichen unserer Solidarität mit Israel. Der Bürgermeister hatte bei einer Diskussion im Rat der Stadt geäußert, dass er das Recht habe, zu bestimmen, welche Flaggen gehisst werden. Es kam trotzdem meiner Erinnerung nach zu einer Ratsentscheidung – zumindest hinsichtlich der Flagge der Ukraine.“