Kreis Wesel. Weniger Azubis möchten mit Fleisch arbeiten. Kunden spüren den Fachkräftemangel an der Frischetheke. Gibt es künftig nur noch Abgepacktes?
Unangenehme Überraschung im Supermarkt des Vertrauens: Die Frischtheke für Fleisch ist plötzlich geschlossen, zur Auswahl steht Abgepacktes. Gefüllte Braten, vorgewürzte Mischungen und der besondere Tipp der Fachverkäuferin – ist das bald Geschichte im Lebensmitteleinzelhandel?
Doris Lewitzky ist Geschäftsführerin des Einzelhandelsverband Niederrhein und mit dem Thema vertraut. „Es gibt schon länger Probleme, Fleischtheken durchgehend zu besetzen“, sagt sie. „Manche öffnen nur zu bestimmten Tagen, manche sind stundenweise geschlossen, es gibt häufig Schilder, dass sich Kunden auf längere Wartezeiten einstellen müssen.“ Den Lebensmitteleinzelhändlern fällt es aktuell schwer, Stellen im Frischebereich nachzubesetzen, Engpässe durch Krankheit und Urlaub können kaum noch abgefangen werden. „Unserer Erfahrung nach sind diese Berufe nicht der erste Wunsch von Auszubildenden“, sagt Lewitzky bedauernd. Unter den jungen Menschen gebe es immer mehr Vegetarier und Veganer, „deren berufliches Ziel ist nicht der Umgang mit Fleisch“. Das werde den Einzelhandel begleiten, und ja: „Es führt zu einer geringeren Auswahl für die Kunden.“
Auszubildende stehen nicht Schlange. Manche entdecken den Bereich aber für sich
Pascal Lurvink betreibt drei Edeka-Märkte, zwei in Xanten und einen in Wesel, zudem ist er Mitglied der Fleischerinnung. Er bestätigt auf Anfrage, dass es nicht mehr so einfach ist, Personal für diesen Bereich zu finden. Früher, so Lurvink, seien viele bereits ausgebildete Metzger zum Lebensmitteleinzelhandel gewechselt, heute gebe es Probleme, den Nachwuchs zu sichern. „Es gibt immer weniger Metzgereien im Kreis Wesel, viele haben geschlossen“, sagt der Lebensmitteleinzelhändler. Klar, er bilde auch selbst aus, aber: „Die Bewerber stehen nicht gerade Schlange.“
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Pascal Lurvink bleibt dennoch zuversichtlich, dass die Frischetheke im Supermarkt Zukunft hat. Wer als Kaufmann oder Kauffrau im Einzelhandel seine Ausbildung absolviert, hat auch ein paar Tage oder Wochen die Frischetheke/Fleischerei als Pflichtstation, anfangs sei das eher unbeliebt. „Dann merken viele plötzlich, dass sie die Arbeit doch mögen, weil sie kreativ ist. Sie können etwas mit Lebensmitteln machen, Dips oder Frischkäse herstellen, Fleischtaschen zum Grillen füllen“, so seine Erfahrung. Das sei etwas anderes als fertige Waren einzusortieren, man könne sich mehr einbringen. „Die Veredelung der angelieferten Ware finden etliche dann nicht so schlecht.“ So gibt es noch Nachwuchs, wenn auch auf Umwegen. Engpässe habe es mitunter gegeben, als mehrere Kollegen krank waren beispielsweise, da musste die Fleischtheke schonmal eine Stunde früher als sonst schließen. Das habe sich aber wieder entspannt.
Die Nachfrage junger Leute bei der Agentur für Arbeit ist gering
Wie sich die Lage weiter entwickelt, ist aktuell unklar. Die Zahlen der Agentur für Arbeit sprechen eine deutliche Sprache: Von Oktober 2023 bis Juli 2024 wurden für den Kreis Wesel demnach 22 Ausbildungsstellen für den Beruf Fleischer oder Fleischerin gemeldet, fünf weniger als im Vorjahreszeitraum. Davon sind 15 noch immer nicht besetzt. Im Bereich Fachverkäufer/in Lebensmittelhandwerk Fleischerei meldeten die Arbeitgeber 32 Ausbildungsplätze, aktuell sind noch 21 davon zu haben.
Aus eigenem Antrieb haben sich nur ein oder zwei Interessierte für eine Ausbildungsstelle in der Fleischerei bei der Berufsberatung gemeldet, genauer darf die Agentur aus Datenschutzgründen nicht werden, offiziell heißt es „weniger als drei“. Egal ob einer oder zwei, sie suchen inzwischen nicht mehr. Im Bereich Fachverkauf gibt es dieses Datenproblem nicht, es meldete sich schlicht niemand.
Auch andere Branchen leiden unter Nachwuchssorgen:
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Ein düsteres Bild, es lässt sich aber etwas relativieren. „Auch wenn das Interesse der Jugendlichen, die sich bei der Berufsberatung gemeldet haben, an diesen Berufen nicht besonders groß ist, kommen natürlich dennoch Ausbildungsverhältnisse zustande. Aufgrund der günstigen Situation am Ausbildungsmarkt können Jugendliche hier über Praktika leicht Kontakte knüpfen und/oder sich erfolgreich auf eine Stelle bewerben“, ordnet Sabine Hanzen-Paprotta, Sprecherin der Agentur für Arbeit Wesel, diese Zahlen auf Anfrage ein. Nicht jeder zustande gekommene Ausbildungsvertrag geht daher über die Schreibtische der Agentur, manche kommen auf dem „kleinen Dienstweg“ zustande und finden sich nicht in den Statistiken.
Kunden schätzen diesen Unterschied zum Discounter
Wie steht es also um die Zukunft der Frischetheken? „Ganz abschreiben würde ich sie nicht“, sagt Doris Lewitzky. Sie seien ein Merkmal, das den Lebensmitteleinzelhandel auszeichne, und für sie persönlich auch nicht wegzudenken. „Es wird an Lösungen gearbeitet, eventuell wird es andere Modelle geben. Aber kurzfristig kann ich nicht glauben, dass es keine Frischetheken mehr geben wird.“ Letztlich müsse man auch sehen, wie die Kunden reagieren. Viele schätzen diese besonderen handwerklichen Angebote, die sich von der industriellen Produktion unterscheiden. Weil sie es unter anderem sind, die den Unterschied zwischen Supermarkt und Discounter ausmachen.