Kleve. Streit, Lügen, Drohungen: Die Diskussion über den Klever Nationalpark wirkt wie ein Brennglas auf unsere gesellschaftlichen Probleme.
Die Debatte über den Reichswald ist im Internet, aber auch in der realen Welt, völlig aus dem Ruder gelaufen: Es werden Dinge unterstellt, Halbwahrheiten und Unwahrheiten verbreitet, es werden Beteiligte beleidigt und sogar bedroht, es werden Plakate beschädigt und in einem Fall sogar Reifen durchstochen. Es werden Vorwürfe gemacht, es wird nicht richtig zugehört, es gibt oft keinen Versuch des Verstehens anderer Meinungen. Das ist traurig.
Der Kampf schadet allen
Bereits zu Beginn der Auseinandersetzung war die Stimmung aufgeheizt. Im Kolpinghaus in Kleve wurde im Januar 2024 die erste Podiumsdiskussion durchgeführt und schon da war zu spüren, dass diese Auseinandersetzung auf den alten Konflikt zwischen Landwirten und Naturschützern hinauslaufen wird. Diese beiden Gegenpole lassen sich im Kreis Kleve offenbar nicht zusammenführen. „Der Nabu muss weg“, so lautete denn auch vielsagend der erste Wortbeitrag eines Zuhörenden an diesem Abend. Um den Nabu ging es gar nicht.
Nun bringt es nichts, Schuldzuweisungen auszusprechen. Die Situation ist, wie sie ist, und es merken hoffentlich alle: Dieser Kampf schadet der lokalen Demokratie. Wenn man nicht mehr miteinander reden kann und will, dann geht es nur noch um Konfrontation, ums Rechthaben, ums Gewinnen wollen. So funktioniert aber Demokratie nicht. Am Ende müssen wir alle in Gemeinschaft zusammenleben.
Fehlende Kommunikation
Warum fehlt uns die Fähigkeit zur geordneten Diskussion? Vieles ist unserem Medienverhalten geschuldet. Viele Menschen lesen nicht regelmäßig, sondern nur häppchenweise, Überschriften, Triggerworte, Emotionales, häufig werden sachlich dargestellte Inhalte auch falsch interpretiert und emotionalisiert. Es werden Kommentare zu Artikeln abgesetzt, die erkennen lassen, dass die Texte gar nicht gelesen wurden. Danach beziehen sich dann die Antworten nur noch auf den Kommentar. Der eigentliche Sachtext wird gar nicht zur Kenntnis genommen. Um vernünftig miteinander ins Gespräch zu kommen, müssen wir aber lesen, müssen wir uns die Meinung der anderen anhören und am Besten auch lesen, damit man differenziert antworten kann. So wichtig sollte uns der Austausch schon sein.
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Ganz unzweifelhaft, die sozialen Medien sind ein Sargnagel der Demokratie. Wer ursprünglich glaubte, dass damit die Hochzeit der freien Meinungsäußerung anbricht und endlich die klassischen Zeitungen, TV- und Radioanstalten ausgebotet werden, der lag falsch. In sozialen Medien wird in der Tat direkt kommuniziert, aber es wird auch wenig nachgedacht, stattdessen werden ungefiltert falsche Dinge behauptet und diese sind dann wieder Aufregerthema. Die Stimme einer kompetenten, sachkundigen Person wiegt in den Social Media genauso viel wie die Stimme von Pitje Jan von der Straße, der unreflektiert Meinungen in die Welt setzt. Der Lauteste gewinnt.
Unser Versammlungsplatz im Internet ist vergiftet
Die Reichswald-Debatte wirkt wie ein Brennglas auf unsere allgemeinen politischen Probleme. Das, was in Amerika im großen Format geschehen ist, passiert gerade auf kleiner Ebene im Kreis Kleve: Desinformationen, lautes Geschrei, am Ende Pöbeleien, Sachbeschädigungen, Gewalt und eine fürchterliche Polarisierung. Unser Medienverhalten führt dazu, dass das zarte Pflänzchen Verständnis, welches so wichtig ist für die Demokratie, einfach plattgetreten wird. Höfliche Umgangsformen sucht man oft vergeblich. Unsere Agora, unser demokratischer Versammlungsplatz im Internet, ist vergiftet.
Demokratiegefährdende Kakophonie
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Wie kommen wir da raus? Als Redakteur der NRZ sage ich natürlich: Lesen Sie endlich wieder mehr Tageszeitung und schalten Sie häufiger das Handy aus! Informieren Sie sich vernünftig, lesen Sie aufmerksam und nicht flüchtig. Redakteure im Kreis Kleve haben über viele Jahrzehnte Themen abgewogen und ausgewogen berichtet. Und das tun wir auch heute noch, nur unter ungleich schwierigeren Bedingungen. Dass wir heute so eine demokratiegefährdende Kakophonie haben, ist nicht nur schlecht für die klassischen Medien, diese Konfrontation ist eine Bewährungsprobe für die Demokratie. Sie droht daran zu scheitern!
Die Vorgänge in den USA, wo es schon in vielen Teilen des Landes keine Tageszeitung mehr gibt, oder auch in den benachbarten Niederlanden, wo es 15 Parteien im Parlament gibt und die Bürger sich immer noch nicht richtig repräsentiert fühlen, lassen nichts Gutes für die anstehende Bundestagswahl ahnen. Wir müssen unser Medienverhalten ändern. Aktuell diktieren eine handvoll amerikanischer Konzerne jene Algorithmen, nach denen wir tanzen. Sie belohnen Konflikte, Hetze, Streit und Polarisierung mit vielen Klicks. Das zu ändern ist eine Aufgabe der Bundes- und Europapolitik. Wenn wir nicht solange darauf warten wollen, erinnern wir uns doch einstweilen an die Devise von Peter Lustig, die er am Ende einer jeder Löwenzahnsendung ausgab: Abschalten!