Kleve. Hausarzt Dr. Michael Pelzer kündigt an, 3,5 Kassenzulassungen wegen überbordender Bürokratie zurückzugeben. Was das bedeutet.
Das ist ein Paukenschlag für Kleve und die Region: Die gemeinschaftliche Hausarztpraxis von Dr. Michael Pelzer und Dr. Britta Oster an der Hermannstraße in Rindern wird zum Jahresende 2024 seine 3,5 Kassensitze an die Kassenärztliche Vereinigung zurückgeben. Die Praxis, in der sechs Ärzte arbeiten, wird zur Privatpraxis. Gründe für diese drastische Maßnahme seien die überbordende Bürokratie und die eingeschränkten Behandlungsvorgaben, so Pelzer. Künftig werden in Rindern nur noch Privat- und Selbstzahler behandelt. Das nicht-ärztliche Personal werde übernommen. Dr. Britta Oster werde die Praxis nicht übernehmen.
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Bürokratie nimmt enorme Auswüchse an
Im Gespräch mit der NRZ sagte Michael Pelzer, dass die Bürokratie enorme Ausmaße angenommen habe und die Hauptlast auf seinen Schultern liege. Er spüre aufgrund der zunehmenden Vorgaben eine immer größere, existenzbedrohende Gefahr. Die Möglichkeiten für Regresse seien gestiegen, die Auswüchse der Bürokratie unerfüllbar. So suche er seit Wochen einen Nadeldrucker für die Praxis, weil Rezepte für Betäubungsmittel auf einem Nadeldrucker ausgedruckt werden müssen.
Der 62-Jährige betont, dass ihm dieser Schritt sehr geschwer gefallen sei, aber er könne es nicht mehr: „Wer gegen seine persönlichen Werte verstößt, brennt aus, erschöpft und wird krank. Das erlebe ich jeden Tag bei meinen Patienten. Der wunderbare Beruf des Arztes besteht im Kassenbereich fast nur noch aus unklaren Vorschriften, Dokumentationspflichten, Bürokratie und Einschränkungen. Medizin wird zur Nebensache, Therapiefreiheit abgeschafft. Ich bin jedoch weder Kodierer, Buchhalter noch Verwaltungsangestellter. Ich bin Arzt und es ist Zeit, zu gehen“, schreibt er.
Rundmail an die KV verschickt
Die Entscheidung, die Kassensitze aufzugeben, sei im Juli gereift. Am Donnerstag sei dann eine Rundmail an die Kassenärztliche Vereinigung geschickt worden. Seit 1999 ist Pelzer als Hausarzt tätig. Künftig wird er weiterhin als Notarzt für den Rettungsdienst tätig sein und auch als Palliativarzt. „Darin gehe ich auf“, sagt er.
In seiner Erklärung schreibt Pelzer ferner, dass Praxispartnerin Dr. Oster die Praxis nicht weiterführen wird. Sie orientiert sich um. Es hätten sich keine anderen Ärzte finden können, die Praxis zu übernehmen. „Somit steht die gesamte Praxis mit ihren sechs Ärzt:innen ab Januar 2025 nicht mehr der kassenärztlichen Versorgung zur Verfügung“, so Pelzer.
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2500 Patienten benötigen jetzt einen Hausarzt
Es sei eine schwere Entscheidung gewesen, den Kassenarztsitz abzugeben, so Pelzer. „Sie trifft meine liebgewonnenen langjährigen Patienten und auch die Kollegen in der Praxis. Ich bin jedoch nicht nur meiner Arbeit, sondern auch mir selbst, meiner Gesundheit und meiner Familie verpflichtet.“ Er schildert der NRZ, dass er manche Patienten schon als Baby auf dem Arm gehabt habe. 2500 Kassenpatienten werden sich jetzt einen neuen Hausarzt suchen müssen. Die Aufgabe der Kassen-Praxis wird ein riesiges Loch in die ärztliche Versorgung Kleve reißen, denn auch im vergangenen Jahr wurden bereits Hausarztpraxen in Kleve geschlossen, was für enorme Patientenbewegungen gesorgt hat.
Die bei Pelzer und Oster angestellten Ärztinnen und Ärzte werden andere Stellen aufnehmen. Dr. Pelzer selbst führt die Praxis als Privat- und Selbstzahler-Praxis weiter. Darüber hinaus bietet er seine Dienste als Personalcoach an. „So viele Menschen sind energielos, leiden unter Ängsten, Stress, Burn-out, körperlichen Symptomen und innerer Verzweiflung. Sie sind meist in Umständen gefangen, die nicht ihrem Herzen und ihren Werten entsprechen. Das macht unglücklich und führt oft zu körperlichen Erkrankungen. Ich helfe Menschen im Coaching, sich dieser Dinge bewusst zu werden und sie abzustellen.“
Patientenunterlagen müssen abgeholt werden
„In 26 Jahren hat sich die Arbeit als Hausarzt massiv verändert. Ich freue mich riesig darauf, als freier Arzt weiterhin meine privat versicherten und auch wieder die selbstzahlenden Patienten voller Energie und Kreativität so zu behandeln, wie ich mich selbst behandeln würde“, so Pelzer.
Die Patientenunterlagen können Patienten über post@praxis-kleve.de möglichst bis Mitte November anfordern und nach zirka zwei Wochen in der Praxis abholen.
Das sagt Kleves Bürgermeister Gebing
Kleves Bürgermeister Wolfgang Gebing bedauert im Gespräch mit der NRZ, dass „eine so große und renommierte Praxis zumindest für Kassenpatienten schließt“. Dies sei Ausdruck des gegenwärtigen Gesundheitssystems, „in dem es offenbar nur schwer möglich ist, als hausärztliche Praxis über die Runden zu kommen“.
Gebing erkennt den durch Dr. Pelzers Praxisschließung demnächst noch weiter steigenden Bedarf an Hausärzten in Kleve. „Als Stadt haben wir jedoch nur sehr eingeschränkte Möglichkeiten, die Situation zu verbessern“, stellt der Bürgermeister fest. Man könne werben und mit Investoren über ein Ärztehaus sprechen. Auch ein kommunales Medizinisches Versorgungszentrum (MVZ) werde in der Politik diskutiert. „Aber die Erfahrungen aus unserer Nachbarstadt Goch zeigen, wie schwierig es ist, dafür Ärzte zu finden“, sagte Wolfgang Gebing, der sich mit seinem Amtskollegen Ulrich Knickrehm regelmäßig über das MVZ im ehemaligen Tertiarinnenkloster austauscht, das nach einem Umbau 2025 nach und nach bezugsfertig werden soll.