Kreis Kleve. Videospiele wie Fortnite können süchtig machen. Experten erklären, warum. Marius aus Kleve zockt täglich. Das ist seine Perspektive.
Piepend leuchten Playstation und Controller blau auf. „Ich liebe das Geräusch“, so Marius aus Kleve. Dann ist er kaum wiederzuerkennen. Lila Haar, leuchtende Waffe, glitzernde Stiefel: Sein Skin fällt schon auf, als er noch in der virtuellen Wartehalle steht. Aus dem 24-Jährigen ist „SecondNameIsGod“ geworden. Ein paarmal lässt er seine Spielfigur sinnlos auf und ab springen, schießt ziellos in die Luft. Warum? „Keine Ahnung, mache ich immer.“ Alltagstrott trifft auf seinen restlichen Tagesablauf, wenn er von der Arbeit als Techniker nach Hause kommt.
Für die Gaming-Noobs
Noob ist eine Beleidigung, die jenen Gamern zukommt, die sich im Spiel nicht auskennen und dementsprechend schlecht sind.
Fortnite ist ein Online-Videospiel mit bunter Grafik, das Elemente des Bauens, Sammelns und Schießens vereint.
Skin ist die Verkleidung des virtuellen Avatars bei Fortnite.
Roblox und Brawl Stars sind Online-Spiele, die besonders bei jüngeren Nutzern beliebt sind.
Level-ups sammeln Gamer durch Spielfortschritte.
Let‘s Play ist ein Videoformat, bei dem Gamer ihre Spielrunden filmen und online posten. Nutzer können so anderen beim Spielen zuschauen, meist über YouTube.
Konsole an, Headset auf, fünf bis sechs Stunden lang zocken. „Je nachdem, welche Schicht ich habe, spiele ich bis in die Nacht.“ Am liebsten verliere er sich in der Welt von Fortnite. Da zähle es, mit Freunden zusammenzuarbeiten und taktisch zu bauen. Nur so schaffe man es, seine Gegner zu eliminieren. Epische Siege hole er oft, „ich bin kein Noob“, sagt er stolz. Immer schwitze Marius dem goldenen Schuss entgegen, dem Ausschalten des letzten Mitspielers.
Trister Alltag gegen bunte Maps
„Ich weiß, dass es ein Eskapismus ist“, erklärt der 24-Jährige. Viel anderes reize ihn am Alltag nicht. Kommt er von der Arbeit nach Hause, sei er zu kaputt für besondere Aktivitäten. „Nur im Bett liegen will ich aber auch nicht.“ Also kommen Controller und Bildschirm ins Spiel. Für jede Gemütslage besitzt er ein Spiel. Möchte er entspannen, fahre er beispielsweise mit einem Auto durch eine virtuelle Landschaft. Als 16-Jähriger begann er seine Online-Karriere als „SecondNameIsGod“ mit einem Videogame namens Broforce. „Da explodiert einfach ganz viel und man kriegt für alles Level-Ups“, beschreibt Marius. Gerade das mache aber schnell süchtig, weiß Expertin Barbara Kortland von der Suchtberatungsleitung im Kreis Kleve.
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Spiele wie Fortnite Roblox und Brawl Stars sind aufgrund der oft witzigen Darstellungen, der Schnelligkeit und des Ansprechens des Belohnungssystems bei Kindern und Jugendlichen sehr beliebt. Besonders für junge Nutzer ist Gaming so zugänglich wie nie. Zum Zocken bedarf es lange keiner Konsole mehr.
Zocken ist Top Drei Hobby
Der Suchtberatung ist es daher wichtig, ein kritisches Auge auf alle digitalen Medien zu werfen. Allen voran die wohl kleinsten Gaming-Setups: „Handys werden schon sehr früh dazu eingesetzt, um Kinder zu beschäftigen, zu beruhigen oder abzulenken.“ Wer gerade nicht irgendwo levelt, der schaut sich an, wie andere das tun. Let’s Plays, Videos aufgenommener Spielrunden, sind im Trend, „die Idole sind YouTuber.“ Kein Wunder, dass auch die Suchtberatung im Kreis Kleve einen immer stärkeren Fokus darauf legt. Kortland zieht hier sogar erstaunliche Statistik: „Nach Hobbys der Kinder gefragt, liegt zocken immer unter den Top Drei.“
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Nimmt das Hobby überhand, vernachlässigen Süchtige alles außerhalb des Bildschirms. Nicht nur phasenweise, sondern über mindestens zwölf Monate. Genauer leiden dann „Körperpflege, Ernährung und Gesundheit“, ergänzt Manrico Preissel von der AOK-Rheinland. So schlimm sei es bei Marius nie gewesen, er gehe sogar regelmäßig ins Fitnessstudio. Kurz später gibt er aber zu: „Manchmal vergesse ich zu essen.“ Hat er Urlaub, zocke er deutlich weniger als neben der Arbeit. Für ihn das Indiz, dass er auch ohne epische Siege und neue Skins kann. Abhängig würde er sich wegen seines stundenlangen Gamings nicht nennen, gesteht sich aber ein, dass er „mal mehr, mal weniger süchtig“ ist. Es gebe Tage, da hält seine Laune nur der Gedanke an die Playstation aufrecht.
Als Elternteil Medienzeiten setzen
Wer gerne mal viel spielt, besonders in den Schulferien, ist nicht gleich abhängig. Trotzdem lohne sich, vor allem bei Kindern, eine gewisse Regulierung. Erziehungsberechtigte sollten immer ein Auge auf Inhalte sowie Zeiten haben. Was die Suchtberatung rät, sind bestimmte Vorgaben, die die Kinder einhalten müssen. Da biete es sich an, nach Lebensjahren zu gehen. Ein Zehnjähriger könnte so zehn Minuten Medienzeit am Tag bekommen.
„Ich kann schon verstehen, dass man keine Lust hat aufzuhören, wenn es richtig gut läuft“, sagt der 24-jährige Techniker. Anders als bei anderen Substanzen mit Suchtpotenzial kann der goldene Schuss hier schließlich ganz oft gesetzt werden.