Essen. Die Suchthilfe hat ihr Angebot für Jugendliche neu aufgestellt. Doch der Weg in ein drogenfreies Leben ist lang: Das Beispiel Anna.
Die Essener Organisation „Suchthilfe direkt“ hat ihr Angebot für Jugendliche umstrukturiert. Seit etwa einem halben Jahr ist die „Suchthilfe“ mit mobilen Teams dort, wo Jugendliche sind: Zum Beispiel an Schulen, in Stadtteil-Büros und überall dort, wo Beratung nötig ist, außerhalb der Büros der „Suchthilfe“, auch in Cafés oder den Wohnungen der jungen Menschen. „Es gibt keine Wartezeiten und keine umständliche Terminvergabe“, sagt Markus Martini vom Beratungsteam der Jugendsuchtberatung. Ein wichtiger Standort ist auch die „Basis“, eine Anlaufstelle für Jugendliche, die nicht zu Hause wohnen können oder wollen. Die „Basis“ an der Niederstraße in Uni-Nähe wurde im Sommer 2023 eröffnet und liegt nicht zufällig direkt gegenüber von der Notschlafstelle für obdachlose Jugendliche, dem „Raum 58“, der von der Caritas-Tochter cse und dem CVJM betrieben wird.
Seit der Neu-Strukturierung der Jugendsuchtberatung habe man bereits 100 Jugendliche und junge Erwachsene erreicht, sagt Markus Martini. „Die niedrigschwellige Beratung hat sich als besonders wirksam erwiesen und wird weiter ausgebaut.“ Es geht vor allem um so genannte „stoffgebundenen Süchte“, also Drogenabhängigkeit, aber auch um problematischen Konsum von Medien oder „Vapes“, den bunt verpackten und süß schmeckenden E-Zigaretten.
Anna (18): „Bis auf Crack oder Heroin hab‘ ich alles genommen“
Ein Mensch, dem bereits geholfen werden konnte und wird, ist Anna (18, Name geändert). Die junge Frau versucht derzeit, ihren Realschul-Abschluss an einem Essener Berufskolleg nachzuholen, kam im Alter von elf Jahren erstmals an Drogen, hat seitdem ein massives Problem vor allem mit Amphetaminen wie Speed. „Bis auf die ganz harten Sachen wie Crack, Heroin oder Meth habe ich alles genommen“, sagt Anna, „auch Kokain.“
Ihren Vater hat Anna nie kennengelernt, sie kam mit ihrer Mutter und zwei Brüdern aus Polen nach Deutschland, als sie neun Jahre alt war. „Wir wuchsen in bitterer Armut auf, ich habe als Kind oft Lebensmittel geklaut, damit mein kleiner Bruder überhaupt was zu Essen hat“, erzählt sie. In der Schule wurde sie gehänselt, weil sie kaum Deutsch sprach, und in den großen Pausen verzog sie sich auf eine Bank hinterm Schulgebäude, bis irgendwann ein Jugendlicher, „der war vielleicht 16 oder 17“ sie ansprach. Und ihr ein Tütchen mit Pulver herüberreichte. Das war Speed, sie schnupfte es, „und auf einmal war ich hellwach und hatte keine schlechten Gedanken mehr.“ So fing ihre Sucht an.
Vor Gericht macht sie einen entscheidenden Fehler
Annas Jugend war bestimmt von Problemen zu Hause, vom Schule schwänzen, vom Abhauen, bis das Jugendamt sie in eine Wohngruppe für gefährdete Jugendliche setzte. „Dann ging es besser.“ Doch obwohl sie fortwährend Probleme mit ihrer Mutter hat und hatte, sagte sie irgendwann vor Gericht aus, dass sie wieder zurückwill. „Ich vermisste mein Zuhause, aber zurückzukehren, war ein Fehler.“
Es folgte der Aufenthalt in einer weiteren Wohngruppe, „da kam ich ans Kiffen, direkt am ersten Tag“, und um Drogen zu beschaffen, klaute Anna, was das Zeug hielt, sie bedröhnte sich, so oft es ging, und regelmäßig wachte sie im Krankenhaus wieder auf, weil sie auf der Straße zusammengeklappt war. „Immer, wenn ich Speed gezogen hatte, war mir alles egal, ich fand alles witzig, und es war für mich die einzige Möglichkeit, überhaupt klarzukommen.“
Das Wichtigste: ein stabiler Alltag
Erst die nächste Wohngruppe für traumatisierte und abhängige Jugendliche, die ihr die „Suchthilfe direkt“ vermittelte gab Anna eine neue Perspektive. Sie absolvierte eine Psychotherapie und verstand, dass die Drogen den Schmerz betäuben sollen, den sie in sich trägt seit ihrer Kindheit. Seit dem Sommer lebt Anna in einer eigenen Wohnung, lässt sich gleichzeitig im LVR-Klinikum behandeln, um psychisch stabil zu werden, und versucht, einen stabilen Alltag hinzubekommen. „Das ist jetzt das Wichtigste.“
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Geschützt vor Rückfällen ist sie freilich nicht: „Erst Halloween ist es wieder passiert.“ Es reichen kleine Vorkommnisse, und schon ist Anna wieder drauf; nach so vielen Jahren der Sucht weiß man übrigens immer ganz genau, wo man wie seinen Stoff bekommt. Annas Traum ist es, eine Schreiner-Ausbildung zu machen, sie lernte den Job während eines Praktikums in einer ihrer Maßnahmen kennen. Bis dahin ist es noch ein langer Weg. „Aber ich geb‘ mir Mühe, dass es gut wird.“
Hilfe für Jugendliche zwischen 14 und 25 Jahren unter www.suchthilfe-direkt.de oder im Schutzraum „Basis“, Niederstraße 9, Tel. 0201-856170.
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