Essen. Wie wird aus regelmäßigem Konsum eine Sucht? Wie sollten sich Angehörige dann verhalten? Die Chefärztin des Essener Kamillushauses erklärt.

Vier Millionen Heranwachsende und Erwachsene in Deutschland nehmen laut NRW-Schulministerium gelegentlich bis regelmäßig Cannabis-Produkte. Zahlen zum Alkoholkonsum unter Jugendlichen hat das NRW-Gesundheitsministerium: Demnach trinkt jeder elfte Jugendliche (das sind 9 Prozent) im Alter zwischen 12 und 17 Jahren einmal in der Woche; 3,5 Prozent trinken Alkoholmengen, die über den Grenzwertempfehlungen für Erwachsene liegen und bei jedem siebten Jugendlichen der Altersklasse (14,7 Prozent) findet innerhalb von 30 Tagen mindestens ein Rauschtrinken statt.

Doch wie wird aus dem regelmäßigen Konsum eine Sucht? Dafür gibt es unterschiedliche Auslöser: So spielen körperliche, psychische und soziale Faktoren eine Rolle. Sind beispielsweise Eltern suchtmittelabhängig, würden deren Kinder zwar nicht automatisch erkranken, hätten aber ein höheres Risiko für eine Sucht, erklärt die Chefärztin der Fachklinik Kamillushaus Dr. Wibke Voigt: „Sie müssen deutlich mehr aufpassen als andere.“

Essener Ärztin: Problematisches Konsumverhalten offen ansprechen

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Das Vorbild der Eltern nimmt auch auf anderer Ebene Einfluss, Stichwort: Konfliktlösungsstrategien. Was die Eltern vorleben, prägt das Verhalten der Kinder. Relevant ist auch das nahe soziale Umfeld, also das Verhalten von Freunden und weiteren engen Bezugspersonen: Was gilt unter ihnen als Normalität? Und: Wie präsent und leicht verfügbar sind Suchtmittel?

„Lange vor illegalem Drogenkonsum wirkt der leichtfertige Umgang mit legalen psychoaktiven Stoffen in unserer Gesellschaft suchtgefährdend“, heißt es in einer Mitteilung des NRW-Schulministeriums. „Wir sind eine Suchtgesellschaft hoch zehn“, sagt auch Dr. Wibke Voigt. Deutschland sei das Land mit den wenigsten Werbeverboten und dem höchsten Alkoholkonsum pro Kopf.

Dafür, dass sich aus gelegentlichem Konsum ein psychischer oder gar körperlicher Zwang entwickelt, ist zum einen der Belohnungseffekt, also Konditionierung, verantwortlich: Der Konsum löst zum Beispiel ein als angenehm empfundes Gefühl aus oder lindert negative Gefühle. „Suchtmittel sind Trittbrettfahrer unseres Belohnungssystems“, sagt Dr. Wibke Voigt. Wenn sich der Körper allerdings an die Substanzen gewöhnt, müssen für den erwünschten Effekt Dosis und Frequenz gesteigert werden. Studien würden zeigen, dass etwa traumatisierte Menschen ein hohes Risiko hätten, an einer Sucht zu erkranken: Betroffene würden zu Suchtmitteln greifen, um Anspannung und Erregung damit zu bekämpfen. Das zu erkennen, sei besonders wichtig, da in der Therapie Sucht und Traumastörung parallel behandelt werden müssen.

Wenn man bemerke, dass jemand ein Suchtproblem entwickle oder bereits habe, solle man das offen ansprechen, rät Wibke Voigt. „Viele schauen weg, es ist eine Krankheit der Heimlichkeit.“ Doch es sei ein Fehler, so zu tun, als gäbe es kein Problem. Denn es existieren zwar Hilfsangebote und Anlaufstellen, doch Betroffene bräuchten oft die Motivation von außen. So würden als Gründe für einen Therapiebeginn oft Ultimaten von Angehörigen oder Arbeitgebern genannt, dann zum Beispiel der drohende Führerscheinverlust. Die Angst davor, körperliche Schäden davonzutragen, sei hingegen für viele ein deutlich schwächerer Antrieb.

Hilfe finden Betroffene und Angehörige unter anderem über die Suchthilfe: suchthilfe-direkt.de/

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