Ruhrgebiet. Selbstversuch auf gesperrtem Ruhrschnellweg: Wer den Umleitungen folgt, fährt quasi im Kreis. Warum die Planer diesen gewaltigen Umweg verteidigen.

„Mutig“, hat die Kollegin gesagt, als sie von dem Plan hörte. Dabei gehört für gewöhnlich nicht viel Mut dazu, mit dem Auto zur Arbeit zu fahren. Aber was ist schon „gewöhnlich“ auf dem Ruhrschnellweg in diesen Zeiten? Vollsperrung bei Bochum, nun auch noch Vollsperrung in Essen, von Duisburgs Kaiserberg gar nicht zu reden. Der Rest: eine Kette von Baustellen. Start-Ziel A40, von Mülheim über Essen nach Dortmund? Ein Selbstversuch.

Tun wir also mal so, als hätten wir diese Zeitung nicht gelesen. Als hätten wir nicht die Ausweichstrecken studiert und würden sie nicht ohnehin auswendig kennen. Es ist schließlich immer Stau auf der A40, irgendwo, manchmal sogar nachts. Im Radio erzählen sie etwas von der Sperrung, die seit der Nacht zu Donnerstag nun auch noch über Essen gekommen ist, aber versteht das der Lkw-Fahrer aus Polen auf der linken Spur? Also voran, 8.05 Uhr, Verkehrsnachrichten, „drei Kilometer Stau“ vor Essen. Geht ja.

Stau, mal wieder: Reporterin Annika Fischer fährt statt geradeaus von West nach Ost gefühlt im Kreis.
Stau, mal wieder: Reporterin Annika Fischer fährt statt geradeaus von West nach Ost gefühlt im Kreis. © FUNKE Foto Services | Kerstin Kokoska

15 Kilometer in 15 Minuten? Heute nicht!

15 Kilometer sind es bis Essen-Zentrum, runde 15 Minuten im selten normalen Normalfall. Start an der B223, Auffahrt auf die A40 gen Osten. (Diese Kreuzung sollten Sie sich merken, es wird später noch davon die Rede sein.) Noch ist alles wie immer: drei Spuren, ein Kleinwagen mit 80 in der Mitte. Auffallend nur: Es sind vor allem ortsansässige Autos unterwegs, OB, E, MH, etwas DU. Hat sich der Rest schon vorher in die Büsche geschlagen? Es wäre schlau gewesen.

Lesen Sie auch zur A40- und A52-Sperrung in Essen:

Sonst stehen die Schlangen ab Mülheim-Heißen, diesmal bleibt alles entspannt bis Heimaterde. Kein Hinweis, nirgends, kein Schild, das die Sperrung ankündigt. Oder auch nur die Baustelle. Das Navi, kurz befragt, bleibt schon seit Minuten bei 17 Minuten bis zum Zwischenziel. Am digitalen Horizont leuchtet ein Einfahrt-Verboten-Schild. Am Straßenrand leuchtet nichts. Erst kurz vor der Abfahrt Holsterhausen, das ist schon Essen, zeigt die Schilderbrücke an, dass eine Spur weggeht. Man soll hier noch 80 fahren, wir stehen seit zwei Ausfahrten.

Achtung, Reißverschluss! Das können die Wenigsten

Nach Bochum nach rechts? Das Umleitungsschild dahinter weist auch den Weg nach Bochum. Was gilt?
Nach Bochum nach rechts? Das Umleitungsschild dahinter weist auch den Weg nach Bochum. Was gilt? © FUNKE Foto Services | Kerstin Kokoska

Sachte beginnt es zu regnen: grauer Himmel, Stau, Novembergefühl. 800 Meter vor der Absperrung ist die linke Fahrspur tatsächlich zu Ende. Baken weisen den Weg hinaus ins Stadtgebiet, jetzt müssten alle das Reißverschluss-System... Aber wer kann das schon? Ein letzter Blick auf die Bahn, schon liegt sie voller Herbstblätter – wie schnell das immer geht. Sieht aus, als sei hier seit Ewigkeiten keiner mehr gefahren, dabei sind es erst ein paar Stunden. Am Tunneleingang sind noch 40 km/h erlaubt, aber für wen?

Innerstädtisch bleibt die Autoschlange an jeder Kreuzung hängen, die Ampelphasen sind auch nicht länger als sonst. Rückstau an der Kruppstraße, Rückstau auf der Friedrichstraße, laut Navigation sind so ziemlich alle Hauptstraßen rot. Wir wollen da gerade nicht hin, aber aus Richtung Süden ist ja auch die A52 gesperrt und parallel zu ihr ein Teil der B224 plus die Baustelle an der Ruhrallee plus... Man sollte zu Fuß gehen, Google Maps hat das in erster Aufwallung sogar zuerst ausgerechnet. Ein Schelm!

Am Ende ist es gar nicht so furchtbar. 8.39 Uhr Ankunft Essen, eine gute halbe Stunde mehr als sonst. Oder: das Doppelte, das klingt schlimmer. Nur ist es ja noch nicht das Ende.

Der Schein trügt: Die A52 sieht so schön leer aus, weil sie tatsächlich in eine Richtung gesperrt ist.
Der Schein trügt: Die A52 sieht so schön leer aus, weil sie tatsächlich in eine Richtung gesperrt ist. © FUNKE Foto Services | Kerstin Kokoska

Es wartet ein Termin in Dortmund und auf dem Weg eine weitere Vollsperrung der A40. Die bei Bochum nicht nur eine Woche dauert, sondern gleich bis Mitte November und bereits seit August. Um trotzdem anzukommen, gibt es den roten Punkt. Anstellen also am Rückstau in der Essener Innenstadt. Lkw reiht sich an Lkw, Polen, Belgien, Niederlande; maximal zwei schaffen es pro Grünphase. Und vielleicht noch ein Auto dahinter, aber das fährt schon bei Rot. Es fahren viele bei Rot an diesem Donnerstag.

Wahnsinn! Die Umleitungsstrecke führt auf demselben Weg zurück

Hinter den Transportern ist der rote Umleitungspunkt selten zu sehen, vielleicht aber ist das auch besser: Die Autobahn GmbH führt den Verkehr doch tatsächlich hinter dem Essener Hauptbahnhof auf die A40 zurück. Aber in die andere Richtung! Nach 15 Kilometern aus Richtung Duisburg geht es nach einer guten halben Stunde also zurück nach Duisburg. Immer geradeaus, den Pfeilen nach – 15 Kilometer genau dahin, wo wir gerade hergekommen sind. Es ist, als führen wir im Kreis, nur schlimmer. Ein Wahnsinn.

Innerhalb Essens verweisen Schilder auf die Sperrung. Auf der Autobahn nicht.
Innerhalb Essens verweisen Schilder auf die Sperrung. Auf der Autobahn nicht. © FUNKE Foto Services | Kerstin Kokoska

Und da ist, nach einer Viertelstunde, auch die B223 wieder, Sie erinnern sich. Stau an dieser Ein- und Ausfallstraße durch Oberhausen, natürlich, zumal: Auch hier wird seit Monaten gebaut. Man hätte jetzt bis zur A3 fahren können, nur eine Ausfahrt weiter. Aber hier ist die A40 ab Freitag gesperrt und täglich ordentlich Stau nach Norden. Der Lindwurm aus Pkw und Lkw quält sich also von Mülheim-Nord über Oberhausen-Zentrum bis zur A42.

Ab hier dauert es 1:17 Stunde bis Dortmund, denn erstens: A40 bei Bochum sowieso dicht, zweitens: marode Brücke bei Bottrop, drittens seit Wochen Baustellen-Stau zwischen Gelsenkirchen und Herne. Müßig zu erwähnen, dass die Strecke über die A2 noch länger und noch voller gewesen wäre... Dabei ist schon diese Umleitung von Essen nach Bochum rund 50 Kilometer lang.

Wir haben es dann aufgeben, es war ja nur ein Test, zum Glück. Daumen hoch für alle, die im Homeoffice bleiben dürfen! Für alle anderen bleibt nur die Hoffnung: Die neue Sperrung in Essen soll „nur“ eine Woche dauern, die in Duisburg bloß ein Wochenende. Die alte in Bochum soll in gut vier Wochen Geschichte sein. Es bleiben dann Baustellen, aber man ist ja im Ruhrgebiet schon mit kleinen Dingen zufrieden.

SO REAGIERT DIE AUTOBAHN GMBH
Zum immensen Umweg:
„Eine kleinräumigere Umleitung wäre nur über die B224 möglich gewesen. Diese wäre allerdings durch die zusätzlichen Verkehrsströme über Gebühr belastet worden, weshalb sie als Umleitungsstrecke ausgeschlossen wurde. Das Umleitungskonzept wurde im Vorfeld mit allen Beteiligten (Kommune, Behörden etc.) abgestimmt.“

Zur sparsamen Beschilderung entlang der Autobahn:
Die Beschilderung entspricht allen rechtlichen Vorgaben. Selbstverständlich beobachtet die Autobahn GmbH Rheinland die Situation vor Ort und wird ggf. nachsteuern.