Essen. Co-Intendantin Selen Kara inszeniert den Shakespeare-Klassiker als düsteres Intrigenspiel in Essen. Das sagt die Regisseurin dazu.
Die Bühne ist so düster wie die Zeiten. Die Welt ist ins Rutschen geraten. Eine gewaltige Schräge mit poröser Oberfläche und herrschaftlicher Treppe, die in schwarzem Wasser endet, deutet es an: Etwas ist faul im Staate Dänemark. Eine Schlacht wurde geschlagen, ein König ermordet, ein Prinz aufgefordert zur Rache - von Ophelia. Für ihre Inszenierung von „Hamlet/Ophelia“ wählt Selen Kara Shakespeares berühmtesten Stoff mit weiblichem Blick. Mit viel Beifall und Gejohle wurde die Premiere im Grillo-Theater bedacht.
Hier lesen Sie die Kritik von Anke Demirsoy zur Essener Aufführung.
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Ohne zu zögern, sagt sie: „Ich bin Shakespeare-Fan.“ Die Figuren der Königsdramen haben es der studierten Theater- und Medienwissenschaftlerin angetan. Vor allem ihre Fallhöhe und die Frage nach Macht findet sie „sehr spannend“. Was passiert mit einer Gesellschaft, wenn man eine zwielichtige Nachricht verbreitet? Was, wenn keine Schlange den König tötete, sondern ein Mörder, der unter uns lebt? „Niemand traut mehr dem anderen“, erklärt Selen Kara die gefährliche Atmosphäre des Argwohns.
Regisseurin bleibt mit Essener „Hamlet“-Inszenierung nah am Original
Abgesehen von „kleineren Eingriffen“, bleibt die Regisseurin Shakespeare treu. Die von Männern dominierte Welt existiert weiterhin. Ophelia, die als Selbstmörderin und schöne Wasserleiche im kollektiven Gedächtnis verankert ist, lässt sich auch hier von ihrem Vater als Lockvogel missbrauchen. Aber Selen Kara verschafft ihr eine aktivere Rolle: „Sie ist diejenige, die Hamlet erzählt, was sie gesehen hat. Sie versucht, Hamlet zum Handeln zu bewegen und fordert ihn auf, den Mord an seinem Vater zu rächen.“
In Shakespeares 1603 veröffentlichter Tragödie stehen Konflikte des Daseins im Mittelpunkt. Es geht um die Verantwortung sich selbst und dem Staat gegenüber, um Rache und Gerechtigkeit, um Wahnsinn und klare Sicht auf die Ereignisse, um Liebe und Tod. Der nachdenkliche Hamlet handelt nur zögernd. Das macht ihn über Jahrhunderte zur menschlichen Identifikationsfigur.
„Die Zeit ist aus den Fugen“, heißt es bei „Hamlet“ und lässt das Werk seit jeher zur Projektionsfläche für politische Verhältnisse werden. „Das Stück hat viel mit heute zu tun, sodass man die aktuellen Bezüge selber herstellt. Die Angst in dieser Gesellschaft ist ein Motor, der einiges möglich macht“, betont Selen Kara.
Der Geist erscheint in Essen nicht, Fortinbras nur in der Erzählung
Auch wenn in ihrer Inszenierung am Schauspiel Essen Figuren gestrichen wurden, wie der Geist oder Fortinbras nur in der Erzählung vorkommt, so bleibt doch vieles erhalten: der manipulative Polonius, die entlarvende Mausefalle, die Totengräber und dass die Liebe geopfert werden muss. Nicht nur die von Hamlet (Christopher Heisler) und Ophelia, die Selen Kara an „Romeo und Julia“ erinnert. „Die Liebe hat keine Zukunft, trotzdem hat sie eine Kraft. Wie die Liebe zwischen (Mutter) Gertrud und Hamlet, Polonius und seinen Kindern. Diesen Liebesbeziehungen wollen wir gerecht werden“, betont die 39-Jährige.
Ort des Geschehens ist, wie ursprünglich, die Insel Helsingör. Lydia Merkels Bühnen-Aufbau („Doktormutter Faust“) wirkt wuchtig und abstrakt, Anna Maria Schories schafft mit ihren Kostümen große Silhouetten, hinter denen man sich verstecken kann. Es bleibt viel Raum für Figuren, Beziehungen und Sprache. Selen Kara wählt die Shakespeare-Übersetzung der Filmemacherin Angela Schanelec und des Regisseurs Jürgen Gosch, „die zugänglich ist, bei der aber die Poesie nicht verloren geht“.
Wer bei „Hamlet/ Ophelia“ mitwirkt
Selen Karas Inszenierung von „Hamlet/ Ophelia“ nach William Shakespeare ist wieder am 9., 16. und 25. Oktober zu sehen.
Die Aufführung wird ab 16 Jahren empfohlen. Dauer: 2:45 mit Pause.
Es wirken u.a. mit: Christopher Heisler (Hamlet), Beritan Balci (Ophelia), Silvia Weiskopf (Horatio), Mansur Ajang (Claudius), Bettina Engelhardt (Gertrud), Jan Pröhl (Polonius).
Karten: telefonisch unter 0201 8122 200 oder online auf www.theater-essen.de
Den Soundtrack zu dieser Inszenierung hat Torsten Kindermann komponiert. Selen Kara, die mit ihm seit zehn Jahren zusammenarbeitet, nennt sie „von der Renaissance inspiriert“. Es folgt in dieser Spielzeit noch ihr gemeinsamer musikalischer Abend „Istanbul“, der bereits an anderen Theatern erfolgreich gelaufen ist und für Essen aktualisiert wird. Dann stehen für sie erstmal keine weiteren Regie-Arbeiten an. Schließlich ist sie neben Christina Zintl Intendantin am Schauspiel Essen. Beides zu schultern, „ist sehr sportlich“, weiß sie. „Man braucht schon einen freien Kopf, um kreativ zu sein.“
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