Essen. Essener Theater geht mit zwölf Premieren in die Spielzeit 2024/25. Mehr als die Hälfte der Produktionen sind Uraufführungen und Auftragswerke.

Das Gerüst für das „Neue Deutsche Theater“ steht. Nun sei es an der Zeit, die Fundamente zu legen, finden die Essener Schauspiel-Intendantinnen Selen Kara und Christina Zintl. Ein bisschen „erschöpft und müde“, aber zugleich auch „glücklich und euphorisch“, so Kara, blicke man zurück auf die intensive und erfolgreiche erste Spielzeit. Und will die Erwartungen auch in der zweiten, nicht minder herausfordernden Saison2024/25 unter dem Motto „Common Ground“ erfüllen. Publikumsmails wie „Ich war am Wochenende zum ersten Mal im Theater“ ermutigen die Theaterchefinnen, vor allem mit Gegenwartsdramatik auch auf ein neues Publikum zuzugehen und dem „Narrativ unversöhnlicher Spaltung“ Geschichten entgegenzustellen, die den „Wert des pluralen Zusammenlebens“ betonen.

So sind mehr als die Hälfe der zwölf geplanten Produktionen Uraufführungen und Auftragswerke. Ihre Themen spiegeln die Lage unserer krisenbehafteten Welt: Femizid und Suizid, religiöser Fundamentalismus und Klimakrise – das Schauspiel Essen zeigt sich problembewusst, betont gleichwohl, dass der Humor in den jeweiligen Produktionen auch seinen Platz haben soll.

Die reine Komödie steht aber nicht auf dem Spielplan. Auch die klassischen Theaterstücke sind eher rar gesät. Regisseur Caner Akdeniz wird im Mai 2025 seine Sicht auf Ibsens rebellischen Weltenbummler „Peer Gynt“ zeigen. Intendantin Selen Kara inszeniert „Hamlet/Ophelia“ nah am Shakespeare-Original, aber doch mit einem Blick durch die weibliche Brille (Premiere 5. Oktober). Und das Familienpublikum kann sich ab dem 9. November auf Lewis Carrolls mitreißende „Alice im Wunderland“ als lustvoll-verspieltes Theater-Empowerment mit Märzhase und Grinsekatze freuen.

Ein tempreiches Bühnenvergnügen: Das Stück „Jeeps“ kehrt in der Spielzeit 2024/25 auf die Grillo-Bühne zurück.
Ein tempreiches Bühnenvergnügen: Das Stück „Jeeps“ kehrt in der Spielzeit 2024/25 auf die Grillo-Bühne zurück. © TuP | Nils Heck

Kultstatus erlangt hat mittlerweile auch der musikalische Abend „Istanbul“ (Premiere 20. Dezember), den Selen Kara, der musikalische Leiter Torsten Kindermann und Autor Akin Amanuel Sipal schon vor knapp zehn Jahren herausgebracht und mittlerweile an vielen Theatern gezeigt haben. Die gefeierte Inszenierung, die die Geschichte umdreht und das Wirtschaftswunder mit seiner Gastarbeiter-Anwerbung von Deutschland in die Türkei verlegt, bekommt in Essen eine überarbeitete Fassung und trägt für Kara auch sehr persönliche Züge: „Meine Großväter sind in den 1960er Jahren als Gastarbeiter hierher gekommen.“

Eröffnet wird die Spielzeit am 13. September mit der Bühnenadaption von Ulrich Alexander Boschwitz‘ 1938 entstandenem und erst vor kurzem wiederentdeckten Roman „Der Reisende“. Regisseur Hakan Savas Mican hat aus dem Stoff, der vom jüdischen Kaufmann Otto Silbermann und seiner Flucht vor den Nazis erzählt, eine Fassung erstellt, die mit dem Blick des heutigen Beobachters von einem Land im Ausnahmezustand und der Gleichgültigkeit der Massen berichtet. Zu den großen Produktionen auf der Grillo-Bühne gesellt sich außerdem die Tanztheaterproduktion „Sakrileg“ (5. April 2025), in dem die israelische Regisseurin und Choreografin Saar Magal das Buch Genesis als Folie nutzt, um sich „mit der aktuellen Situation der Welt“ künstlerisch auseinanderzusetzen. Mit dabei sind neben Ensemblemitgliedern, Tänzerinnen und Performern auch Folkwang-Studierende aus dem Bereich Physical Theatre.

Zwei Studierende der Folkwang-Universität gehören eine Spielzeit lang zum Ensemble

Die Zusammenarbeit mit Schauspiel-Studierenden der Folkwang-Uni, die bislang vor allem an Theatern der Umgebung eingebunden wurden, ist neu und sinnstiftend. Der Bühnennachwuchs bereichert das Ensemble außerdem in „Peer Gynt“ und in „Anziehen Ausziehen – Ein Bildungsauftrag“ von Anne Lepper. Die in Essen ausgewachsene Autorin will in ihrem Auftragswerk, das vom Ende einer Ehe und weiblicher Entmündigung erzählt, mit „Biss und Humor“ Themen wie toxische Männlichkeit oder kapitalistische Auswüchse in den Blick nehmen. Felix Krakau inszeniert das Auftragswerk im Mai 2025.

Eine weitere Uraufführung steuern die rumänische Autorin und Filmemacherin Toena Galgotjus undt Roman Senkl vom Minus.eins.labs mit der digital/hybriden Produktion „Memories of snow“ bei, die sich mit den familiär zu bewältigenden Herausforderungen der Klimakrise beschäftigt und unter anderem auch mit dem Einsatz von VR-Brillen für „immersive Erfahrungen“ sorgen soll. Erstmals auf die Bühne kommt auch die Romanadaption von „Meine Schwester“ (14. März 2025). Die Autorin und Fotografin Bettina Flitner berichtet darin vom Suizid ihrer Schwester und den gemeinsamen Kindheitserfahrungen der 70er Jahre. Regie führt die den Essenern Publikum wohlbekannte und zuletzt als „Doktormutter Faust“ gefeierte Schauspielerin Bettina Engelhardt. Auch Puppenspiel kommt zum Einsatz.

Schauspielerin Bettina Engelhardt (Bildmitte) wird in der neuen Spielzeit am Schauspiel Essen erstmals auch inszenieren. Das Bild stammt aus der Produktion „Doktormutter Faust“, die 2024/25 als Wiederaufnahme auf den Spielplan rückt.
Schauspielerin Bettina Engelhardt (Bildmitte) wird in der neuen Spielzeit am Schauspiel Essen erstmals auch inszenieren. Das Bild stammt aus der Produktion „Doktormutter Faust“, die 2024/25 als Wiederaufnahme auf den Spielplan rückt.

Die Explosion in einem Tabakladen, die sich als Femizid entpuppt, ist Thema in „Tabak“ von Rachel J. Müller. Lea Oltmanns inszeniert den Abend, der auch ein Zeichen weiblicher Solidarität werden soll (30. November). Noch in der Mache ist ein neues Stück von Dawn King, das die Londoner Autorin mit dem Stadt-Ensemble Plus unter der Regie von Adrian Figueroa als Uraufführung beisteuert (8. Februar 2025). „Setup.school(). Die Lernmaschine“ wendet sich schließlich an ein Publikum ab zwölf Jahren. Die mobile Produktion soll ab Mai 2025 auch in Essener Klassenzimmern gezeigt werden.

Ersatzspielstätten für die Casa werden weiterhin gesucht

Die Raumfrage dürfte schließlich zur großen Herausforderung der zweiten Spielzeit werden. Mit dem Wegfall der Casa fehlt dem Schauspiel auf Sicht eine mittelgroße Bühne. Einige Produktionen wurden bereits in die kleinere Ada verlegt. Weitere Ersatzspielstätten werden noch gesucht. „Wir sind mit vielen im Austausch“, sagt Selen Kara. Ob der Spielplan am Ende tatsächlich so komplett umgesetzt werden könne, wie jetzt vorgestellt, stehe deshalb noch infrage. Möglicherweise könne es auch Verschiebungen geben, sagt Christina Zintl.

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Bei den Auslastungszahlen dürfte sich der Casa-Wegfall in der nächsten Spielzeit in jedem Fall auswirken. Die Bilanz der ersten Spielzeit will man in Kürze vorlegen. „Wir sind zufrieden“, erklärt Fritz Frömming, Geschäftsführer der Theater und Philharmonie. Gleichwohl müsse man sich verstärkt um die Gewinnung weiterer Abonnenten kümmern, sagt Frömming. Der Vorverkauf beginnt am 15. Juni.

Der Vorverkauf für die Saison 2024/2025 beginnt für Schauspiel, Aalto-Musiktheater und das Aalto-Ballett sowie die Essener Philharmoniker am 15. Juni 2024 an den TUP-Kassen, online auf www.theater-essen.de und telefonisch unter 0201 8122 200.

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