Essen. Das Essener Grillo-Theater zeigt „Hamlet/Ophelia“: Da rollen Totenköpfe die Treppe herunter und verhärten Angst und Hass die Fronten.

Düster ist’s im Staate Dänemark. Dem krisengebeutelten Königreich droht der Untergang, und weil am Ende von Shakespeares Tragödie „Hamlet“ ohnehin fast alle tot sind, zeigt das Essener Grillo-Theater eine „Hamlet/Ophelia“ genannte Variante des Stoffs in Beerdigungsschwarz. Co-Intendantin Selen Kara untersucht die Symptome einer Welt im Verfall.

Wer hinter „Hamlet/Ophelia“ einen feministisch aufgebürsteten Shakespeare vermutet, liegt falsch. Selen Kara gibt der Geliebten des Prinzen lediglich mehr Raum. Statt nur in den Gesprächen anderer, ist sie hier öfter auf der Bühne präsent. Kein Geist, sondern Ophelia berichtet Hamlet, wie Claudius die Krone an sich riss, nachdem er Hamlets Vater ermordete. Die Worte der jungen Frau lassen immer wieder Aktuelles durch den berühmten Text schimmern. Der klingt in der maßvoll modernisierten deutschen Fassung von Angela Schanelec und Jürgen Gosch weiter unverkennbar nach Shakespeare.

Kostümbildnerin Anna Maria Schories mit einer Meisterleistung

Es kostet Konzentration, das wortgewaltige Kammerspiel ganz zu erfassen. Aber die Aufmerksamkeit wird belohnt. Die Regie deutet mit feinem Finger darauf, was geschieht, wenn Vertrauen verloren geht: sowohl im Zwischenmenschlichen (durch die Spitzeleien von Rosencrantz und Güldenstern) als auch mit Bezug auf den Staat und seine Vertreter. Verdächtigungen, Angst und Hass verhärten die Fronten. Manche Verbalschlacht der Konfliktparteien endet in einem Wassergraben am Fuß der breiten Treppe, die den schräg abfallenden Bühnenboden teilt (Bühne: Lydia Merkel).

Wie Kostümbildnerin Anna Maria Schories den Charakter jeder Figur allein durch die Silhouette und die Wahl der Stoffe hervorhebt, ist eine Meisterleistung, ja fast eine kleine Modenschau. Hamlet, der Hypersensible, wirkt in transparenten Oberteilen so vornehm wie fragil, zuweilen beinahe androgyn. Christopher Heisler lässt den Prinzen zwischen Wahrheitssuche und Weltüberdruss changieren: exaltiert, verwöhnt, rebellisch, sarkastisch, blitzgescheit. Selbst in den Talsohlen des Ekels bleibt er ein edler Geist. Ein furioser Verzweiflungskünstler.

Nicolas Matthews und Arshia Pakdel gelingen starke Szenen

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Heisler wird von einem starken Ensemble unterstützt. Beritan Balci ist eine selbstbewusste Ophelia, die den vergrübelten Hamlet zum Handeln antreibt und sich nicht so leicht verunsichern lässt. Mansur Ajang hält als König Claudius verlogene Sonntagsreden, bevor das Schuldbewusstsein ihn zu Füßen von Königin Gertrud drückt. Deren Rolle erfüllt Bettina Engelhardt so lange mit Schein-Ehrbarkeit, bis man sie ihr beinahe abnimmt. Han Nguyen hat es aufgrund geringer Körpergröße nicht ganz leicht, die Rolle des Laertes auszufüllen, wirft sich aber ebenso vehement ins Spiel wie Silvia Weiskopf als Horatio.

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Als Totengräber sowie als Rosencrantz und Güldenstern gelingen Nicolas Matthews und Arshia Pakdel starke Szenen. Wenn Kunstnebel die Treppe herunterfließt und Totenköpfe die Stufen herunterrollen, starrt man wie fasziniert auf das makabre Bild.

Mag der Rest auch Schweigen sein und Ophelia nicht das letzte Wort haben, hallt doch ihr Monolog nach, in dem sie sich zum „Heldenmut der Freiheit“ bekennt: „Meine einzige Rettung ist die Freude. Ich antworte auf all die Niedertracht mit Freude.“

Karten und Termine auf: www.theater-essen.de