Emmerich. Staus auf den Straßen, Schlangen vor den Geschäften: Niederländer stürmen Emmerich, um Feuerwerk zu kaufen. Wie sie den Wahnsinn erklären.
850 Euro zum Verpulvern. Raketen, Chinaböller, hochpreisige Batterien. Mit vollem Portemonnaie und zwei leeren Einkaufswägen steht Thilo vor einem Supermarkt an der Eltener Straße in Emmerich. Es ist stockdüster, erst 7 Uhr am Samstagmorgen und, Verzeihung, arschkalt. Der Niederländer reibt sich aber nicht etwa wegen der Minusgrade die Hände.
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Der 36-Jährige bildet das Ende einer meterlangen Schlange, kann das leuchtende Lidl-Schild nur erahnen. Zwischen ihm und dem ersehnten Sprengstoff stehen viele andere Feuerwerksfanatiker. Drumherum deren Autos – ausschließlich mit gelbem Nummernschild.
Böllerbeauftragter kauft für Nachbarschaft
„3 Uhr aufgestanden, Rückbank ausgebaut, an einer Raststätte gehalten“, blickt Thilo zurück. Ein kleiner Roadtrip von einem Dorf hinter Zwolle bis ins beschauliche Emmerich. Schließlich steht Silvester vor der Tür, „und hier ist Feuerwerk viel billiger“. In seiner Straße werde jedes Jahr jemand zum Böllerbeauftragten erkoren, der kiloweise Knaller in Deutschland einkauft.
Knapp 500 Euro des hohen Budgets habe er bereits bei der Pusteblume gelassen. Stolz würde der 36-Jährige gerne seinen vollen Kofferraum präsentieren, hat aber Angst, seinen Platz in der Schlange zu verlieren. Er versichert aber: „Enorme Knallers.“
Security: „Katastrophe“
Ein langer Rückstau vor Lidl bildet sich schon in den frühen Morgenstunden. Ein junger Mann in gelber Warnweste winkt die Autos nacheinander auf den Parkplatz, sein Kollege bewacht den Eingangsbereich. Wie viele Kunden gleichzeitig hereindürfen? So viele, dass niemand zwischen den Schiebetüren stecken bleibt. Einkaufen nur eng aneinandergepresst möglich.
„Katastrophe“, sagt der 21-jährige Yassin, der sich als Securitymitarbeiter etwas neben seinem Studium dazuverdient. Er sei extra angereist, um bei Lidl auszuhelfen, „ist ein spezieller Tag im Jahr“. Dann wendet er sich auch schon ab, um zwei Drängler zurückzuhalten. „Manche sind gut drauf, andere nicht“, sagt er.
„Die Leute wollten schon immer viel Feuerwerk, aber das ist verrückt“
Für ihn sei Feuerwerk nur Geld, „das explodiert“. Zu laut, auch für die Tiere. In seiner Privatkleidung, vom Konzern mit nichts als einer Warnweste ausgestattet, wechselt er den Posten mit seinem Kollegen. Vom Eingangsbereich auf den Parkplatz, „damit niemand so lange am Stück in der Kälte stehen muss.“ So geht das von 6 bis 21 Uhr.
Pusteblume öffnete um Mitternacht
Ohne Security würde am Samstag auch beim Fireworxxx-Verkauf an der Pusteblume nichts laufen. Seit 22 Uhr am Vortag stehen die Angestellten vor der beleuchteten Halle. Denn: An der Reeser Straße begann das Spektakel bereits um Mitternacht. „Da war der Ansturm riesig. Die Leute wollten schon immer viel Feuerwerk, aber das ist verrückt“, erklärt ein Securitymann.
Anders als bei den Discountern gibt es an der Pusteblume ein buntes Drumherum. Darunter eine eigene Lichtershow samt Feuerfontänen. Toilettenwagen und sogar ein Foodtruck erleichtern das teilweise stundenlange Anstehen zwischen Absperrzäunen. Marek ist gerade 18 geworden, habe sich zum Geburtstag nur Geld gewünscht. Für Feuerwerk. „Boah“, sagt er und zeigt seinem Freund die bunte Verpackung der Batterie „The Great Wall“ für knapp 400 Euro.
Feuerwerk aus Solidarität?
Die großen Produkte können nur mit einem Kärtchen an der Kasse abgeholt werden. Bald hat Marek einen ganzen Stapel davon in der Hand. 50 Schuss Blitz Rums, 36 Raketen im Schnucki Putzi, dazu die Pyrofury. Dann noch „Tischfeuerwerk“, wie der Auszubildende aus Holland unbeeindruckt kleinere Knaller nennt. Woher die Bereitschaft, das Geld in die Luft zu jagen?
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„Ist ein teurer Spaß ja, aber irgendjemand muss es machen“, erklärt der 18-Jährige. Wenn jeder an Silvester spare, springe zum Jahreswechsel kein Funke über. Es sei ein solidarischer Akt, dass er seine Nachbarschaft mit „was zu gucken“ versorge. Nächstenliebe schreiben wohl viele am Samstag groß. So ist noch nicht mal Morgengrauen, als etliche Fahrzeuge kreuz und quer entlang des Grünstreifens vor der Pusteblume stehen.
Sturm und Regen gemeldet
Aus einem hängen nur zwei Beine raus. Mühsam ist ein Niederländer auf die Rückbank geklettert, um den Sprengstoff zu verstauen. „Kofferraum voll“, sagt er lachend. Nur für seine zwei Söhne sei er über die Grenze gefahren. Die fänden das Geknalle zwar laut, „aber aufregend“. Wie viel Geld er bezahlt hat? „Drei- oder Vierhundert bestimmt.“
Übrigens: Für Silvester sind Sturm und Regen gemeldet. Schulterzucken und ein Blick auf die frisch verstaute Ausbeute. „Hoffen wir das Beste.“