Düsseldorf. Waldemar Spier war in den 1930er Jahren im Vorstand von Fortuna Düsseldorf. Doch der jüdische Zahnarzt stand im Visier der Nazis. Was er erlebte.

Die Befreiung des Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz jährt sich am Montag, 27. Januar, zum 80. Mal. Mehr als eine Million Menschen wurden von den Nationalsozialisten dort ermordet. Es gab aber auch Gefangene, für die auch nach der Befreiung durch die Rote Armee die Kraft nicht mehr reichte. Die Mahn- und Gedenkstätte Düsseldorf hat in Zusammenarbeit mit dem Fan-Arbeitskreis „Retrospektive 1895“ die Leidensgeschichte des Düsseldorfers Dr. Waldemar Spier aufgearbeitet. Der jüdische Zahnarzt aus Oberbilk, der auch zu den „Oberen“ der Fortuna gehörte, war nur wenige Monate in Auschwitz inhaftiert und gehörte zu denjenigen Menschen, die befreit wurden. Ein gutes Ende nimmt seine Geschichte deshalb nicht.

Spier wurde am 16. Oktober 1889 in Düsseldorf geboren, studierte als junger Mann Zahnheilkunde in Würzburg. Im Ersten Weltkrieg war er von 1915 bis 1918 als Feldzahnarzt in verschiedenen Lazaretten tätig. 1917 wurde ihm das Eiserne Kreuz verliehen. Nach seiner Rückkehr nach Düsseldorf eröffnete er 1919 seine eigene Zahnarztpraxis an der Kölner Straße in Oberbilk. Irgendwann schloss er sich den Fußballern der Fortuna als Funktionär an. „Seine Rolle bei der Fortuna war wohl sehr bedeutsam, er war eine Zeit lang ein fester Bestandteil der Führungsriege des Vereins“, sagt Bastian Fleermann, Leiter der Düsseldorfer Mahn- und Gedenkstätte, der sich mit der Biografie Spiers befasst hat.

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Die Geschichte von Spier ist auf der Homepage der „Retrospektive 1895“ dezidiert niedergeschrieben. Der Arbeitskreis ist aus der antirassistischen Fanszene der Fortuna entstanden. Die Gruppe hat den Arena-Vorplatz vor der Südtribüne inoffiziell „Dr. Waldemar Spier Platz“ genannt. Zudem steigt regelmäßig ein Fan-Turnier um den Dr.-Waldemar-Spier-Pokal in Düsseldorfer Turnhallen.

Zurück zu 1933: In diesem unheilvollen Jahr wurde die Fortuna zum ersten und bisher einzigen Mal Deutscher Fußball-Meister. In dem Text der Fortuna-Fanorganisation „Retrospektive 1895 heißt es, dass es nicht genau geklärt sei, ob der Oberbilker Mediziner überhaupt im Stadion war, als die Fortuna die damals scheinbar übermächtigen Schalker am 11. Juni im Finale in Köln (60.000 Zuschauer) mit 3:0 besiegte. Fakt aber ist, und das belegen Vereinsprotokolle, dass Spier hochrangiges Fortuna-Mitglied war und zum Spielausschuss gehörte. Es gibt von ihm auch ein Glückwunsch-Telegramm an die Gewinner-Mannschaft.

Juden in Führungspositionen in Sportvereinen „nicht mehr tragbar“

Dr. Waldemar Spier hatte seine Zahnarztpraxis an der Kölner Straße 248 in Düsseldorf-Oberbilk.
Dr. Waldemar Spier hatte seine Zahnarztpraxis an der Kölner Straße 248 in Düsseldorf-Oberbilk. © Mahn- und Gedenkstätte Düsseldorf

Doch auch im Fußball wurde zu dieser Zeit ein unter Nazi-Herrschaft menschenverachtender Kurs eingeschlagen. Bereits am 19. April 1933 veröffentlichte das Fußballmagazin Kicker eine Erklärung des Deutschen Fußball Bundes, dass unter anderem „Angehörige der jüdischen Rasse…in führenden Positionen der Verbände und Vereine nicht mehr tragbar“ seien. Einen Tag später führte der DSC 99 als erster Düsseldorfer Sportverein den so genannten „Arierparagraphen“ ein. Die Katastrophe nahm auch im Sport ihren Lauf.

In diesen immer monströser werdenden Zeiten heiratete Spier im Juni 1934 seine damalige Lebensgefährtin Gertrud Armenat, die als Katholikin dem jüdischen Mediziner zunächst „eine gewisse Form von Schutz“ verschaffte, wie es im Text der „Retrospektive 1895“ beschrieben wird. Diese Ehe galt im Nazi-Sprachgebrauch als „Mischehe“. Spätestens nach den Novemberpogromen 1938 brachen aber auch für Waldemar Spier alle Dämme. Am 10. November wurde er ins Gefängnis gesteckt und ein paar Tage später ins Konzentrationslager nach Dachau deportiert.

Seine vorzeitige Entlassung hatte Spier seiner Ehefrau zu verdanken. Sie schrieb einen Brief an die Gestapo, dass bei der Übergabe der Oberbilker Praxis an einen „arischen“ Zahnarzt ihr Mann dringend anwesend sein müsse. Spier kehrte also nach drei Wochen aus Dachau zurück, bezog mit seiner Gattin eine Wohnung an der Rochusstraße in Derendorf.

Ausnahmegenehmigung der Gestapo als „jüdischer Krankenbehandler“

Es folgten Jahre der Gängelei, immerhin (noch) ohne direkte Todesangst. Spier erhielt 1940 eine Ausnahmegenehmigung der Gestapo als „jüdischer Krankenbehandler“, wurde später als Vorsteher der verbliebenen jüdischen Gemeinde ernannt. Aus Briefen, aus denen im Text der „Retrospektive 1895“ zitiert wird, wird Spier von seinen jüdischen Mitbürgern als Mann beschrieben, der korrekt arbeitete, und der hoffte, noch menschliche Gefühle bei den Nationalsozialisten zu finden, der aber „den Gemeinheiten der Gestapo nicht gewachsen war“.

Am 2. März 1944 wurden Getrud und Waldemar Spier in ihrer Wohnung verhaftet. Der Zahnarzt wurde ins Düsseldorf Gerichtsgefängnis gebracht, später ging es ins Gefängnis an die Ulmenstaße. Im September erfolgte für Spier mit der verbliebenen jüdischen Bevölkerung seine letzte, gleichwohl schicksalshafte Reise - in der letzten Deportation nach Auschwitz. Er wurde auf der Rampe nicht in die Gaskammer geschickt, sondern ins Lager zur Zwangsarbeit gebracht. Die Befreiung des Lagers am 27. Januar 1945 durch die Rote Armee kam für ihn möglicherweise zu spät. Er starb einige Wochen danach, an 2. März an Hungertyphus.

 „Was Spier in den Wochen nach der Befreiung durchgemacht hat, ist nicht überliefert und lässt Raum, um grauenhafte Fantasien loszutreten“, betont Bastian Fleermann im Gespräch mit der NRZ. „Ich habe mir oft die Frage gestellt, was dieser Mann durchgemacht haben muss, dass er einige Wochen nach der Auschwitz-Befreiung stirbt. Trotz Hilfe hat man es scheinbar nicht geschafft, seinen ausgemergelten Körper zu stabilisieren.“

Die Witwe Spiers blieb Zeit ihres Lebens gesundheitlich angeschlagen

Spier ist an seinem Martyrium zugrunde gegangen. Seine Witwe Gertrud war durch die Ereignisse und den Verlust ihres Mannes Zeit ihres Lebens gesundheitlich angeschlagen, das belegen entsprechende ärztliche Atteste aus den Entschädigungsakten. Sie starb 1978, wohl als gebrochener Mensch.

Zum Holocaust-Gedenktag lädt die Stadt Düsseldorf zusammen mit der Mahn- und Gedenkstätte um 11.30 Uhr alle Bürgerinnen und Bürger zur Kranzniederlegung am Deportations-Mahnmal (Ecke Toulouser Allee/Marc-Chagall-Straße) ein. Es gleichzeitig der Auftakt einer mehrmonatigen Gedenkreihe, in dessen Rahmen in der NRW-Landeshauptstadt rund 70 Veranstaltungen stattfinden.

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