An Rhein und Ruhr. Bastian Fleermann warnt der Umdeutung der deutschen Geschichte. Landesintegrationsrat spricht von Ängsten von Migranten.
Die Erschütterungen der tektonischen Verschiebungen in der politischen Landschaft bei den Landtagswahlen in Ostdeutschland sind auch in Nordrhein-Westfalen spürbar. „Wir beobachten den Aufstieg der AfD mit großen Sorgen und Befürchtungen“, sagt Bastian Fleermann, Leiter der „Mahn- und Gedenkstätte für die Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft in Düsseldorf“. Den Rechtsradikalen gehe es um nichts weniger als die Umdeutung der deutschen Geschichte – und ihre Saat trägt bereits Früchte, glaubt Fleermann.
Schon jetzt ist die Düsseldorfer Mahn- und Gedenkstätte immer wieder Anfeindungen ausgesetzt, berichtet Fleermann. In Kommentaren in den sozialen Netzwerken oder Einträgen im Gästebuch werde der Institution vorgeworfen, einem „Schuldkult zu frönen“. Dabei gehe es bei der Arbeit um Bildung und Aufklärung. Aber immer mehr Menschen seien für eine Geschichtsumschreibung offen, in der Deutschland zum Opferland deklariert werde.
Fleermann: In einem langsamen Prozess werden Tabus eingerissen
„Das ist ein langsamer, aber konkret bemerkbarer Prozess, in dem Sprachtabus eingerissen werden.“ Die Veränderung der Erinnerungskultur und Geschichtspolitik seien wichtige Politikfelder für die AfD. Ganz vorne dabei: Der rechtsextreme Thüringer AfD-Chef Björn Höcke, der schon 2017 eine „erinnerungspolitische Wende um 180 Grad“ gefordert hatte.
Dass die AfD jetzt ausgerechnet in Thüringen stärkste Kraft geworden ist, treibt Fleermann besonders um. „Ich frage mich, was mit den Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora geschieht, wenn die AfD größeren Einfluss auf die Stiftungsbeiräte hat.“ Seine Solidarität gehöre dem dortigen Stiftungsdirektor Jens-Christian Wagner, der bereits seit langem im Konflikt mit der AfD sei, weil er den Rechtsextremen untersage, an Gedenkfeiern teilzunehmen.
Keltek: Viele Zuwanderer sind in Sorge, manche in Panik
Auch beim Landesintegrationsrat herrscht Entsetzen über die Wahlergebnisse in Thüringen und Sachsen. „Viele Menschen mit internationaler Familiengeschichte sind in Sorge, manche sind in Panik“, sagt der Vorsitzende Tayfun Keltek. Er wirft den demokratischen Parteien Versagen vor. „Für unsere Demokratie ist das ein schwerer Schlag. Aber diese Entwicklung war vorhersehbar.“
Statt nach dem Brandanschlag in Solingen 1993, dem NSU-Terror oder den Anschlägen in Halle und Hanau entschiedener Rechtsextremismus und Rassismus zu bekämpfen, sei häufig eine „undifferenzierte Politik gegen Zuwanderung“ gemacht worden, beklagt Keltek. Falls die AfD nun auch auf Bundesebene ähnliche Ergebnisse einfahre wie in Ostdeutschland oder gar ihre Deportationspläne umsetze, „dann gute Nacht Deutschland“.
Keltek erinnert daran, dass 15 Millionen Deutsche eine Zuwanderungsgeschichte haben. „Ohne Zuwanderung gibt es keinen Wohlstand“, mahnt er. In Gesprächen merke er viel Verunsicherung, so der Vorsitzende des Landesintegrationsausschusses. Rassismus und Anfeindungen hätten parallel zum Aufstieg der AfD zugenommen. „Jetzt haben viele Menschen Angst, dass es noch schlimmer wird.“