Düsseldorf. Die SPD-Politikerin Zanda Martens blickt mit Sorge auf die Entwicklungen auf dem Düsseldorfer Wohnungsmarkt. Das NRZ-Interview zur Wahl.

Seit 2021 sitzt Zanda Martens für die SPD im Bundestag. Die 40-jährige Juristin kandidiert bei der vorgezogenen Bundestagswahl im Februar erneut um das Direktmandat im Düsseldorfer Norden. Neben ihrer politischen Laufbahn kann Martens auch auf eine lange Laufbahn bei der Verdi und der IG Metall zurückblicken.

Im Interview mit der NRZ spricht die Politikerin über die Lage auf dem Düsseldorfer Wohnungsmarkt, wie sie den Koalitionsbruch in Berlin erlebt hat und warum in Düsseldorf auch ein Blick hinter die schicken Fassaden lohnt.

Frau Martens, nicht nur heute für unser Treffen sind Sie nach Golzheim gekommen. Sie sind häufiger in Ihrer Funktion als Bundestagsabgeordnete hier im Stadtteil unterwegs. Welche Aufgaben ziehen Sie hierher?

Golzheim ist als Stadtteil sehr davon betroffen, dass viele Miethäuser entmietet werden sollen. Viele Mieterinnen und Mieter erhalten hier Kündigungen oder sollen aus ihren Wohnungen herausmodernisiert werden. In Düsseldorf kommen solche Fälle ja sehr oft vor. Hier in Golzheim haben sich aber Mieterinnen und Mieter zusammengeschlossen und festgestellt, dass schon 23 Häuser von einer ähnlichen Problematik betroffen sind. Anfang November gab es hier dann eine Demo durch das ganze Viertel, um darauf aufmerksam zu machen, dass die Situation alle betrifft.

Die Mietsituation in Düsseldorf ist einer Ihrer politischen Schwerpunkte. Welche Entwicklungen und Probleme sehen Sie hier?

Dass es kein Problem der ärmeren Menschen ist. Das Problem ist in der Mittelschicht angekommen, sodass jetzt Leute mit zwei guten Einkommen Angst haben müssen, ihre Wohnung zu verlieren. Tatsache ist, dass in Düsseldorf mehr als 80 Prozent aller Haushalte zur Miete wohnen. Gleichzeitig gibt es immer weniger bezahlbaren Wohnraum und gerade das Wohnen zur Miete wird immer mehr als Ware gesehen, aus welcher der Eigentümer Profit schlagen kann.

Und damit meine ich nicht die kleinen Vermieter, die ein paar Wohnungen haben. Die froh sind, diese zu soliden Preisen vermietet zu haben. Problematisch sind meistens irgendwelche Holdings, mit Sitz auf schönen Inseln, die es überhaupt nicht interessiert, wie es den Menschen hier geht. Die schauen auf ihre Profite und Renditen und so erleben wir, dass Häuser zum Luxus saniert werden und die Mieter mit ihren alten, günstigen Mietverträgen müssen raus. Der Problemen dieser Menschen müssen wir uns annehmen.

Was erleben Sie, wenn Sie mit betroffen Personen sprechen?

Wir erleben, wie Leute wirklich schikaniert und terrorisiert werden. Das sind Menschen, bei denen Schäden in der Wohnung nicht beseitigt werden. Wo Aufzüge, die eigentlich noch funktionieren, plötzlich nicht mehr fahren und gerade jetzt im Winter, dass Heizungen abgestellt oder nicht repariert werden, sodass die Leute frieren müssen. Und ich beschäftige mich mit diesen Einzelfällen schon so lange, dass mir irgendwann klar wurde, das sind keine Einzelfälle – sondern ein Systemproblem. Und das wollen wir auf Bundesebene angehen.

Das klingt nach einem großen Unterfangen. Wie wollen Sie das angehen?

Ich bin in unserer Bundestagsfraktion für das Thema Mietrecht zuständig. Wir versuchen zum Beispiel, die Lücken in unseren Gesetzen zu schließen, und überlegen, wie wir die Instrumente, die wir schon haben, nachschärfen können. Man muss an der Stelle auch sagen, dass wir vielleicht auch deshalb ein Mieterland sind, weil wir eigentlich ein sehr starkes und soziales Mietrecht haben – also, im Vergleich zu vielen anderen Ländern. Allerdings führt die angespannte Situation auf dem Wohnungsmarkt dazu, dass wir mit dem jetzigen Mietrecht an viele Fälle nicht mehr herankommen.

Wenn sich also jemand wirklich zum Ziel setzt, das Haus leer zu bekommen oder die Leute rauszuwerfen, kann es sein, dass das Mietrecht nicht hilft. Deswegen müssen wir da nachschärfen. Etwa durch die Mietpreisbremse, die wir nicht nur verlängern, sondern auch verbessern wollen. Auch wollen wir Eigenbedarfskündigungen insofern einschränken, dass ein Vermieter einer Familie nicht die Wohnung kündigen kann, nur weil weit entfernte Verwandte zweimal im Jahr vorbeikommen und dort übernachten möchten. Aber wir müssen die Gesetze nicht nur nachschärfen, sondern auch diejenigen, die wir bereits haben, umsetzen. Das ist ja keine Raketenwissenschaft. Wir wissen ganz genau, was getan werden müsste, aber dafür braucht es eben auch den politischen Willen und die Mehrheiten. Und leider haben Mieter im Bundestag keine Mehrheit.

„Wir müssen die Gesetze nicht nur nachschärfen, sondern auch diejenigen, die wir bereits haben, umsetzen. Das ist ja keine Raketenwissenschaft.“

Zanda Martens
SPD-Bundestagsabgeordnete

Sie haben ja bereits anklingen lassen, dass die SPD für Mieterinteressen eintritt. Jetzt sind Sie noch gar nicht so lange in der Partei aktiv. War das Mietthema einer der Gründe für Ihren Eintritt?

Ich glaube zwar, dass ich keinen typischen politischen Werdegang habe, aber trotzdem eine ziemlich klassisch sozialdemokratische Herkunft. Ich komme gebürtig aus Lettland und bin dort in einer Arbeiter-Familie aufgewachsen. Meine Eltern haben beide in einem Stahlwerk gearbeitet. Und da habe ich in den Neunzigerjahren den Zusammenbruch der Sowjetunion erlebt und die Privatisierung auch eben dieser Fabrik. Das führte zu wirtschaftlichen Problemen und dazu, dass meine Eltern regelmäßig keinen Lohn ausbezahlt bekommen haben. Beide haben ihr Leben lang Vollzeit gearbeitet und wir hatten trotzdem kein Geld da.

Und das hat mich, auch wenn ich es damals als Kind nicht verstanden habe, politisiert und natürlich viele Gerechtigkeitsfragen aufgeworfen. In Lettland habe ich Jura studiert und nach dem Studium für den Lettischen Gewerkschaftsbund gearbeitet. 2010 bin ich dann nach Deutschland gekommen und habe hier weiter studiert. Und mein Weg hat mich wieder zu den Gewerkschaften geführt. Ich glaube, wenn man einmal gemerkt hat, wie wichtig die Arbeit da ist, bleibt man dabei. In die SPD bin ich 2018 eingetreten, nach der vorletzten Bundestagswahl. In der Partei habe ich mich in verschiedenen Ämtern engagiert und 2021 war die Frage, wer für den Wahlkreis im Düsseldorfer Norden kandidieren will.

Arbeitsrecht und Wohnungsmarkt

Bis zu ihrem Einzug 2021 in den Bundestag war Zanda Martens in verschiedenen Positionen in Gewerkschaften beschäftigt – zuletzt als Gewerkschaftssekretärin für die IG Metall in Krefeld. Die Gewerkschaftsarbeit begann für die gebürtige Lettin bereits nach ihrem Jura-Studium in ihrem Herkunftsland. Seit 2010 lebt Martens in Deutschland, wo sie weiter studierte und ihre Arbeit bei verschiedenen Gewerkschaften weiterführte. Die politischen Schwerpunkte in der politischen Arbeit der 40-Jährigen aus Düsseldorf sind seitdem das Arbeitsrecht sowie die Wohnsituation in in der NRW-Landeshauptstadt.

Die NRZ Düsseldorf stellt in den nächsten Wochen in loser Reihenfolge die Düsseldorfer Bundestagskandidaten der für uns relevanten Parteien vor.

Und seit der letzten Wahl sitzen Sie in Berlin im Bundestag. Wie unterscheidet sich die Arbeit auf Bundesebene von der kommunalen Politik vor Ort?

Der klassische Unterschied ist, glaube ich, dass diejenigen, die bewusst in die Kommunalpolitik gehen, vor Ort und direkt sehen wollen, was ihre Arbeit bewegt. Wenn wir zum Beispiel beschließen, jetzt kommt hier eine Parkbank hin, dann ist die hoffentlich auch bald aufgestellt. Und dadurch hat man schon mehr das Gefühl, meine Arbeit, meine Politik wirkt.

Das ist in Berlin anders. Natürlich passiert auch hier ständig etwas, aber die Prozesse sind länger. Und wenn man seine Ideen einbringt, kann es auch schon mal Jahre dauern, bis was passiert. Das kann auch stark von der jeweiligen gesellschaftlichen Stimmung abhängig sein. Und das darf einen nicht frustrieren, sondern man braucht einen langen Atem und muss an vielen Stellen Überzeugungsarbeit leisten. Angefangen bei den eigenen Kollegen und dann auch bei den Koalitionspartnern.

Gerade Letzteres, die Arbeit mit den Koalitionspartnern, hat ja jetzt gerade gegen Ende nicht mehr so gut funktioniert. Glauben Sie, die am Anfang groß angekündigte Fortschrittskoalition ist an ihren Ansprüchen gescheitert?

Ich glaube, die Koalition hatte sich viele fortschrittliche Dinge vorgenommen. Und ich bin mir sicher, dass wir ohne den Krieg in der Ukraine, der damit einhergehenden Energiekrise und der steigenden Inflation auch noch mehr davon hätten umsetzen können – dann eben in einer ganz anderen gesellschaftlichen Stimmung. Das können wir aber jetzt nicht mehr ändern. Aber gerade im gesellschaftspolitischen Bereich konnten wir einige Gesetze umsetzen. Etwa beim Staatsbürgerschaftsrecht oder dem Selbstbestimmungsgesetz. Aber natürlich ist das jetzt etwas in den Hintergrund geraten.

Zanda Martens MdB
Zanda Martens MdB im Wahlkreisbüro der SPD in Düsseldorf. © FUNKE Foto Services | Olaf Fuhrmann

Sicher auch dadurch, dass die Koalition jetzt so öffentlich zerbrochen ist. Wie ist es ihrer Meinung nach zu dem Bruch gekommen?

Einer der Punkte war sicher das Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das unseren ganzen Finanzplan über den Haufen geworfen hat und all die Pläne, die alle drei Koalitionsparteien hatten. Das hat dazu geführt, dass die großen Unterschiede, die es zwischen den Partnern ja nachweislich gibt, stärker zutage getreten sind. Wenn genug Geld da ist, fällt es schon leichter, Kompromisse zu finden. Als die Finanzierung dann nicht mehr aufging und wir zugegebenermaßen keine Alternative hatten, haben sich dann die fundamentalen Unterschiede insbesondere zwischen FDP und uns gezeigt. Ganz besonders bezüglich der Rolle und Stärke des Staates.

Wahrscheinlich war es dann nur noch eine Frage der Zeit, bis der Bruch kam. Aber wir wären sehr wahrscheinlich bereit gewesen, die Arbeit bis zur nächsten Wahl durchzuziehen. Aber die FDP hatte zu dem Zeitpunkt ja schon monatelang geplant, wie sie die Koalition möglichst spektakulär auseinanderbrechen kann. Und ich glaube Olaf Scholz, dass er bis zum Ende versucht hat, das Ganze zusammenzuhalten, trotz der Kritik auch aus der eigenen Partei. Ich glaube nicht, dass ihm das leicht fiel, aber er war da eben der Vermittler.

„Die FDP hatte zu dem Zeitpunkt ja schon monatelang geplant, wie sie die Koalition möglichst spektakulär auseinanderbrechen kann.“

Zanda Martens

Bleiben wir doch direkt bei Problemen, die unter der Oberfläche rumoren. In Düsseldorf gibt es einige soziale Brennpunkte, gleichzeitig hat die Stadt ein sehr glänzendes Image. Sehen Sie hier Konfliktpotential?

Das habe ich auch festgestellt. Dieses Bild von Düsseldorf – das Schickimicki und Co. Das ist nicht das Ganze. Es gibt in der Stadt auch ganz andere Realitäten. Und ich und auch meine Partei wollen Politik für die Menschen machen, die eben nicht mit dem Porsche auf der Kö unterwegs sind. Darum sehe ich diese anderen Realitäten umso öfter. Ich höre die Geschichten von Menschen, die sich um ihre Existenz sorgen. Angefangen bei der Wohnungsnot. Aber auch die finanzielle Situation wird schlechter. Und ich frage mich, wie sich die Situation der Leute in der Zukunft entwickelt. Denn bei einem bin ich mir sicher – wenn man ein bisschen am Lack kratzt, dann ist auch in Düsseldorf nicht alles so rosig.

Gehen wir mal davon aus, dass sie nochmal vier Jahre nach Berlin gehen. Was steht auf Zanda Martens Agenda?

Aktuell versuchen wir erstmal noch, die Themen, die dringend und wichtig sind, durch den Bundestag zu bringen. Und sollte die Union aus partei- oder wahlkampftaktischen Gründen nicht bereit sein, diese wichtigen Entscheidungen mitzutragen, dann sind das schon automatisch die Themen, die in der nächsten Legislaturperiode oben auf unserer Agenda stehen. Das sind vor allen Dingen Gesetze im sozialen Bereich, wie die Kindergrundsicherung. Eines unserer wichtigsten Wahlversprechen beim letzten Mal war die Erhöhung des Mindestlohns auf zwölf Euro. Das haben wir relativ schnell geschafft. Jetzt stehen 15 Euro im Raum.

Allgemein wollen wir schauen, wie wir uns auf die großen Umbrüche vorbereiten, die das Land in der Zukunft erleben wird. Die kommen auf unsere Industrie zu und auf unsere Energieversorgung. Auch da muss man heute schon vorsorgen, sodass da eine ausreichende Finanzierung für die notwendigen Investitionen gesichert ist. Dafür braucht es die entsprechenden Mehrheiten und deshalb werde ich in den kommenden Wochen jede freie Minute und Stunde dafür nutzen, um möglichst viele Menschen von mir und meinen Inhalten zu überzeugen.

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