Düsseldorf. Düsseldorf: Das Theater an der Kö feiert 30-jährigen Geburtstag. Leiter René Heinersdorff spricht im Interview über Schwierigkeiten in der Branche.

30 Jahre war René Heinersdorff alt, als er 1994 das Theater im Parterre der Schadow-Arkaden eröffnete. Trotz warnender Augurenrufe. In diesen Tagen feiert sein „Theater an der an der Kö“ selbst den runden Geburtstag. Den Mann, der heute bundesweit sechs Boulevard-Theater leitet, äußert sich im Interview auch zur Zukunft der Branche.

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Herr Heinersdorff, Ihr Theater feiert 30. Geburtstag. Ist das Theater an der Kö damit erwachsen?

Erwachsen werden finde ich für ein Theater immer falsch. Damit meine ich nicht das „Kindheit in die Tasche stecken“-Postulat, sondern die Aufforderung, albern, politisch nicht immer korrekt, schräg phantasierend und unlogisch zu sein. Ich persönlich bin erwachsener geworden, weil es im Laufe von 30 Jahren Theaterleitung nicht wenige Ernüchterungen gab.

Sie waren so alt, wie das Theater heute, als Sie damit anfingen. Wie fühlen Sie sich damit?

Die Ernüchterungen darüber, dass man mit einem (für Wirtschaftler nicht nachvollziehbarem) Risiko, im Vergleich zu den staatlichen Kulturinstitutionen, seine Existenz eher gefährdet, als sichert, kann nach 30 Jahren nicht übersehen werden. Zumal meine Mitarbeiter und ich in Personalunion etliche Aufgaben erledigen müssen, die woanders personell mit Steuergeldern abgedeckt sind.

Bereuen Sie denn den Schritt, den Sie und Ihre Mutter (Barbara Heinersdorff) damals gingen und in den Schadow Arkaden das Theater eröffneten? Das war doch bewundernswert.

Der große Theatermann Jürgen Schitthelm, Gründer und Inhaber der Schaubühne Berlin, hat mal in etwa gesagt, dass er die Eröffnung eines Theaters im Nachhinein nicht als Mut bezeichnen kann, sondern als an Dummheit grenzenden Leichtsinn. Ich kann dem schwer widersprechen.

Warum?

Weil Sie nicht nur einmal im Jahr um viele Parameter kämpfen müssen. Um den Mietvertrag, die Mitarbeiter, die Schauspieler und nicht zuletzt das Publikum. Wir beknien Schauspieler, bei uns zu spielen mit Ideen, Geld und guten Worten und müssen dann hoffen, dass wir auf das richtige Pferd gesetzt haben, damit sich das Publikum unseren Quatsch anschaut. Und das alle sechs Wochen neu. Es gibt kein wirkliches Wochenende, kaum freie Abende und immer ist irgendwo Gefahr in Verzug.

Wie hat sich für Sie – heute als Betreiber von sechs Theatern – auch die Lage der Boulevard-Theater verändert?

Ich glaube nach, wie vor, dass eine Großstadt ein Boulevardtheater braucht. Es hat – nicht aus Mangel an Zuschauerzuspruch, sondern – durch die Gier einiger Vermieter, die steigenden Kosten bei Gagen und Energie und durch die mangelnde Erkenntnis der öffentlichen Hand, dass dieses Genre auch „Entwicklungshilfe“ benötigt, bundesweit, trotz voller Häuser, ein Sterben an diesen privat getragenen Theatern gegeben. Als ich anfing, gab es ca. 20 dieser baugleichen Häuser, heute sind es ein Drittel weniger.

Ein Drittel davon etwa haben Sie übernommen. München, Köln, Düsseldorf, Essen, Bielefeld, Neuwied. Hatten Sie anfangs ein solches Boulevard-Imperium im Kopf?

Nein, ich habe immer gedacht, ich gehöre in EIN Haus und leite das, wie ein Papa-Intendant, auch wenn ich es liebe unterwegs zu sein und bis heute auch außerhalb meiner Häuser gerne arbeite. Viele denken: der ist größenwahnsinnig, der spinnt und sammelt Theater. Mindestens drei dieser Häuser würden ohne dieses Netzwerk nicht mehr existieren. Wir sind auch mit den anderen Städten, wie Berlin, Hamburg, Karlsruhe und Stuttgart enger zusammengerückt und tauschen uns aus. Dass diese Häuser als Einzelkämpfer nicht überleben können, hat ja die Düsseldorfer Komödie gezeigt.

Sind Besucher-Organisationen (z.B. die Volksbühne) stabilisierend?

Ohne die hervorragende Arbeit der Düsseldorfer Volksbühne, die sich zum Glück (seit Werner Sesterhenn da ist) stärker auf ihre Kernkompetenz konzentriert, gering schätzen zu wollen: Natürlich ist es toll, wenn Zuschauer rekrutiert werden; Als ich anfing, waren es immer zwischen 50 und 150 Besucher der Volksbühne am Abend, heute weniger als die Hälfte. (was zum einen mit einer allgemeinen Abo-Müdigkeit, zum anderen aber auch mit der jahrelangen Beliebigkeit des Angebots zu tun hat). Allerdings geben wir die Karten mit einer starken Reduktion ab, die kaum wirtschaftlich ist. Für privat getragene Theater ist es eine Art Sponsoring.

Der Regisseur René Heinersdorff, aufgenommen im Theaters an der Kö.
Der Regisseur René Heinersdorff, aufgenommen im Theaters an der Kö. © dpa | Horst Ossinger

Haben Sie, als kreativer Kopf, als „Pate“ des Boulevards (Mitglied im PEN-Club und Vorsitzender der Privattheater im Deutschen Bühnenverein) Strategien, um auch jüngeres Publikum zu locken und nicht als verstaubt zu gelten?

Das Bestreben, nicht nur des Boulevards, „jüngeres“ Publikum ins Theater zu locken, kenne ich, seit ich Theater mache. Die Themen des Theaters werden mit steigender Lebenserfahrung einfach brisanter. Natürlich haben sich auch am Boulevard Inhalte und die Ästhetik verändert, sind frecher geworden, theatralischer und mutiger. Die Protagonisten sind in die Jahre gekommen und sowohl logistisch, als auch handwerklich müssen wir für den Nachwuchs nachrüsten. Die „Jüngeren“ sind für viele Theater schon die 40-Jährigen.

Nachrüsten? Ihre Saison beginnt mit Busse, Tom Gerhard und dann KARDINALFEHLER mit den Rentner-Cops Mockridge und Volle. Sind das nicht alte Bekannte?

Wir versuchen den Spagat. Die Stücke sind alle von aktuellen Autoren und werden bundesweit gespielt. Alle Stücke erzählen generationsübergreifende Geschichten, meist zum explosiven Dauerthema Familie. Nach den eben erwähnten Stücken, kommen drei thematisch sehr junge Stücke mit neuen Gesichtern (z. B. Natalia Avelon, Frederike Linke, Moritz Lindberg) und vielen anderen. Klar, dass wir in dieser Jubiläumssaison auf die Pauke hauen wollen.

Können Sie das verstärkt seit der Pleite Ihres früheren Konkurrenten, der „Komödie“? Hätte man das Traditions-Theater an der Steinstraße irgendwie retten können?

Bis heute steht das Gebäude, das ja angeblich abgerissen werden sollte. Man hätte ohne Weiteres seit bald 3 Jahren dort weiter Theater spielen können. 25 Jahre haben wir nebeneinander gut existiert. Ich habe die KOMÖDIE schon bei Ingrid Braut und Alfons Höckmann nie als Konkurrenz gesehen. Wir haben fast mit allen Direktionen kollegial zusammengearbeitet. Ich finde es schade, dort nach der Vorstellung nicht mehr ein Alt trinken zu können. Und: die Stadt hätte sicher anders Einfluss nehmen können, das Haus zu retten. Ich hatte mehrfach eine Fusion angeboten, aber die jeweiligen Leitungen kamen immer dann darauf zurück, wenn es eigentlich zu spät war.

Was reizt Sie daran, in Ihre eigenen Stücke (z.B. „Komplexe Väter“) persönliche Lebens-Erfahrungen verweben?

Diese Saison sind es sogar zwei. Abgesehen davon, dass das Schreiben mein eigentlicher Broterwerb ist, (in der Statistik des Deutschen Bühnenvereins, werde ich in 2 von 3 Kategorien unter den 10 meist gespielten Autoren geführt) ist es mir ein therapeutischer Spaß, Dinge, die mich bewegen, in welche Richtung auch immer, komödiantisch auszufantasieren, weiter zu kalkulieren und möglichst ein HAPPY END zu finden.

Sie lassen auch wieder einen französischen Autor zu Wort kommen. Ist das eine Vorliebe?

Paris hat dauerhaft etwa 30 Theater, die sehr boulevardeske – das Wort Boulevard ist ja französisch – Programme zeigen. Viele Autoren sind sehr kompatibel für uns. Und da findet sich oft was. Mit einigen bin ich sogar befreundet. Diese romantische Komödie könnte genauso in Flingern, Gerresheim oder Oberkassel spielen. London hat in diesem Genre stark nachgelassen.

Welche Pläne für die Zukunft haben Sie als Autor, Regisseur und Theaterdirektor?

Ich würde gerne zentrierter arbeiten und die Vernetzung der Häuser, die ich leite, stärker so gestalten, dass die Ergänzungen noch besser greifen. Das gibt mir die Möglichkeit die Supervision effektiver zu erledigen und verschafft mir Zeit. Zum Schreiben. Zum Träumen. Und vielleicht, um nochmal ganz andere Theateraufgaben zu übernehmen.  

Und als Schauspieler?

Wer will, kann mich im Kölner Theater am Dom bis Mitte November in ACHTSAM MORDEN auf der Bühne sehen.

Und als Vater von vier Kindern?

Unbedingt mehr Zeit mit den Kindern.

Würden Sie gerne einem Ihrer Kinder eines Tages das Theater an der Kö übergeben? Und mit ihm/ihr dann den 50. Geburtstag des Hauses feiern?

Ich kann keinem Kind zu meiner Laufbahn und zur Leitung eines unsubventionierten Theaters guten Gewissens raten. Mein System (oder Nicht-System) ist unübertragbar. Wenn es einer dennoch will, komme ich gerne zur 50-Jahrfeier. Als Zuschauer.

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