Voerde. Ein Ehepaar baut in Voerde ein Haus – und wird dabei von der Tecklenburg-Insolvenz überrascht. Wie es für sein Bauvorhaben weitergeht.
Raus aus dem Trubel der großen Stadt, weg aus der Mietwohnung an einer viel befahrenen Straße in Duisburg-Buchholz: Als Madita und Daniel Abbing sich 2023 auf die Suche nach Wohneigentum in ländlicheren Gefilden, aber schon mit entsprechender Infrastruktur machen, landet das Ehepaar in Voerde. Dort steht zu dem Zeitpunkt eine Bestandsimmobilie zum Verkauf. Zu einer Besichtigung aber kommt es gar nicht, ein anderer erhält den Zuschlag. Dennoch: Voerde hat das Interesse der Eheleute geweckt.
Bei einer Fahrt durch die Stadt ist da gleich ein „Heimatgefühl“, sagt Madita Abbing. Und als sie an der Friedrichsfelder Straße das Bauschild sehen, auf dem die Entstehung eines neuen, großen Wohnquartiers angekündigt wird, ist es im Nu um sie geschehen. Gleich am Montag nach der Tour rufen sie beim Investor, der Firma Tecklenburg, an. Kurz darauf, im Juli 2023, machen sie alles fix für ihren Traum vom Eigenheim. Statt ein Haus zu kaufen, wie es ihr ursprünglicher Plan war, muss jenes nun erst noch entstehen. Dem Ehepaar, das einen fünfjährigen Sohn hat, fehlt in Duisburg-Buchholz der Kontakt zu den Nachbarn. „Wir haben nie richtig Anschluss gefunden“, erzählt Madita Abbing. Auch hat ihnen das Anonyme in der Stadt zu schaffen gemacht. „Unsere Traumvorstellung ist es, in einer Siedlung zu leben, in der alle zusammenkommen“, sagt sie weiter. Diese Hoffnung verbinden sie und ihr Mann damals auch mit dem Tecklenburg-Projekt in Voerde.
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Doch die anfängliche Euphorie soll nur ein halbes Jahr später einen massiven Dämpfer bekommen. Bei der Grundsteinlegung im August ist noch alles eitel Sonnenschein. Und auch in den darauffolgenden Monaten deutet zunächst einmal für die Eheleute nichts auf finanzielle Schwierigkeiten des Bauträgers mit Sitz in Straelen hin. „Es lief alles sehr rund“, berichtet Madita Abbing. Für sie und ihren Mann Daniel war es sehr spannend und erfreulich, den Baufortschritt an ihrer Doppelhaushälfte mitanzusehen. Im Dezember dann steht bereits der Dachstuhl – und das Ehepaar aus Duisburg wundert sich, dass kein Richtfest angesetzt ist. Das wäre ihm aus guter alter Tradition wichtig gewesen.
Der Bauträger lässt wissen, dass ein Sammeltermin für alle Häuser kommen soll, wie die Abbings berichten. Schließlich flattert kurz vor Weihnachten die Rechnung für das Dach ins Haus, obwohl noch keine Ziegel drauf sind. „Es ist vertraglich festgelegt, dass die Zahlungen nach Bauabschnitten, die fertiggestellt sind, erfolgen“, erklärt Daniel Abbing. Anfang Januar 2024 ist das Dach ihm zufolge zu 80, 90 Prozent fertig. Die Eheleute zahlen die komplette Rechnung, obwohl noch einige Ziegel und die Fenster fehlen. Sie ahnen nicht, dass wenig später der große Knall kommt: Am 10. Januar wird öffentlich, dass die Firma Tecklenburg einen Insolvenzantrag gestellt hat.
Die Abbings trifft diese Nachricht „aus heiterem Himmel“. Sie sind wie vom Donner gerührt. „Das ist das, wovor wir immer Angst hatten“, sagt Madita Abbing. Eine lange, quälende Zeit der Ungewissheit beginnt. In diesem Jahr, Ende Juli, sollte ihr Haus fertiggestellt sein, wobei eine Karenzzeit von sechs Wochen galt, wie Daniel Abbing erläutert. Seit jenem 10. Januar ist auf der Baustelle nichts mehr passiert. Die beauftragten Firmen haben ihre Arbeit seither eingestellt. Im April wird das Insolvenzverfahren schließlich eröffnet. Die Nachricht, „dass Tecklenburg seine Immobilienprojekte in Düsseldorf und Ratingen mit Unterstützung der jeweils finanzierenden Bank fertigstellen wird“, schürt die Hoffnung, dass es auch in Voerde weitergehen könnte. Doch dieser Wunsch erfüllt sich nicht. Ende Mai folgt die Ernüchterung: Das Bauprojekt auf dem Gelände an der Friedrichsfelder Straße gegenüber der Polizeiwache wird nicht fortgesetzt. Genau dies wird Madita und Daniel Abbing schriftlich mitgeteilt. „Ab da hatten wir es Schwarz auf Weiß. Es geht nicht weiter für uns – zumindest nicht mit Tecklenburg“, sagt die 37-Jährige.
Sie und ihr Mann sind mit dem fünfjährigen Sohn inzwischen nach Friedrichsfeld gezogen, wohnen dort bis auf Weiteres zur Miete. Das Ehepaar möchte, dass das Kind sein letztes Kindergartenjahr in jener Stadt verbringt, in dem künftig sein Lebensmittelpunkt sein soll. Der Junge soll sich an die neue Umgebung gewöhnen können, bevor er nächstes Jahr in Voerde die Grundschule besucht. Eigentlich würde die junge Familie jetzt in ihren eigenen vier Wänden nahe der Innenstadt leben. Doch dort ist nach wie vor Baustelle. Fassade und Dämmung fehlen noch, das Dach muss fertiggestellt werden, der komplette Innenausbau steht an, darüber hinaus muss das Gelände aufgeschüttet, der Garten angelegt werden. Auch fehlen die Rigolen und die Garagen. Es ist also allerhand zu tun.
Auf der Baustelle in Voerde herrscht seit Monaten Stillstand
Der monatelange Stillstand auf der Baustelle geht ins Geld. Das Ehepaar zahlt Miete, muss monatlich den Kredit tilgen und Zinsen zahlen. Für den Kreditanteil, der nicht abgerufen wird, würden in ihrem Fall ab Ende des Jahres „Bereitstellungszinsen“ anfallen, wie Daniel Abbing erklärt. Er und seine Frau, beide sind als Beamte in Düsseldorf tätig, wollen nicht nur deshalb, dass es auf der Baustelle bald weitergeht. „Wir möchten vor dem Winter das Haus dicht haben“, erklärt Madita Abbing, sprich, Dämmung, Fassade, Dach, Fenster und Außentür sollen bis dahin fertig sein. Auch die direkten Nachbarn in der Haushälfte nebenan wollen weitermachen, sagt sie.
Die Freigabe zur Übertragung des Eigentums von Tecklenburg auf das Ehepaar durch den Insolvenzverwalter ist erfolgt. Und auch die Baugenehmigung von der Stadt Voerde wurde am Montag namentlich umgeschrieben, „sodass wir endlich jetzt ganz bald weiterbauen können“, sagt Madita Abbing erwartungsvoll. Nun muss beim Amtsgericht Dinslaken noch der Eintrag in das Grundbuch vollzogen werden. Die Eheleute hoffen, dass die Bearbeitungszeit „nicht so lange dauert“. Denn: „Die Zeit drängt“, betont Daniel Abbing mit Blick auf den nahenden Winter.
Der 34-Jährige und seine Frau haben sich mit drei Optionen zum weiteren Vorgehen beschäftigt: Der erste Gedanke, das Objekt abzustoßen, sei schnell vom Tisch gewesen. Dies wäre mit einem hohen finanziellen Verlust verbunden gewesen. Die gezahlte Grunderwerbssteuer hätten sie nicht wiederbekommen. „Wir müssen da durch“, meint Madita Abbing. Zweite Option: Das Ehepaar macht quasi alles auf eigene Faust, beauftragt jede einzelne Firma mit den noch auszuführenden Gewerken. Das Problem: Beide arbeiten in Vollzeit – Beruf, Kind sowie die Arbeit auf der Baustelle kontrollieren. „Das ist einfach zu viel“, sagt Daniel Abbing. Die dritte Möglichkeit ist, ein neues Bauunternehmen zu beauftragen und alles in eine Hand zu geben. Dies wiederum sei teurer, „als wenn man es selbst macht“. Am Ende hat sich das Ehepaar für eine Mischung aus Variante zwei und drei entschieden, indem es die Fertigstellung in die Hand eines neuen Bauunternehmers legt und für die noch anstehenden Dacharbeiten und gegebenenfalls einzelne, kleinere Gewerke selbst jeweils eine Firma beauftragt.
Etwa 70 Prozent des Kaufpreises haben Madita und Daniel Abbing bislang für ihren Traum vom Eigenheim gezahlt. Der Listenpreis für eine Doppelhaushälfte ohne Sonderwünsche lag nach ihren Angaben bei 433.000 Euro. Nun bleibt abzuwarten, wie hoch die Rechnung am Ende insgesamt sein wird. Durch die ab Ende des Jahres anfallenden Bereitstellungszinsen, die Miete für ihre Wohnung und die bereits komplett gezahlte Rechnung für das noch unfertige Dach haben die Eheleute schon heute hohe finanzielle Verluste zu verzeichnen. Sie überlegen, womöglich aus Kostengründen erst einmal Abstriche beim neuen Haus zu machen.
Das Ehepaar treibt viele offene Fragen um
Und noch etwas treibt Madita und Daniel Abbing um: „Leben wir lange Zeit auf einer Baustelle? Werden die Straßen erst angelegt, wenn alles verkauft und bebaut ist?“ Die öffentlichen Wege bis zu den Grundstücksgrenzen der Häuser würden von der Stadt errichtet. Das Gleiche gelte für das Aufstellen der Laternen an den Straßen. Angesichts der Nachfrage ist das Ehepaar zuversichtlich, dass am Ende das komplette Gelände weiterentwickelt wird. „Ich glaube nicht, dass wir 20 Jahre lang auf einer Baustelle leben werden“, sagt Madita Abbing.
Das Baugebiet wird nach Entscheidung des Insolvenzverwalters vom bisherigen Investor nicht weiter vermarktet. Bereits laufende Bauvorhaben können durch die Käufer in Eigeninitiative fortgeführt werden, hieß es Ende Mai 2024. Diese Option eben haben auch die Abbings. In Besitz des Unternehmens Tecklenburg „befindliche Grundstücke werden im Laufe des weiteren Insolvenzverfahrens im Sinne der bestmöglichen Gläubigerbefriedigung zum Verkauf angeboten. Der Prozess läuft“, öffentlich könnten dazu keine Angaben gemacht werden, erklärt Thomas Feldmann, Pressesprecher des Insolvenzverwalters, auf NRZ-Anfrage.
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Auf dem Gelände an der Friedrichsfelder Straße stehen heute insgesamt vier Wohngebäude. Der Fertigungsgrad ist augenscheinlich in etwa derselbe. Sieben Doppelhaushälften seien verkauft, eine weitere Hälfte diene als Musterhaus, berichtet das Ehepaar Abbing. Im Zuge des ersten Bauabschnitts sollten 16 Doppelhaushälften realisiert werden. Zudem stehen auf einem Grundstück teils die Mauern im Erdgeschoss des dort geplanten Gebäudes, in zwei weiteren Bereichen ist jeweils die Baustelle abgesteckt. Mit der Errichtung des ersten von insgesamt sieben Mehrfamilienhäusern wurde nicht mehr begonnen.
„Es bringt nichts, den Kopf in den Sand zu stecken. Wir müssen schauen, dass wir gut aus der Sache herauskommen.“
Auch wenn seit dem 10. Januar 2024 „das eine oder andere Tränchen geflossen“ sei, und sie „einige Nerven gelassen“ hätten – aufgeben wollen Madita und Daniel Abbing nicht: „Es bringt nichts, den Kopf in den Sand zu stecken. Wir müssen schauen, dass wir gut aus der Sache herauskommen“, sagt die 37-Jährige. Sie und ihr Mann sind trotz allem zuversichtlich: „Sicher ist, dass wir einziehen werden – die Frage ist nur, wann und wie“, meint Daniel Abbing. Ihren kleinen Sohn wird es freuen. Er fragt seine Eltern regelmäßig, wann das Haus fertig wird. Schließlich haben die ihm ein Schlafzimmer und einen Raum nur zum Spielen versprochen – klar also, dass der Kleine den Einzug gar nicht abwarten kann...