Voerde. NRW-Kommunen können für Wohn- und Gewerbegrundstücke unterschiedliche Hebesätze ansetzen. Warum die Stadt dies ablehnt und was sie kritisiert.

Für die Kommunen ist sie eine wichtige – weil auch in der Höhe verlässliche – Einnahmequelle: die Grundsteuer B. Rund 8,5 Mio. Euro flossen darüber zuletzt jährlich ins Voerder Stadtsäckel. Der Hebesatz liegt seit 2016 bei 690 v.H. – hier zeichnet sich angesichts der zum 1. Januar 2025 umzusetzenden Grundsteuerreform allerdings eine Veränderung ab. Die Stadt Voerde sieht, wie berichtet, mit Hinweis auf die „erkennbare Reduzierung“ der Grundsteuermessbeträge insgesamt die Notwendigkeit, die Hebesätze anzupassen, um hier die gleichen Einnahmen zu erzielen wie bisher. Das Finanzamt Dinslaken hatte dazu vor wenigen Wochen Empfehlungen gegeben. Verzichtet Voerde auf eine Hebesatz-Anpassung, würde dies nach jetzigem Stand der Dinge Mindereinnahmen von rund 1,3 Mio. Euro im Jahr bedeuten. Dies sei in der aktuellen Haushaltslage nicht zu kompensieren, heißt es vonseiten der Stadt.

Hebesatz-Empfehlungen

Das Finanzamt Dinslaken hatte unlängst auch die für Voerde empfohlenen Grundsteuer-Hebesätze veröffentlicht. Dort sind vier Werte zu finden, die wie folgt aussehen:

Die Grundsteuer A (Land- und Forstwirtschaft) würde in Voerde von 300 v.H. auf 467 v.H. steigen.

Die Grundsteuer B (Baugrundstücke, bebaut und unbebaut) würde in Voerde auf 806 v.H. angehoben. Aktuell liegt der Hebesatz bei 690 v.H.

Bei differenzierten Hebesätzen würden bei der Grundsteuer B 685 v.H. für Wohngebäude angesetzt und 1229 v.H. für Nicht-Wohngebäude.

Auch wenn der von der Finanzverwaltung empfohlene oder der vom Stadtrat beschlossene Hebesatz höher ist als bisher, heiße das nicht automatisch, dass alle Bürgerinnen und Bürger auch mehr Grundsteuer zahlen. Denn: Aufgrund eines Urteils des Bundesverfassungsgerichts „mussten die Bewertungsgrundlagen für die Grundsteuer bundesweit geändert werden“, erklärt Dagmar Reussmann, Leiterin des Finanzamtes Dinslaken. Bei der Frage, wie viel Grundsteuer im Einzelfall zu zahlen sei, komme es neben dem Hebesatz und der Steuermesszahl auch auf den Grundstückswert an.

Welchen Weg Voerde nunmehr gehen soll, diese Entscheidung obliegt dem Rat. Bei der Grundsteuer B gibt es zwei Optionen: Entweder es wird, wie bisher, ein einheitlicher Hebesatz erhoben oder ein differenzierter. Letzteres bedeutet, dass zwischen Wohn- und Nichtwohngebäuden unterschieden wird. Die Möglichkeit, einen differenzierten Hebesatz festzulegen, hat die Landesregierung geschaffen. Das NRW-Finanzministerium begründet diese den Städten und Gemeinden angebotene Option damit, dass es durch das Bundesmodell für die Grundsteuerreform zu einer Verschiebung kommen könnte: Demnach würden private Haushalte künftig mehr belastet als Eigentümerinnen und Eigentümer von Nichtwohngrundstücken.

Die Voerder Verwaltung teilt diese Einschätzung. Es sei davon auszugehen, „dass es zu einer Menge an Verwerfungen“ kommen werde, stellte Bürgermeister Dirk Haarmann kürzlich im Haupt- und Finanzausschuss fest. Kämmerer Alexander Hauser sprach davon, dass sich die Steuerlasten verändern werden – für mehr Menschen „zum Negativen“. Auch verwies er auf eine Belastungsverschiebung bei den Wohngebäuden „von neu zu alt“. Die von ihnen zu zahlende Grundsteuer B können Haus- und Wohnungseigentümer an die Mieter komplett weitergeben.

Trotz der eigenen Feststellung, dass es landesweit und über alle Gemeindegrößenklassen „zu einer systematischen Belastungsverschiebung“ weg von nicht zu Wohnzwecken genutzten Grundstücken und hin zu den zu Wohnzwecken genutzten Grundstücken komme, hält die Stadt die Option, bei der Grundsteuer B einen differenzierten Hebesatz zugrundezulegen, für keinen gangbaren Weg. Sie argumentiert mit dem „Klagerisiko“.

Es bestehe die Rechtsauffassung, „dass der differenzierte Hebesatz nicht gerichtsfest ist“, erklärt Bürgermeister Dirk Haarmann auf NRZ-Nachfrage. Doch die Sorgen der Kommunen und kommunalen Spitzenverbände würden „einfach weggewischt“. Auch führt Haarmann „den erheblich höheren Verwaltungsaufwand“ an, der seiner Aussage nach mit einem differenzierten Hebesatz bei der Grundsteuer B einherginge.

Die Voerder Verwaltung, nach deren Ansicht die Grundsteuerreform eine „grundsätzlich notwendige Maßnahme“ ist, um die „Steuerbemessung zu modernisieren und gerechter zu gestalten“, übt nicht nur Kritik an der Methodik, sondern auch am „Abschieben von Problemen“. Dies sei kein kommunal gemachtes Thema, vielmehr werde es vom Bund an die Länder und von dort an die Städte und Gemeinden weitergespült, konstatierte Bürgermeister Haarmann im Haupt- und Finanzausschuss.

Kämmerer Hauser ergänzte wenig später, dass das Land „einen rechtlich und inhaltlich komplexen Sachverhalt auf die Kommunen abgewälzt“ habe. Das NRW-Finanzministerium sieht die Sache naturgemäß anders, verweist darauf, dass die Städte und Gemeinden „mehr Entscheidungsspielräume“ hätten. Sie könnten nunmehr dort, „wo es nötig und gewünscht ist, die Hebesätze so anpassen, dass weder Wohn- noch Nichtwohngrundstücke übermäßig stark belastet werden“.

Voerde setzt bei der Erhebung der Grundsteuer A (für land- und forstwirtschaftliche Grundstücke) und der Grundsteuer B aber weiterhin auf einheitlich und allgemein anzuwendende Hebesätze. Dabei hat sie zwei Handlungsoptionen im Blick. Bei Variante 1 würde sie die Hebesätze gegenüber dem Vergleichsjahr 2023 insoweit anpassen, als dass sie die gleichen Einnahmen wie bisher erzielt. Bei der zweiten Variante würde darauf verzichtet und die möglichen Mindereinnahmen bei der Grundsteuer würden dadurch ausgeglichen, dass der Hebesatz der Gewerbesteuer angehoben wird. Die Krux dabei: Die Gewerbesteuer ist konjunktur- und ertragsabhängig, wie Bürgermeister Dirk Haarmann deutlich macht. Die Grundsteuer dagegen ist eine für die Städte und Gemeinden kalkulierbare Einnahmequelle.