Voerde. Nach dem verkündeten Stopp für das neue Wohnquartier in der Innenstadt tun sich auch bei der Politik viele Fragen auf. Das sind ihre Erwartungen.
Auf dem großen Gelände an der Friedrichsfelder Straße gegenüber der Polizei herrscht seit vielen Monaten Stillstand. Am Rande des Bauzauns steht das Unkraut hoch, in den ausgehobenen großen Bodenflächen hat sich das Regenwasser zu kleinen Seen gesammelt. Es ist das Bild, das sich Passanten knapp sieben Monate nach Bekanntwerden der Nachricht bietet, dass die Firma Tecklenburg, die dort ein neues Wohnquartier umsetzen wollte, zahlungsunfähig ist. Anfang der Woche – fast drei Monate nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens am Amtsgericht in Kleve – dann der Paukenschlag: Es wird öffentlich, dass das Tecklenburg-Bauvorhaben „Live Green Voerde“ nicht fortgesetzt wird. So hat es der Insolvenzverwalter entschieden.
78 Doppelhaushälften und sieben Mehrfamilienhäuser mit jeweils 19 Eigentumswohnungen sollten auf dem rund 4,3 Hektar großen Gelände entstehen. Im Juni 2023 begannen die ersten Erschließungsarbeiten auf dem Grundstück, das sich vor dem Verkauf im Besitz der Vivawest befand. Ende August erfolgte die Grundsteinlegung, keine fünf Monate später stellte die Firma Tecklenburg einen Antrag auf Insolvenz. Benachbart zu den bestehenden Häusern an der Straße „Waldacker“ wurde mit der Errichtung von fünf Doppelhaushälften begonnen – vier befinden sich in einem fortgeschrittenen Rohbauzustand. Der Dachstuhl ist drauf, die Dachziegelarbeiten wurden nicht zu Ende geführt, hier und da klaffen noch Lücken. Die Baugerüste sind inzwischen weg, genauso der riesige Baukran. Die fünfte Doppelhaushälfte steht gerade mal im ersten Maueransatz.
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Die bereits begonnenen Bauvorhaben können die Eigentümer in Eigenregie fortsetzen. Diese Maßnahmen würden aus der Insolvenzmasse herausgelöst, erklärte Bürgermeister Dirk Haarmann am Dienstag im Haupt- und Finanzausschuss. Dort formulierte er nicht nur die Hoffnung, sondern auch die Erwartung, dass die Bebauung auch auf dem restlichen Grundstück weitergeführt wird. Aufgabe des Insolvenzverwalters sei es, Käufer zu finden. Die Stadt sieht er nicht in der Lage, Flächen zu erwerben.
Auch aufseiten der Voerder Politik gibt es nach dem verkündeten Aus des Tecklenburg-Projekts klare Forderungen: WGV-Fraktionschef Christian Garden hofft sehr, „dass sich alle Akteure ihrer Verantwortung bewusst sind und danach auch handeln“. Es gehe um nichts weniger als Glaubwürdigkeit. Sofern Verantwortung richtig verstanden werde, bestünde die Chance einer Fortführung. Für die Stadt Voerde und die mit der Bauleitplanung verbundenen Ziele wäre eine Nicht-Fortsetzung aus Gardens Sicht eine „mittlere Katastrophe“, die hoffentlich nicht eintritt. Auch verleiht er seiner Hoffnung Ausdruck, dass ein am Ende unumkehrbares Aus für Käuferinnen und Käufer nicht den „finanziellen Ruin“ bedeutet.
Fragen nach weiterer Verdichtung
„Dramatisch“ findet CDU-Fraktionschef Ingo Hülser die Entwicklung insbesondere für jene, die womöglich schon Zahlungen getätigt haben oder deren Häuser sich bereits im Bau befinden. Letztere können zwar in Eigenregie weitermachen, hingen aber in der Luft, weil sie nicht wissen, ob es in ihrer Nachbarschaft weitergeht oder ob sie dauerhaft „auf einer Baustelle leben“ müssen, erklärt er auf NRZ-Anfrage. Auch stellt sich aus seiner Sicht die Frage, wann sie über eine reguläre Straße zu ihren Grundstücken gelangen können: „Bleibt da nur eine Baustraße?“, wollte Hülser im Haupt- und Finanzausschuss wissen. Die Erste und Technische Beigeordnete der Stadt, Nicole Johann, antwortete wenig später mit der aus ihrer Sicht bestehenden Ausgangsfrage: „Wann macht es Sinn aus einer Baustraße eine richtige Straße zu machen?“
Alles sei noch in der Schwebe, sagt auch SPD-Fraktionschef Uwe Goemann, der den Projekt-Stopp sehr bedauert. Dass die Tecklenburg GmbH Insolvenz anmelden würde, damit habe er nicht gerechnet. Die Firma habe schließlich einen Namen. Ähnlich argumentiert FDP-Fraktionschef Bernd Benninghoff gegenüber der NRZ: Er habe bisher nur Gutes von diesem Familienunternehmen gehört. „Dass das Projekt in Voerde nicht weitergeführt wird, erscheint mir logisch, weil jetzt der Insolvenzverwalter die Entscheidungen trifft, und Grundlage dieser Entscheidung ist das Insolvenzrecht und sind nicht mehr die Belange des Unternehmens oder unserer Stadt“, erklärt Benninghoff. Sein Kollege Goemann sieht „vielleicht die Chance, dass ein Wohnungsanbieter einsteigen könnte“ und dann „etwas Ordentliches entsteht“.
UV-Politiker: Firmen und Privatleute haben sich von Nullzinsphase einlullen lassen
Dass die Stadt die Flächen kauft, das sieht der SPD-Fraktionschef nicht. Auch für Stefan Meiners stellt dies keine Option dar. Der Fraktionschef der Unabhängigen Voerde (UV) zeigt sich von der Entwicklung wenig überrascht: Viele (Bau-)Unternehmen, aber auch Privatleute hätten sich von der „Nullzinsphase einlullen lassen und die Auswirkungen werden wir die nächsten Jahre noch sehr deutlich spüren – im industriellen wie im privaten Umfeld“. Weil die Geldgeber von Projekten wie dem in Voerde bemüht seien, „keine oder so geringe Verluste wie möglich zu machen, wird man versuchen, eine Möglichkeit zur Fortsetzung zu finden“. Die Entwicklung sei bitter, aber „leider kein Einzelfall“.
„Unsere Erwartung ist, dass die Bebauung fortgeführt wird.“
Die mögliche künftige Entwicklung des Grundstücks durch einen neuen Investor – oder mehrere – sei durch den geltenden Bebauungsplan eng begrenzt, erklärte Bürgermeister Haarmann in der Ausschusssitzung. Die Stadtverwaltung sieht die Gefahr einer „erheblichen Verdichtung“ nicht. Gleiches gelte für die Gebäudehöhen – die seien festgesetzt, hieß es im Ausschuss. Sollte der Insolvenzverwalter einen neuen Investor für das Grundstück finden, haben die Freidemokraten die Hoffnung, „dass sich dieser dann auch weitgehend an die vorhandene Planung anpasst“, erklärt FDP-Fraktionschef Bernd Benninghoff gegenüber der NRZ. Es bleibe jetzt abzuwarten, welche Fortschritte es in dem Insolvenzverfahren gebe und ob es dem Insolvenzverwalter gelinge, „einen passenden neuen Projektentwickler und Investor für die verbliebene Fläche zu finden“.
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Die Fraktion von Die Partei erwartet die weitere Entwicklung „mit Spannung“, erklärt deren Vorsitzender Daniel Zielinski. Es handele sich schließlich um eine sehr große Baufläche, „mit viel Potenzial vor allem junge Familien nach Voerde zu bekommen. Das kann die Stadt gut gebrauchen“. Zielinskis Hoffnung ist, „dass vor allem für die geplanten Wohnungen zeitnah Investoren gefunden werden, unsere Stadt hat bezahlbareren Wohnraum aus Sicht unserer Fraktion nötiger als noch mehr Einfamilienhäuser“. Aber auch für die „gehobeneren Bebauungen“ wünscht sich Zielinski eine erfolgreiche Suche nach Investoren, „die dann auch den gefassten Plänen folgen, um die Fläche möglichst positiv zu entwickeln“.