Essen. Am 17. Januar 1979 wurde im westlichen Ruhrgebiet zum ersten Mal Smogalarm ausgelöst. Der Essener Grünen-Politiker Rolf Fliß erinnert sich.
„Smog bedrohte das Revier“ titelte die NRZ am 18. Januar 1979, einen Tag, nachdem die Behörden zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik Smogalarm, Warnstufe eins, ausgelöst hatten. Im westlichen Ruhrgebiet und am Niederrhein waren Essen, Bottrop, Mülheim, Oberhausen, Duisburg, Krefeld, Moers und Teile des Kreises Wesel betroffen. Straßen wurden gesperrt, alle 30 Minuten kam im WDR-Radio in mehreren Sprachen eine Durchsage und Menschen mit Atemwegserkrankungen sollten zuhause bleiben – aber die meisten Bürger nahmen die Situation gelassen.
Schlechte Luft und Nebel kannten sie im Ruhrgebiet schon lange, der Rauch strömte seit Anfang des 19. Jahrhunderts fast ungehindert aus den Schloten der Hütten und Kokereien. Und der damalige NRW-Arbeitsminister Friedhelm Farthmann sprach beim Smogalarm nur von einer reinen „Vorsichtsmaßnahme“.
Manchmal dauerte der Smog mehrere Tage
Doch bereits seit Stunden, warnte der WDR am Morgen des 17. Januar, liege der Schwefeldioxid-Gehalt in der Luft über den Grenzwerten. Schuld war eine sogenannte Inversionswetterlage, an windstillen Wintertagen kam es vor, dass sich eine warme Luftschicht etwa 300 Meter über dem Land festsetzte. Sie verhinderte, dass die Abgase aufsteigen konnten, so dass sie dunstartig über dem Boden hängen blieben. Für die Menschen im Revier war diese Situation nichts Neues, manchmal dauerte der Smog mehrere Tage. Das Wort setzt sich aus dem englischen smoke (Rauch) und fog (Nebel) zusammen.
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Auch wenn die meisten Einwohner des Revier den Smog klaglos hinnahmen, tötete er hier bereits 1962 mehr als 150 Menschen. Langzeitschäden an Lunge und anderen Organen wurden bekannt. Die NRW-Regierung erließ in diesem Jahr ein Gesetz, um die Luftverschmutzung zu bekämpfen, sie stellte Messstationen auf und legte Fahrverbotszonen für den Ernstfall fest. In Wirklichkeit änderte sich aber erst einmal wenig.
In den 1970er-Jahren erstarkte die Öko-Bewegung in Deutschland
Das Smog-Problem rückte erst in den 1970er-Jahren durch das Erstarken der Öko-Bewegung wieder mehr in den Vordergrund, 1973 beschloss der Bundestag das Immissionsschutzgesetz. NRW verringerte die Grenzwerte für den Smogalarm auf 0,8 Milligramm Schwefeldioxid pro Kubikmeter Luft: Niedriger als in der ersten Verordnung, aber noch immer mehr als das Eineinhalbfache von heute. Auch die Kohlekrise und viele bereits geschlossene Zechen verhinderten nicht, dass dieser Grenzwert 1979 dann zum ersten Mal überschritten wurde.
Rolf Fliß, der Grünen-Ratsherr und ehrenamtlicher Bürgermeister in Essen ist, erinnert sich genau an diesen Tag vor mehr als 42 Jahren. Der heute 61-Jährige studierte damals Jura an der Ruhr-Universität Bochum und war mit Bus und Bahn unterwegs. Der 19-Jährige schnappte sich seine Kamera und machte in Essen viele Bilder des besonderen Ereignisses. „Der Geruch ist mir im Gedächtnis geblieben“, erzählt Fliß. „Es roch schwefelig und es war sehr diesig. Es kamen Tröpfchen herunter und auf der Haut lag eine leichte Feuchtigkeit, man spürte das auch in der Lunge“, erinnert er sich. Das sei schon „gespenstisch“ gewesen. „Passanten tauchten aus dem Dunst auf und verschwanden wieder.“
„Die Abfahrten wurden zu Parkplätzen“
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Überall habe man die Durchsagen gehört, es seien aber trotzdem einige Menschen unterwegs gewesen. „Die Leute mussten ja arbeiten, mein Vater wäre auf keinen Fall wegen so etwas zu Hause geblieben“, sagt Fliß. Viele innerstädtische Straßen wurden aber für den Autoverkehr gesperrt. „Auf der A40 (damals A430) lief der Verkehr, doch auf den Abfahrten mussten die Fahrer ihre Wagen stehen lassen. Die Abfahrten wurden so zu Parkplätzen und die Menschen mussten in ihre Stadtteile laufen“, so Fliß, der damals wie heute in Rüttenscheid lebt. „Das fand ich schon bemerkenswert.“
Einige stiegen auf den ÖPNV um. „Das hat gut funktioniert, die Straßenbahnen haben ihren Takt erhöht und fuhren - ohne Pause zu machen - durch die Wendeschleifen und sofort wieder zurück. Großartig!“ In Aufregung seien die Einwohner damals nicht verfallen. „Wir im Ruhrgebiet sind ja ohnehin recht entspannt, aber die Verwandtschaft von außerhalb rief schon an, um zu fragen, ob wir noch leben“, erinnert sich der Bürgermeister.
Schon früh in Sachen Umwelt- und Naturschutz unterwegs
Für den Studenten war der Smogalarm nicht das erste Mal, dass er sich mit Schadstoffen, Natur- und Umweltschutz auseinandersetzte. Bereits mit 15 Jahren engagierte er sich in der Bürgerinitiative Aktionsgemeinschaft A31, der es zwischen 1973 und 1982 gelang, den Ausbau der Autobahn zwischen Bottrop und Bonn zu verhindern.
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Die neue Strecke hätte auch durchs Hexbachtal, das im Grenzgebiet zwischen Essen, Mülheim und Oberhausen liegt und Naturschutzgebiet ist, verlaufen sollen. „„Meine Bürgerinitiative Essener Aktion gegen Umweltzerstörung e.V. hatte damals über 1500 Mitglieder und war sicher mit der Aktionsgemeinschaft A31 einer der Vorläufer der Grünen“, sagt Fliß. So hatten wir uns u.a. zum Ziel gesetzt, den Norden der Stadt ebenso schön zu machen wie den Süden Essens.
15.000 Bäume gepflanzt – und über jeden einzelnen Buch geführt
1979 lösten Behörden zum ersten Mal Smogalarm im Revier aus
Das sollte vor allem durch das Pflanzen von Bäumen erreicht werden. „Ein älterer Mitschüler vom Helmholtz-Gymnasium nahm mich mit nach Altenessen, da haben wir dann wilde Baumpflanzaktionen durchgeführt“, erzählt er. Seitdem hat Fliß nicht mehr aufgehört mit dem Pflanzen - und bis heute über jede einzelne Aktion Buch geführt. Rund 15.000 Bäume hat er mittlerweile in die Erde gesetzt. „Es war die Zeit des Waldsterbens und von Pseudokrupp und der Schornsteine ohne Entschwefelungsanlage“, so Fliß. „Für mich klang es sehr plausibel, dass wir dringend Emissionen reduzieren und den Umweltschutz verstärken müssen.
So wurde er auch Teil der Dellwiger „Interessengemeinschaft gegen Luftverschmutzungsschäden und Luftverunreinigung“ (IGLU), nahm an Anti-Atomkraft- und Friedensprotesten teil und war beim Gründungsparteitag der Grünen 1980 in Karlsruhe dabei. In die Partei trat er erst einige Jahre später ein. „Wir wollten bei der Energiewende Pioniere sein“, sagt Fliß, der 1984 bei den Kommunalwahlen in Essen erstmals gewählt wurde und seitdem durchgehend in verschiedensten Kommunalparlamenten sitzt. „Alle Themen von heute – ÖPNV-Ausbau, E-Mobilität, alternative Energien, die Suche nach Atomendmülllagern – haben damals ihren Ursprung und sind weiterhin aktuell.“
Fliß hat sich dem Kampf gegen den Klimawandel verschrieben
Seine aktuelle fünfjährige Amtszeit will er ganz dem Klimawandel widmen. „Wir müssen viel schneller agieren“, sagt er. Die Unterstützung durch die Fridays-for-Future-Proteste sei dabei besonders wichtig. „Ich hoffe, dass die Bewegung nach der Corona-Krise genauso stark zurückkommt.“
Zurück kam in den 1980er-Jahren auch der Smog ins Revier. Zwar war die Inversionswetterlage, die am 17. Januar 1979 zum ersten Smogalarm geführt hatte, nach knapp zehn Stunden zu Ende. Leichter Wind kam auf, die Abgase zogen ab. Doch fast auf den Tag genau sechs Jahre später, am 18. Januar 1985, wurde – wieder im westlichen Ruhrgebiet – zum ersten Mal die höchste Warnstufe drei ausgelöst. Mit weit gravierenderen Folgen als beim ersten Mal: Straßen wurden gesperrt, Schüler durften zuhause bleiben, Krankenhäuser stockten ihre Sauerstoffvorräte auf.