Duisburg. 1977 trat die Bürgerinitiative der Duisburger Rheinpreußensiedlung zum ersten Mal in den Hungerstreik. Zunächst schien der Kampf aussichtslos.
Hunger. Keine Nahrung. Tagelang. Der unerbittliche Kampf für den Erhalt ihrer Häuser erreichte für die Bürger der Rheinpreußensiedlung in Duisburg 1979 einen nervenaufreibenden Höhepunkt, zwei Jahre, zuvor im Frühling 1977, hatte er so richtig begonnen. Jene Homberger Siedlung, die im Zuge der Zeche Rheinpreußen 1889 aus der Taufe gehoben wurde, stand vor dem Aus. Sie wurde gebaut, um Wohnraum für die zahlreichen Arbeitskräfte zu schaffen, die steigende Kohleförderung ließ den Bedarf stetig wachsen. Bis zu 1800 Wohneinheiten entstanden, überwiegend Vier-Familien-Häuser. Zu diesem Zeitpunkt ahnten die Bewohner noch nicht, dass dieser Wohnraum auch wieder verschwinden sollte – und viele von ihnen als Gegenwehr ganze 18 Tage am Stück hungerten. Ein Rückblick.
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Das große Zechensterben in den 1960er-Jahren machte sich auch in Homberg bemerkbar. Kleinere Zechen, die nicht rentabel waren, mussten schließen. Bergleute verloren reihenweise ihre Anstellung. Die scheinbare Lösung kam 1969: Mit der Gründung der Ruhrkohle AG (RAG) brachten die Zechengesellschaften ihre Zechen in dieses Unternehmen ein.
Großzügige Flächensanierungen sollten Profit bringen
Die Siedlungen blieben jedoch in ihrem Besitz. „Überall im Ruhrgebiet griffen Bauspekulanten zu, um mit ‘großzügiger Flächensanierung’ Profite machen zu können“, heißt es in einer Chronik der Rheinpreußensiedlung aus dem Jahr 1995. Heißt: Die Siedlung sollte dem Bau von Hochhäusern weichen. Diese brachten mehr Miete ein. „Siedlungsbewohner verloren ihre Wohnungen, in denen viele von ihnen von Geburt an lebten. Das vertraute Umfeld und jahrzehntealte Nachbarschaften wurden zerstört.“
Es war der Bauspekulant Kun, der die Siedlung schließlich kaufte. Als Kind lebte er selbst in der Rheinpreußensiedlung. Von Verbundenheit war aber nur wenig zu merken: Bis 1968 ließ er rund 1200 Wohnungen abreißen, bis zu 20 Stockwerke hohe Hochhäuser nahmen ihren Platz ein. Finanziert über Kredite, stand Kun 1973 vor dem Bankrott – 700 Millionen DM Schulden hatte er.
Bewohner nannten Einschätzungen von Experten „menschenverachtend“
„Den Gläubigerbanken, die ihr Geld wiederhaben wollten, war kein Konzept zu schäbig“, heißt es in der Chronik. So forderte die BHF-Bank, dass sämtliche Bewohner ihre Wohnungen verlassen müssten, die restlichen 600 Wohnungen sollten ebenfalls abgerissen werden. Bungalows für Besserverdiener waren geplant. Als „menschenverachtend“ bezeichneten die Siedler die Einschätzung „sogenannter Experten“. Denn diese forderten in einem Gutachten: „Ja, Abriss der Häuser, aber ‘die wertvolle Bausubstanz müsse erhalten’ bleiben“. Als dieser Plan im Mai 1975 publik wurde, war er der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Die wütenden Bürger der Siedlung schlossen sich zu einer Bürgerinitiative zusammen.
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Ihr Ziel: Den Abriss verhindern, die Wohnungen als Mietwohnungen erhalten. „Wir führten in der Bürgerinitiative viele Aktionen durch, und es ging dabei zu wie beim Rennen zwischen Hase und Igel: Wer war schneller?“, steht in der Chronik. „Waren es die Gläubigerbank, der Konkursverwalter und die Bezirkspolitiker, die die Mieter rausklagen, die Wohnungen vergammeln und abreißen lassen wollten? Oder waren wir es, die immer mehr Druck auf die Politiker und die Öffentlichkeit ausüben mussten, um sie für unsere Interessen wachzurütteln?“
Erhalt der Häuser: Demonstrationen, Mahnwachen, Hungerstreiks
Die Liste der Aktionen war lang: Versammlungen, um die Duisburger Öffentlichkeit zu informieren, Demonstrationen, Mahnwachen, Besetzung einer verwahrlosten Wohnung, die zum Abriss bestimmt war, Blockade eines Abrissbaggers. Und: Insgesamt traten die Mitglieder der Initiative drei Mal in den Hungerstreik. Zum ersten Mal 1977 vor dem Duisburger Rathaus. Aussichtslos. „Im Jahr 1978 schienen wir das Rennen zu verlieren. Da die Stadt Duisburg inzwischen ein Abrissverbot erlassen hatte, blieben die Siedlungshäuser stehen. Aber die BHF-Bank begann mit der Privatisierung der Häuser und verkaufte einzelne Haushälften an Außenstehende“, heißt es.
Die Verdrängung der Siedler schritt voran, es kam zu unmenschlichen Gesprächen, wie ein Zitat eines Bewohners in der Chronik zeigt: „Da steht ein Ehepaar vor der Tür und sagt zu mir: Wir haben ihre Wohnung gekauft und wollen hier rein. Sie sind doch Friedhofsgemüse. Die paar Jahre, die Sie noch haben, können Sie doch ins Altersheim gehen.“
18 Tage dauernder Hungerstreik: Land und Stadt knickten ein
Eine dritter Hungerstreik im Februar 1979 war der letzte Versuch, etwas zu bewirken. Die Mitglieder der Initiative versammelten sich vor dem Rathaus. Einen Zeitrahmen gab es nicht, der Streik war unbefristet. Erst, wenn Stadt und Land die restlichen Wohnungen kaufen und als Mietwohnung für die dort lebenden Menschen sichern würden, sollte der Streik beendet werden. 18 lange Tage dauerte es, bis endlich die erlösende Antwort kam: Land und Stadt knickten ein, 411 Wohnungen waren als Mietwohnungen gesichert.
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Das Problem: Viele Wohnungen waren in einem schlechten Zustand, die Eigentümer hatten in die zum Abriss bestimmte Siedlung keinen Pfennig mehr investiert. Modellhaft hat ein Unternehmen einige Wohnungen modernisiert – die Mieten stiegen sprunghaft. Auch das war den Bewohnern ein Dorn im Auge: Sie wollten niedrige Mieten zahlen, wollten, dass ihre Eigenleistungen, die sie jahrzehntelang in die Wohnungen investiert hatten, anerkannt werden. „Da kam der Vorschlag aus dem Ministerium: ‘Dann macht es doch selbst und gründet eine Genossenschaft’“. Gesagt, getan. Seit dem 1. Juli 1985 verwalten die Bewohner der Rheinpreußensiedlung ihre Wohnungen selbst. Bis heute.