An Rhein und Ruhr. 1978/1979 erlebte Deutschland einen Winter, wie er nur selten vorkommt. NRZ-Leser schilderten noch Jahrzehnte später ihre Erinnerungen.
Weihnachten 1978. Es ist ungewöhnlich warm, statt Schnee fällt Regen vom Himmel. Im Norden braut sich allerdings Unheil zusammen. Eine Eisfront zieht von Schweden heran und prallt schließlich am 28. Dezember mit der Warmluftfront über Schleswig-Holstein zusammen, schiebt sich dann in den Tagen darauf langsam Richtung Süden. Mancherorts rauscht die Temperatur binnen weniger Stunden um mehr als zwanzig Grad in den Keller, der Regen verwandelte sich in einen Schneesturm. Es ist ein Wintereinbruch, wie er nur selten vorkommt.
„Norddeutschland versank im Schnee”, titelt die NRZ am 30. Dezember 1978 und berichtet in den folgenden Tagen über einen Zusammenbruch des Verkehrs auch an Rhein und Ruhr, über eingeschneite Fahrzeuge auf unpassierbaren Autobahnen, über eingeschlossene Ortschaften in Schleswig-Holstein, den Zusammenbruch der Stromversorgung, Chaos bei der Bahn, Panzer der Bundeswehr, die Kranke in Kliniken transportierten, den Stillstand des öffentlichen Nahverkehrs auch an Rhein und Ruhr.
17 Menschen in beiden Teilen Deutschlands verloren ihr Leben
Meteorologen schwärmen noch Jahrzehnte später von einer „spannenden und interessanten Wetterlage“ um den Jahreswechsel 1978/1979. Viele Menschen empfanden diesen Wintereinbruch jedoch als ein katastrophales Naturereignis, das sie vor enorme Herausforderungen stellte und das sich ihnen tief ins Gedächtnis einbrannte. Mindestens 17 Menschen in beiden Teilen Deutschlands verloren ihr Leben, viele Nutz- und Haustiere erfroren oder starben, weil sie beispielsweise nach den Stromausfällen nicht mehr gemolken werden konnten.
Winter 1978- Als das Leben im Schnee stecken blieb
Wie dramatisch dieser Wintereinbruch waren, zeigen Berichte, die NRZ-Leserinnen und Leser einschickten, als wir dreißig Jahre später an den Jahrhundertwinter erinnerten.
Etwa der einer Dame aus Kamp-Lintfort, die mit ihren beiden Töchtern und ihrem Foxterrier „Sir“ die Tage in ihrem Mobilheim auf einem Campingplatz im sauerländischen Valmetal verbrachte. Dem armen Hund fror bei minus 30 Grad trotz Heizung die Pfote in seinem Hundenapf ein. Die Eier für die Frikadellen musste sie mit einem Hammer aufschlagen, weil sie gefroren waren. Erst ein SOS-Ruf an den Ehemann, der in Kamp-Lintfort Dienst schieben musste, brachte nach zwei Tagen die Erlösung und die Befreiung aus der Eiswüste.
Strecke von Alpen nach Kamp-Lintfort dauerte eine Stunde
Eine andere Leserin aus Oberhausen berichtete vom Heldenmut ihres Gatten. Sie hatte am 28. Dezember ihre Tochter zur Welt gebracht. Als der große Schneefall einsetzte, hoffte sie inständig, dass ihr Mann sich nicht auf den Weg ins Krankenhaus machen würde. Er kam trotzdem, holte sogar Wickelauflage und Badewanne von einer Firma in Sterkrade ab, die sich geweigert hatte, die Utensilien auszuliefern.
Auch eine Leserin aus Moers brachte in diesem Winter eine Tochter zur Welt, einige Tage später, am 12. Januar. Die Fahrt von Alpen, wo sie damals wohnte, ins Krankenhaus nach Kamp-Lintfort, blieb ihr immer in Erinnerung: Es sei „ein Himmelfahrtskommando” gewesen. Ihr Mann und sie seien kaum vom Hof gekommen, für die Fahrtstrecke hätten sie über eine Stunde gebraucht. Normal sind 15 Minuten. Das Kind kam ohne Hebamme zur Welt. Die Frau war wegen des Schnees zu spät gekommen.
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Für einen Leser aus Moers kam der Winter 78/79 besonders ungünstig. Der damals 28-Jährige hatte sich mit seinen Eltern gestritten, war von Zuhause ausgerissen und obdachlos - und das bei Temperaturen im zweistelligen Minusbereich. Zum Glück kam er bei einem Bauern in einer Scheune unter, wo er gemeinsam mit dessen Hund im Heu schlief. Morgens wusch er sich das Gesicht mit Schnee musste sich dann den Weg freischaufeln.
Oberhausener bei der Bundeswehr - Nachtwachen bei bis zu minus 35 Grad
Schneeschaufeln, das war in diesem Rekordwinter überall im Norden Deutschlands angesagt. Bilder von damals zeigen Autos, die unter meterhohen Schneeverwehungen begraben sind. Ein Leser aus Oberhausen war damals bei der Bundeswehr. Mitte Januar sollte er zu einer Schießübung in den Harz fahren. Er fuhr wie durch einen Tunnel voll Schnee, auf beiden Seiten der Straße türmten sich die Schneemassen bis zu vier Metern in die Höhe. Zum Schießen kamen er und seine Kameraden nicht, sie mussten schüppen. Besonders heftig: die Nachtwachen bei bis zu minus 35 Grad.
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Sogar der Diesel bei Autos fror bei der sibirischen Kälte ein, wie Leser berichteten. Eine Leser aus Dinslaken erinnerte sich an den Jahreswechsel: „Wir wollten mit unserer Clique bei meiner Schwester in Gahlen feiern. Die Anreise aus Duisburg war recht beschwerlich, denn es hatte so heftig geschneit, dass selbst Autobahnen kaum geräumt werden konnten.” Sie kamen aber wohlbehalten an. Allerdings fehlte ein wichtiger Gast. Die Schwester, die mit ihrem Mann kommen und ein Fass Bier mitbringen wollte. Gegen 20 Uhr rief die Schwester aus einem kleinen Dorf bei Kalkar an, ihr betagter Diesel-Pkw versagte den Dienst, weil der Diesel eingefroren war. „Also zögerte ich nicht lange und machte mich mit meinem wintertauglicheren, aber schon in die Jahre gekommenen VW 1600 auf den Weg. Es schneite noch immer dicke Flocken, und ich kam mir vor, als würde ich durch eine einsame Tundra dahinschleichen.” Er pickte die beiden auf. „Etwa zehn Minuten vor dem Jahreswechsel erreichte ich mit meinen beiden Gästen und dem Fass Bier dann endlich wieder Gahlen und unsere Feier konnte beginnen.“