Hamburg. Hamburger Hafenwirtschaft klagt über weniger Ladung und Wettbewerbsnachteile – drei Gründe für Negativtrend. Kurzarbeit angemeldet.
Das Jahr 2023 dürfte für den Hamburger Hafen verloren sein. Nachdem das Ladungsaufkommen in den ersten Monaten im Vergleich zum Vorjahr deutlich zurückgegangen ist, gehen die Experten auch fürs Gesamtjahr nicht mehr von einem Wachstum aus.
„Wir werden in diesem Jahr kein Wachstum haben, sondern ein Minus. Einige wenige Branchen wie der Handel mit Getreide, Futtermitteln und Düngemitteln wird davon unberührt bleiben. Aber für alle anderen Umschlagsarten prognostizieren wir eine negative Entwicklung“, sagt Gunther Bonz, Präsident des Unternehmensverbands Hafen Hamburg, im Gespräch mit dem Abendblatt.
Hafen Hamburg: Kein Wachstum in 2023 – Ist der Hafen bald nur noch Provinz?
Das schlage sich auch auf die Arbeit nieder. „Der Gesamthafenbetrieb hat für einige der etwa 1000 Beschäftigten seit Juni bereits Kurzarbeit angemeldet. Inwieweit noch einzelne weitere Betriebe folgen, bleibt abzuwarten.
Ich kann nur sagen: Die Unternehmen versuchen alles, durch flexible Arbeitszeitmodelle und weitere Maßnahmen zu verhindern, dass sich diese Flaute im Hafen weiter auf den Arbeitsmarkt verbreitet.“
Hamburger Hafen macht in diesem Jahr Minus: Drei Gründe für den Negativtrend
Bonz nennt drei Gründe, die für den Negativtrend verantwortlich seien. „Das eine ist die Rezession, von der wir nicht wissen, wie lang sie anhält, aber sicher noch weit ins kommende Jahr hinein. Das zweite ist der schreckliche Ukraine-Krieg. Durch die Embargos der USA und der EU ist der wichtige Handelspartner Russland für den Hamburger Hafen weggefallen.
Das Dritte ist, dass wir an wesentlichen Wettbewerbsnachteilen gegenüber unseren europäischen Konkurrenten leiden. Diese Probleme sind hausgemacht und haben zur Folge, dass wir eine schlechtere Entwicklung haben als unsere Wettbewerber.“
Deshalb glaubt der Verbandschef auch nicht an eine schnelle Erholung der Situation: „Selbst wenn der Krieg so schnell wie möglich beendet wird, was wir alle hoffen, werden die Embargos gegen Russland erst einmal verhängt bleiben, und man wird Russland zu weitreichenden Reparationsleistungen verpflichten. Das bedeutet aber, dass dieser Staat für die nächsten Jahre als Handelspartner weitgehend ausfällt.“
Hamburg hat Wettbewerbsnachteile gegenüber Rotterdam und Antwerpen
Angesichts der Umstände hält Bonz es für fatal, dass die deutschen Häfen im Vergleich zu ihren europäischen Wettbewerbern nicht gleich behandelt würden, sondern sogar im europäischen Recht hinterherhinkten: „Die Einfuhrumsatzsteuer wird nur in deutschen Häfen in dem Moment fällig, wo die Ware die Kaikante berührt. In allen anderen europäischen Häfen wird diese Steuer erst fällig, wenn die Ware beim Endkunden ankommt. Dazwischen können mehrere Monate vergehen. Die Zwischenkosten tragen die Spediteure und Reeder nur bei Importen über deutsche Seehäfen.“
Mehrere Speditionen würden ihre Ladung allein aus diesem Grund nicht mehr über Hamburg, sondern über Rotterdam und Antwerpen steuern. „Der Bund ist sich seit Jahren darüber im Klaren, und es ist mir unverständlich, warum dieses immer noch nicht behoben ist, obgleich die Ampelkoalition in Berlin sich dafür ausgesprochen hat“, kritisiert Bonz.
Er beklagt zudem eine massive finanzielle Unterversorgung aus den öffentlichen Haushalten. „Der Hafen von Rotterdam wird jährlich mit einer Summe von einer Milliarde Euro gestützt. Was gibt der Bund in Deutschland? Für alle Häfen gerade einmal 38 Millionen Euro. Wir haben allein bei der Sanierung der Kaimauern einen Rückstau von weit über 2 Milliarden Euro. Aber es gibt nicht mehr Geld. Wie will man denn da von vergleichbaren Wettbewerbsbedingungen sprechen?“
Warum Deutschland beim Transport von Tischtennisbällen im Nachteil ist
Ähnliches gelte für die Lohnkosten. In Antwerpen seien die Hafenarbeiter bei einer staatlichen Gesellschaft angestellt. Die Hafenfirmen liehen sich diese Arbeiter aus, zahlten aber nur die Nettolohnkosten. Den Rest trage der Staat.
„In Deutschland undenkbar, und trotzdem versuchen unsere Firmen Schritt zu halten“, so Bonz. Schließlich würden in Rotterdam und Antwerpen zudem steuerliche Privilegien für die Reedereien auch noch auf die Terminals ausgeweitet, sofern sie an diesen beteiligt sind. In Deutschland gelte das nicht. „Es gibt keine Wettbewerbsgleichheit.“
Nachteilig sei auch die strenge Auslegung der Regeln zum Transport von Gefahrgut. Import und Lagerung von Gefahrgütern verlangen in Europa besondere Maßnahmen, sind also besonders aufwendig und teuer. Was aber als Gefahrgut gekennzeichnet wird, ist Ländersache.
Bonz: „In Deutschland und nur hier gilt der Import von Tischtennisbällen als Gefahrgut, weil sie in sehr geringer Menge Gas enthalten. Was ist die Folge? Benötigt Europa Tischtennisbälle, werden diese nicht mehr über den Hamburger Hafen importiert, weil dieses im Europavergleich viel teurer wäre.“
Verbandschef: Teile der Bundesregierung sind gegen Hafenwachstum
Bonz beklagt eine fehlende Initiative, auf Bundesebene die Mängel zu beheben. Derzeit schiebe die Politik die Entscheidungen vor sich her. „Die Nationale Maritime Konferenz im September in Bremen wird keinerlei Aussage dazu treffen. Also warten wir wieder ein ganzes Jahr. Dann stehen schon wieder Bundestagswahlen vor der Tür. Ich befürchte, dass in dieser Legislaturperiode nichts mehr passiert und die Wettbewerbsnachteile der deutschen Seehäfen weiter zunehmen.“
Dem Hamburger Verbandschef zufolge liege die mangelnde Unterstützung nicht nur in Versäumnissen, sondern sei zum Teil gewollt. „Es gibt in der Bundesregierung Kräfte, die das wirtschaftlich prosperierende Wachstum und Wohlergehen bestimmter Branchen nicht auf dem Zettel haben. Große Teile der Grünen würden ein Wachstum in den Häfen gar nicht begrüßen, weil sie darin zusätzliche Belastungen für die Verkehrswege und erhebliche CO2-Belastungen sehen.“
Hamburger Hafen droht Abstieg zum Provinzhafen
Sogar in der SPD gebe es mitunter wirtschaftsfeindliche Äußerungen – und zwar von Personen, bei denen man am wenigsten damit rechne: „Alle Welt weiß, dass wir dringend den Ausbau der Eisenbahnstrecke zwischen Hamburg und Hannover benötigen, weil Personen- und Güterverkehr hier ein Nadelöhr haben. Aber ausgerechnet der SPD-Bundesvorsitzende Lars Klingbeil, der für den Ausbau des Schienenverkehrs gestimmt hat, ist hier dagegen.“ Es handele sich nämlich um seinen Wahlkreis, moniert der Präsident.
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Positiv äußert sich Bonz über Hamburgs Wirtschaftssenatorin Melanie Leonhard (SPD). Er beklagt aber die mangelnde Unterstützung manch anderer Senatoren.
„Die Hafenwirtschaft hat mit Genugtuung zur Kenntnis genommen, dass die neue Wirtschaftssenatorin sehr sachverständig und kenntnisreich ist und ihre Entscheidungen gut überlegt. Aber sie ist nur eine von mehreren im Senat. In der Verkehrspolitik läuft beispielsweise vieles schief, und zwar zulasten des Individual- und Güterverkehrs. Andere Städte machen es besser.“
Angesichts zunehmender wirtschaftsfeindlicher Tendenzen warnt auch Bonz – ähnlich wie zuvor der Vorsitzende des Hamburger Industrieverbands Matthias Boxberger – im Abendblatt vor einem schlechten Investitionsklima. „Wenn im Hafenentwicklungsplan erklärt wird, man habe nicht mehr den Anspruch, Rotterdam und Antwerpen Konkurrenz zu machen, dann stecken auch Hafenbetriebe ihre Investitionsvorhaben zurück, weil dem Standort vom Senat keine Wachstumschancen eingeräumt werden.“
Hamburger Hafen verliert Ladung und wächst nicht
Wer dennoch investieren wolle, bekomme von der Hafenverwaltung zusätzliche Hürden auferlegt, etwa bei zu kurzen Mietvertragslaufzeiten, zu hohen Mietforderungen oder eingeschränkten Entschädigungsregelungen. „Man sollte doch gerade in schwierigen Zeiten wie derzeit jegliche Investitionsbereitschaft unterstützen, anstatt sie durch irgendwelche Vertragskonstellationen zu erschweren oder gar zu unterbinden“, mahnt der Verbandschef.
Konkret nimmt Bonz Umweltsenator Jens Kerstan (Grüne) aufs Korn: „Der Umweltsenator hat sich vor einiger Zeit als ;der wahre Wirtschaftssenator in dieser Stadt‘ bezeichnet. Wenn das so ist, dann erwarten wir auch, dass seine Behörde danach handelt. Als der Bundeswirtschaftsminister hier kürzlich mit großem Brimborium den Import eines Ammoniakcontainers für ein Dekarbonisierungsprojekt begrüßte, hatte die Umweltbehörde nichts Besseres im Sinn gehabt, als dem Hafenunternehmen, über deren Anlage dieser Container importiert wurde, einen Bußgeldbescheid zuzustellen. So ist der Hamburger Hafen auf dem besten Weg, zu einem Provinzhafen abzusteigen. Wollen wir das?“