Hamburg. Der Hafenumschlag wird automatisiert. Bis zu 800.000 Arbeitsstunden fallen weg. Bei den Beschäftigten geht die Angst um. Ein Ortstermin.
Es ist heiß. Eine Schar von Menschen versammelt sich vor dem Hauptgebäude der Hamburger Hafen und Logistik AG (HHLA) in der Speicherstadt. Man kennt sich, begrüßt einander mit Handschlag. Es sind Betriebsräte der HHLA, die sich mit Vertretern der Spitze des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB) treffen, um ihnen ihren Hafen zu zeigen und das, was sich dort gerade wandelt. Angeführt wird die Abordnung aus Berlin von der DGB-Vorsitzenden Yasmin Fahimi, einer durchsetzungsstarken Frau, die dafür bekannt ist, dass sie sich nicht die Butter vom Brot nehmen lässt. Auch wenige Journalisten sind dabei.
Hamburger Hafen: HHLA-Mitarbeiter bangen um ihre Arbeitsplätze
Ein Bus kommt, alle steigen ein. Vorne zu Fahimi setzt sich ein groß gewachsener vollbärtiger Mann, Torben Seebold. Er ist Arbeitsdirektor und Personalvorstand der HHLA – und damit sitzen nicht nur Arbeitnehmervertreter bei der DGB-Abordnung im Bus, auch die Arbeitgeberseite ist dabei.
Seebold duzt sich mit Fahimi. Man kennt sich. Vor seiner Zeit im HHLA-Vorstand war Seebold Leiter der Bundesfachgruppe Maritime Wirtschaft bei der Gewerkschaft Ver.di und verantwortlich für die Verhandlungen über zentrale Tarifverträge der maritimen Wirtschaft.
Containerterminals werden automatisiert. Jobs fallen weg
Der HHLA-Aufsichtsrat hat ihn mit Bedacht auf die andere Seite geholt. Weil absehbar war, was dem Konzern bevorsteht, und was das für die Hafenarbeiter bedeutet. Da benötigt man einen Mann des Ausgleichs. Die Rede ist von der Transformation. Ein Wort, das bei diesem Besuch noch häufiger fallen wird.
Der Hamburger Hafen steckt in einem tiefgreifenden Umbruch. Er verliert im europäischen Hafenvergleich seit einer Dekade Marktanteile, und will er seine Wettbewerbsfähigkeit im Kreis der großen Logistikdrehscheiben behalten, dann muss er schneller, effizienter und kostengünstiger werden. Das Zauberwort in diesem Zusammenhang heißt „Transformation“.
Dahinter verbergen sich Digitalisierung und Automatisierung. Computergesteuerte Maschinen können den Hafenumschlag einfach schneller und kostengünstiger machen. Andere nordeuropäische Häfen wie Rotterdam und Antwerpen haben vorgelegt. Sie können die einzelnen Boxen je nach Produktionsablauf etwa 20 bis 30 Euro billiger umschlagen als Hamburg. Auf diese Kosten muss auch die HHLA kommen. Aber was bedeutet das für die Hafenarbeiter?
Betriebsräte: Verunsicherung ist groß
Der Bus fährt los. Die Sonne brennt auf den Hotspot Hafen. Eigentlich ist ein Besichtigung des Burchardkais angekündigt. Der CTB ist der größte und wichtigste Containerterminal der HHLA im Hafen. Zugleich ist er das Sorgenkind. Er stammt aus den 1960er-Jahren. Die Automatisierung ist in weiten Teilen an ihm vorbeigegangen. Auf dieses Terminal und seine rund 1000 Beschäftigten hat die Transformation die größten Auswirkungen.
Doch die HHLA-Führung lässt den Bus „aus betrieblichen Gründen“ zu ihrem Containerterminal Altenwerder (CTA) fahren. Der stammt aus dem Jahr 2002, ist der modernste Hamburger Hafenumschlagplatz und bereits weitgehend automatisiert.
Rotterdam verdoppelt Hafengröße ohne Schaffung zusätzlicher Arbeitsplätze
Nach einer kurzen Einführung in die Struktur der HHLA dreht sich die Debatte während des Bustransfers gleich um das Wesentliche. Wie denn das Unternehmen mit der Transformation umgehe, fragt DGB-Chefin Fahimi. Und Seebold antwortet mit einem Satz, der deutlich macht, dass in Hamburg Dinge anders laufen als in anderen Häfen: „Rotterdam hat sich durch Sandaufschüttungen einen zusätzlichen Hafen gebaut, die Maasvlakte II. Dort gibt es zwei automatisierte Containerterminals, deren Umschlagspotenzial jetzt noch einmal annähernd verdoppelt wird – ohne dass dabei neue Arbeitsplätze aufgebaut werden. Diesen Weg gehen wir bei der HHLA nicht. Wir nehmen die Menschen mit.“
Die HHLA ist kein Unternehmen wie jedes andere – schließlich gehört der Konzern zu 69 Prozent der Stadt Hamburg. Hier wird Mitbestimmung großgeschrieben.
Arbeitnehmer warten auf Antworten der Führung
Deshalb hat das Unternehmen seinen 6400 Mitarbeitern – davon 3800 in Hamburg – bereits frühzeitig reinen Wein eingeschenkt. Allen ist längst klar: Durch die Transformation werden Arbeitsplätze wegfallen. „Die frühe Ankündigung war Fluch und Segen zugleich“, sagt Stefan Koop, Vertreter des HHLA-Konzernbetriebsrats und Aufsichtsratsmitglied. „Es ist ein Segen, frühzeitig eingebunden zu werden. Aber viele Mitarbeiter, die nicht wissen, was diese Transformation jetzt für sie konkret bedeutet, warten auf Antworten, die die Unternehmensführung noch nicht geben kann. Das sorgt für große Verunsicherung.“
Inzwischen ist der Bus in Altenwerder eingetroffen: Hier wird deutlich, was dem Burchardkai an Veränderungen noch bevorsteht. Während dort noch von Menschen betriebene Containerhubfahrzeuge, sogenannte Van-Carrier, die Stahlboxen von der Kaikante zum Lager transportieren, wird dafür am CTA keine menschliche Hand mehr gebraucht. Selbstständige Fahrzeuge, Automatic Guided Vehicles (AGV) genannt, bringen die Container von der Kaikante ins Blocklager, wo wiederum automatische Portalkräne die Boxen in Empfang nehmen, ordnen und stapeln.
Am CTB werden die Mannschaften an der Containerbrücke halbiert
Nur die Containerbrücken, die die Ladung vom Schiff löschen oder es beladen, werden noch von Menschen bedient. Noch! Ab 2029 will die HHLA auch am CTA ferngesteuerte Containerbrücken einsetzen. Dann sitzt ein Brückenfahrer fernab in der Zentrale. Statt wie bisher einen Kran wird er dann drei per Joystick am Bildschirm bedienen. Zwei Arbeitsplätze also fallen bei drei Containerbrücken weg.
Noch deutlicher ist der Abbau am CTB. Hier wird eine Containerbrücke von einem Gang bedient, der aus acht Personen besteht, drei Brückenfahrern, einer Aufsicht und vier Van-Carrier-Fahrern. Letztere werden spätestens ab 2025 durch automatische Fahrzeuge ersetzt, dann benötigt ein Gang also nur noch vier Beschäftigte.
HHLA-Führung will bis zu 800.000 Arbeitsstunden streichen
„Was bedeutet denn das jetzt für die Mitarbeiter?“, will Fahimi wissen. Seebold rechnet vor: „750.000 bis 800.000 Arbeitsstunden fallen im Zuge der weiteren Transformation weg.“ Würde man das auf Arbeitsplätze übertragen, wären es mehr als 400. Aber so einfach ist das bei der HHLA nicht. Denn Seebold betont: „Es soll keine betriebsbedingten Kündigungen geben.“ Stattdessen nennt er mehrere Stellschrauben, die er zur Reduzierung der Arbeitsstunden bedienen könnte: „Ein Teil der Mitarbeiter geht in Rente, ein weiterer in Altersteilzeit. Die Programme dazu laufen.“
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Etwa 250.000 bis 300.000 Arbeitsstunden würden perspektivisch bei den Mitarbeitern des Gesamthafenbetriebs wegfallen, jenem Arbeitnehmerpool, aus dem die HHLA zusätzliche Kräfte bei hohem Arbeitsaufkommen rekrutiert. Alle betrieblichen Partner seien frühzeitig in die Pläne der HHLA eingeweiht worden und könnten durch entsprechende Maßnahmen sozialverträgliche Lösungen vereinbaren. Viele Arbeitsstunden würden auch durch die Umwandlung von Mehr- in Regelarbeit und eine entsprechende Anpassung der Schichtpläne eingespart, sagt Seebold. Schließlich würden Mitarbeiter, deren Tätigkeiten wegfielen, für neue Aufgaben weiterqualifiziert.
Hamburger Hafen: HHLA-Mitarbeiter bangen um ihre Arbeitsplätze
Aber genau das bereitet den Hafenarbeitern Sorge: „Zu was will man einen Hafenarbeiter eigentlich qualifizieren“, fragt Betriebsrat Thomas Ringleb. „Was kann er anderes tun? Darauf gibt es noch keine Antworten.“ Seebold hält dagegen: Das Unternehmen habe erst Zukunftslotsen eingeführt, um die Mitarbeiter auf die Transformation vorzubereiten, dann Zukunftslabore, also intensive Workshops in kleinen Gruppen. „Zudem wird an Qualifizierungsprogrammen für jeden Mitarbeiter gearbeitet“, sagt der Arbeitsdirektor.
„Automatisierung und Digitalisierung gehen auch an den Häfen nicht vorbei. Diese Veränderungen sind für die Menschen häufig mit Umbrüchen im Job und damit auch im Privatleben verbunden“, mahnt Fahimi. Der Arbeitgeber ist gut beraten, erste echte Perspektiven zuzusagen – und zwar bevor die Veränderungen stattfinden.“ Mit einer intensiven Diskussion endet ihr Besuch im Hafen. Beinahe beiläufig wird aus dem Kreis der Betriebsräte mit Wehmut erwähnt, dass die HHLA derzeit keine Hafenlogistiker mehr ausbilde. Das erste Mal in ihrer fast 140-jährigen Geschichte.