Hamburg. Ist Containerumschlag wirklich das beste Zukunftsmodell für das Herz von Hamburgs Wirtschaft? Daran gibt es zunehmend Zweifel.

In Hamburgs Hafenwirtschaft herrscht schlechte Stimmung. Zahlreiche Unternehmen befürchten, dass sich der eklatante Mengenrückgang an Seegütern aus dem ersten Quartal im zweiten Jahresviertel fortsetzt. Von Januar bis März wurden 1,9 Millionen Standardcontainer (Twenty-Foot-Equivalent-Unit, TEU) an Hamburgs Kaimauern umgeschlagen. Das sind 16,9 Prozent weniger als im ersten Quartal 2022. Der Hafen verliert Marktanteile an Wettbewerber wie Rotterdam und Antwerpen. Schon ist davon die Rede, dass der Gesamthafenbetrieb (GHB) in der zweiten Jahreshälfte Kurzarbeit anmelden könnte.

Die Politik spricht von einer vorübergehenden Phase, die in allen Häfen an der Nordsee gleichermaßen zu Mengenrückgängen geführt habe. Doch Hafenexperten aus mehreren Wirtschaftsinstituten schlagen jetzt Alarm: Sie sehen nicht nur temporäre Probleme, sondern strukturelle Defizite, die den Niedergang des Hamburger Hafens beschleunigen könnten. Das sind aus Sicht der Fachleute die wichtigsten Probleme, die schnell angegangen werden sollten.

Hafen Hamburg – Hohe Preise und unterdurchschnittlicher Service

Der Hamburger Hafen ist schlicht und einfach teuer. Darin sind sich alle Experten einig. Dabei geht es nicht nur um die Preise der Terminals, sondern auch um die Leistung, die offenbar nicht mehr stimmt. „Das interne Problem sind die relativ hohen Kosten infolge von Abwicklungsverzögerungen und dadurch bedingte Unsicherheiten bei Kunden“, sagt etwa Henning Vöpel, ehemaliger Direktor des Hamburgischen WeltWirtschaftsInstituts (HWWI) und jetzt Vorstand des Zentrums für europäische Politik (cep) mit Sitz in Freiburg.

Axel Plaß, der Vorsitzende des Vereins Hamburger Spediteure, verweist auf einen schlechten Service im Hamburger Hafen: „Zu hohe Personalkosten lassen sich international mit einem überdurchschnittlichen Service immer noch verkaufen. Ist der Service nun aber sogar unter dem Durchschnitt, verlagern sich Warenströme schneller als Hochdruckgebiete auf der Wetterkarte“, lautet seine Kritik. „Die fehlende Zuverlässigkeit sowohl auf der See- als auch auf der Landseite, oft nicht kompatible Datenschnittstellen oder die Ausrichtung der Abläufe auf kurzfristige Gewinnmaximierung sind nur ein paar Beispiele, die zu einem Drift des Hafens in die Bedeutungslosigkeit führen werden.“

Hafen Hamburg – langsamer als die Konkurrenten, aber teurer

Die vorteilhafte Lage des Hafens mitten in einer wirtschaftlich starken Metropolregion sowie die gute Hinterlandanbindung nach Süddeutschland und Osteuropa, würden derzeit überschattet, sagt sogar die in ihrer Kritik eher zurückhaltende Handelskammer. „Der Hafen ist langsamer in der Abwicklung als die Konkurrenz und gleichzeitig liegen die Kosten pro Container teilweise deutlich drüber. Durch mehr Automatisierung könnten die Abläufe im Hafen aber sehr viel effizienter und schneller gestaltet werden“, sagt Kai Gerullis, Leiter des Bereichs Verkehr und Hafen in der Kammer.

Aus Sicht von Burkhardt Lemper, Chef des Instituts für Seeverkehrswirtschaft und Logistik (ISL) an der Universität Bremen, hat die Lage des Hamburger Hafens weit im Binnenland sowohl Vor- als auch Nachteile: „Die Anlaufkosten des weiter im Hinterland gelegenen Hafens sind vergleichsweise hoch, wodurch die Vorteile der kürzeren Hinterlandtransporte auf einigen Strecken zumindest in Teilen aufgehoben werden“, sagt er.

Außerdem hätten die Terminals in Hamburg anscheinend mit Effizienz- und damit Kostenproblemen zu kämpfen – Gegenmaßnahmen seien aber angelaufen, sagt Lemper. „Darüber hinaus führen Engpässe und Staus im Hinterlandverkehr auf Straße und Schiene zu Vertrauensverlusten bei den Kunden und zur Verlagerung von Mengen.“

Hafen Hamburg – große Abhängigkeit von China und Russland wird zum Fluch

Die starke Bindung des Hamburger Hafens an China und Russland wird nun zu einem Problem. „China und Russland sind traditionell starke Quellen und Ziele von Containerverkehren. Chinas Exporte schwächeln und Russland ist von Sanktionen betroffen. Der Russlandhandel ab Hamburg ist derzeit tot“, warnt der Logistikexperte des Branchendienstes Alphaliner, Jan Tiedemann.

China werde im Handel wieder zulegen, aber wie lange sich die Russland-Situation hinziehe, könne niemand vorhersagen. Ähnlich sieht es Vincent Stamer Logistikexperte des Instituts für Weltwirtschaft in Kiel: „Eine Schwächephase der weltweiten und insbesondere der chinesischen Konjunktur im Winterhalbjahr dürfte maßgeblich die Ladungsverluste des Hamburger Hafens verursacht haben“, sagt er. „Das ist ein temporärer Effekt. Für Hamburg kommt allerdings der Verlust des Russland-Geschäfts erschwerend dazu und dieser wird in naher Zukunft sicherlich nicht wiederkommen.“

Professor Henning Vöpel, der frühere Chef des renommierten Wirtschaftsinstituts HWWI, sagt, ein Abstieg des Hamburger Hafens in die zweite Liga der weltweit wichtigsten Häfen, müsse „kein Drama sein“.
Professor Henning Vöpel, der frühere Chef des renommierten Wirtschaftsinstituts HWWI, sagt, ein Abstieg des Hamburger Hafens in die zweite Liga der weltweit wichtigsten Häfen, müsse „kein Drama sein“. © Michael Rauhe

Wirtschaftsprofessor Henning Vöpel sieht im Ukraine-Krieg eine Beschleunigung eines strukturellen Trends, nämlich eine geopolitische Loslösung von Russland und China. „Zudem haben sich strategische Infrastrukturinvestitionen im Bereich der Logistik nach Süd- und Osteuropa verlagert. Hamburg gerät dadurch zunehmend in eine periphere Lage.“

Für ISL-Geschäftsführer Lemper haben sich die Strukturen des Containerumschlags in Hamburg in jüngster Zeit insgesamt nachteilig erwiesen. „Es gab lange einen hohen Anteil an sogenannten Feedercontainern (Umladung zur Weiterverschiffung, Anm. d. Redaktion). Hier haben die Westhäfen über Preiswettbewerb Anteile gewonnen, wachsende Mengen werden an der Nordrange vorbei direkt in die Ostsee gefahren und die zuvor wichtigen Russlandverkehre sind seit dem Frühjahr 2022 entfallen.“ Hinzu kämen Nachteile aus der verzögerten und letztlich noch nicht nachhaltigen Fahrrinnenanpassung der Elbe. Dies veranlasse die Reeder zur Abwicklung der am leichtesten zu verlagernden Feederumschläge in die Westhäfen.

Hafen Hamburg – wird er von der Bundesregierung nicht genug gefördert?

Die eigentliche Elbvertiefung ist zwar abgeschlossen. Der Vorteil, dass dadurch Schiffe mit größeren Tiefgängen in den Hafen einfahren können, hielt aber nur kurz. Die Zufahrten zum Hafen verschlickten so stark, dass die freigegebenen Tiefen wieder zurückgenommen werden mussten. „Die ewig verschleppte Elbvertiefung und die ebenso schlechte Instandhaltung der Bundeswasserstraße durch den Bund helfen nicht wirklich weiter“, klagt Logistikexperte Tiedemann.

Der Hamburger Hafen habe in der Bundespolitik in Berlin kein Gewicht. Ganz anders die Wettbewerbshäfen Rotterdam und Antwerpen, die in den Niederlanden und in Belgien als „Kronjuwelen“ betrachtet würden. Aber selbst wenn die schon einmal erreichte Wassertiefe der Elbe wiederhergestellt wird, sieht IfW-Experte Stamer ein strukturelles Problem: „Die Abhängigkeit von der Tide der Elbe für die größten Schiffe ist aus volkswirtschaftlicher Sicht nach wie vor ein Problem im Wettbewerb mit den Tiefseehäfen an der Nordsee.“

Hafen Hamburg – Abstieg in die zweite Liga? „Das muss kein Drama sein“

Die meisten Experten fordern einen schnellen Ausbau der Infrastruktur und eine verlässliche Erreichbarkeit des Hafens. Dazu müsse die Politik den Hafen sichtbarer unterstützen. „Zuallererst brauchen wir ein klares Bekenntnis zum Hafen“, sagt Speditionsverbandschef Plaß. Logistikfachmann Jan Tiedemann fordert, den Hafenentwicklungsplan, der in der kommenden Woche vom Senat verabschiedet werden soll, wegen „Realitätsferne zu beerdigen“ und stattdessen einzelne, sinnvolle Projekte wie den Bau der Autobahn A26-Ost schnell umzusetzen.

Die Handelskammer und Henning Vöpel plädieren hingegen dafür, sich vom Containerumschlag zu lösen. Für die Kammer steht die Transformation des Hafens zu einem Standort für nachhaltige Energieproduktion und Innovation im Vordergrund. Laut Volkswirtschaftsprofessor Vöpel kann der Hamburger Hafen seine Nachteile nicht mehr wettmachen: „Die Politik hat zu lange negiert, was sich über Jahre angedeutet hat. Es macht jetzt wenig Sinn, den strukturellen Defiziten hinterherzulaufen.“

Dafür sei das klassische Containergeschäft perspektivisch für Hamburgs wirtschaftliche Entwicklung zu uninteressant. „Wichtiger wäre, die Transformation des Hafens für die Ansiedlung und Stärkung neuer industrieller Kerne zu nutzen, die hochwertige Wertschöpfung, zukunftssicherer Arbeitsplätze und technologische Innovationen nach Hamburg bringen.“

Und dann sagt er noch einen Satz, der es in sich hat: „Der Abstieg des Hafens in die zweite Liga muss kein Drama sein.“