Hamburg. Der Aufsichtsratschef richtet zudem eine klare Forderung an die Bundesregierung. Auch das Thema Moorburg beschäftigt ihn.
Rüdiger Grube ist der Sohn von Obstbauern aus Moorburg. Er hat Fahrzeugbau und Flugzeugtechnik studiert, war als Manager in verschiedenen Funktionen bei Airbus und bei Daimler Chrysler beschäftigt und mitverantwortlich für die Gründung des europäischen Flugzeugbaukonzerns EADS. Von 2009 bis 2017 war Grube Vorstandschef der Deutschen Bahn. Seit 2017 ist er Aufsichtsratsvorsitzender der Hamburger Hafen und Logistik AG (HHLA).
Im Interview mit dem Abendblatt fordert er eine neue China-Politik Deutschlands und spricht sich für Innovationen im Hamburger Hafen sowie ein Umdenken in der Moorburg-Frage aus.
Hamburger Abendblatt: Herr Grube, fragt man die Akteure der Hafenwirtschaft, so beklagen sie durch die Bank eine stiefmütterliche Vernachlässigung durch die Politik. Sehen Sie das auch?
Rüdiger Grube: Besser geht immer, gar keine Frage. Aber da muss man differenzieren. Wenn Sie den Hamburger Senat betrachten, so hat dieser in den vergangenen Jahrzehnten die Transformation in der maritimen Wirtschaft sehr gut organisiert: Einführung des Containers, Entwicklung der HafenCity, Abschaffung des Freihafens und so fort – das ist wirklich eine Leistung! Nur darf die Anstrengung jetzt nicht aufhören. Es gibt vieles, was noch konsequenter angepackt werden muss. Auf Bundesebene habe ich da so meine Bedenken. 90 Prozent des Welthandels wird heute auf See und über Häfen abgewickelt. Wir haben 45 Millionen Erwerbstätige in Deutschland, davon hängen rund 1,5 Millionen direkt oder indirekt von der Funktionstüchtigkeit der Häfen und vom weltweiten Handel ab. Da frage ich mich, ob das allen in Berlin bewusst ist? Wir benötigen dringend den nationalen Hafenplan, der ja nun hoffentlich endlich kommen soll. Und wir benötigen eine klare bundespolitische Haltung gegenüber der EU bei Fragen wie Steuergesetzgebung und Gruppenfreistellungsverordnung.
Hafen Hamburg: HHLA-Chef Rüdiger Grube hält viel von Olaf Scholz (SPD)
Hoffen Sie auf mehr Unterstützung durch Olaf Scholz?
Ich halte sehr viel von Olaf Scholz. Wie er in der Unterstützung der Ukraine ungeachtet mancher Kritik unbeirrt und mit Bedacht seinen Weg geht, ist richtig. Und für den Hamburger Hafen bin ich froh, dass er unser Bundeskanzler ist. Er kennt den Hafen sehr genau, nicht nur durch sein früheres Amt als Bürgermeister. Er weiß, was der Hafen braucht. Natürlich muss er auf seine Koalitionäre Rücksicht nehmen und die unterschiedlichen Interessen abwägen. Aber er weiß, wovon wir hier sprechen. Das kann man leider nicht von jedem in der Bundesregierung behaupten.
Ihre Vorstandsvorsitzende bemängelt, wie lange das Bundeswirtschaftsministerium die Entscheidung über den Einstieg der chinesischen Reederei Cosco am Containerterminal Tollerort verzögert ...
... und sie hat absolut recht. Die HHLA ist seit mehr als 18 Monaten in der Verhandlung, alle geforderten Bedingungen wurden erfüllt und alle notwendigen Nachweise geliefert. Die HHLA hat seit Ende vergangenen Jahres sogar schriftlich vom Wirtschaftsministerium, dass alle geforderten Informationen vorliegen. Aber bis heute gibt es keine finale Bestätigung. Das ist unmöglich, und so funktioniert keine vernünftige und Erfolg versprechende Wirtschaftspolitik. Cosco gehört zu den Top-fünf-Kunden des Hamburger Hafens. 30 Prozent des Handels werden mit China abgewickelt. Da kann man die Geschäftspartner nicht so vor den Kopf stoßen.
Was schlagen Sie vor?
Wir müssen nicht immer über China reden, sondern mehr mit China. Wir werden beispielsweise unsere Klimaziele niemals ohne die Zusammenarbeit mit China erreichen können. Der beispielsweise mit Abstand größte Lieferant für Lithium zum Bau von Batterien für E-Fahrzeuge ist China. Oder denken Sie auch an andere wichtige Rohstoffe.
Haben Sie den Eindruck, dass die Bundesregierung da gerade einen klaren Kurs fährt?
In dieser Frage gibt es unterschiedliche Haltungen. Entscheidend ist, dass der Bundeskanzler den richtigen Weg weiß: Wir können China heute nicht einfach ignorieren. Die Automobilindustrie beispielsweise erwirtschaftet zwischen 30 und 36 Prozent ihres Umsatzes in China – der Gewinn liegt noch deutlich höher. Wir müssen uns sicher bemühen, die Abhängigkeit Schritt für Schritt zu verringern und die Widerstandsfähigkeit unserer Industrie zu stärken. Aber wir können den Chinesen nicht dogmatisch den Stuhl vor die Tür stellen. Wir müssen hier dringend zweigleisig fahren.
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Befürchten Sie denn, dass Cosco noch abspringt, weil das Verfahren jetzt so lange dauert?
Davon gehe ich nicht aus. In der Ruhe liegt die Stärke. Wir sind zuversichtlich.
Betrachten wir die Entwicklung im Hamburger Hafen, dann sehen wir Stagnation beim Umschlag. Was muss Hamburg tun, um wieder Anschluss zu bekommen?
Es muss fraglos viel getan werden. Es handelt sich aber nicht um ein spezielles Hamburger Problem, sondern vielmehr um eine Entwicklung, die im Moment alle Häfen in Nordeuropa beschäftigt. Rotterdam, Antwerpen, Bremerhaven – alle verlieren derzeit Menge. Die HHLA hat aber gerade im schwierigen Jahr 2022 im Vergleich zu ihren Wettbewerbern ihren Marktanteil im Hamburger Hafen ausbauen können, das sollte nicht unerwähnt bleiben.
Rüdiger Grube fordert: Einen Zukunftscampus im Hafen Hamburg
Und was muss getan werden?
Da müssen wir zwischen Hafen und HHLA differenzieren. Der Hafen muss zunächst einmal in seinem Bestand erhalten und weiter klimaneutral, ressourcenschonend und intelligent ausgebaut werden. Es war richtig, die HafenCity bis zu den Elbbrücken zu erweitern, aber weiter dürfen wir den Hafen nicht beschneiden. Die Flächen werden benötigt – nicht unbedingt für den Containerumschlag, denn wir könnten auf den bestehenden Flächen doppelt so viele Container umschlagen. Punkt zwei ist der Ausbau der Hinterlandverbindungen – und da vor allem in der Bahninfrastruktur. Wir gelten heute schon als der klimaneutralste und ressourcenschonendste Hafen weltweit. Dieses Alleinstellungsmerkmal müssen wir uns erhalten. Und wir benötigen einen Ort, an dem wir Zukunftstechnologien bündeln können, um beispielsweise mehr Fintech-Unternehmen im Hamburger Hafen anzusiedeln.
Das klingt, als hätten Sie da schon konkrete Vorstellungen?
In der Tat. Lürssen will ja seinen Schiffbau bei Blohm + Voss konzentrieren, und dann stellt sich die Frage, was mit dem Gelände der Norderwerft passiert. Ich bin der Meinung, das wäre der ideale Ort für einen solchen Zukunftscampus. Eine mehr als 100.000 Quadratmeter große Fläche, auf der Büros, Reallabore, Werkstätten und Hörsäle zur Ansiedelung junger Unternehmen der Hafen- und Energiewirtschaft entstehen könnten, verbunden durch ein Hochleistungsrechenzentrum mit Quantencomputern. Einen ähnlichen Zukunftscampus gibt es in Berlin von Euref. Auf einem ehemaligen Gelände der Gasag arbeiten heute rund 8000 Menschen. Das Modell ist so erfolgreich, dass jetzt auch Düsseldorf einen solchen Zukunftscampus erhält. Der Berliner Investor und Unternehmer möchte das auch in Hamburg realisieren und befindet sich bereits in Gesprächen.
Was brauchen wir noch?
Gute Ideen zur Förderung von Zukunftstechnologien. Ein Beispiel ist die Elektromobilität. Die Batterieherstellung benötigt viel mehr Lithium, als derzeit gefördert wird. Hier entsteht in den nächsten Jahren eine Versorgungslücke. Deshalb wird das Recyceln von Batterien immer wichtiger. Das wäre doch etwas, das man auf dem Gelände von Steinwerder realisieren könnte. Schiffe mit alten Batterien aus der ganzen Welt könnten hier anlegen, und diese würden direkt vor Ort aufbereitet. Das wird ein wachsender Markt. Eine Batterie hält rund acht bis neun Jahre. Bis 2030 kommen allein in Deutschland 400.000 Alt-batterien zusammen. Bis 2040 sind es schon zwei Millionen. Es fehlt aber nicht an Ideen, sondern es fehlt an Geschwindigkeit, mit der wir diese umsetzen. Geschwindigkeit ist ein erfolgsbestimmender Wettbewerbsfaktor in der Wirtschaft. Deshalb ist meine Devise in dem Zusammenhang: nicht kleckern, sondern klotzen.
Verkehr in Hamburg: Die A 26-Ost muss kommen
Dann müssten ihnen die Köhlbrandquerung und A 26-Ost ein besonderer Dorn im Auge sein. Die werden doch seit Jahren zerredet.
Richtig, die Planungs- und Zulassungsprozesse dauern viel zu lang. Ich bin sehr für Öffentlichkeitsbeteiligung, aber es kann nicht sein, dass wir Jahrzehnte benötigen, um Infrastrukturprojekte umzusetzen. Zur Köhlbrandbrücke muss ich aber sagen, dass Senatorin Leonhard aus meiner Sicht völlig richtig handelt. Es ist ein Jahrhundertprojekt, das viele Milliarden Euro kostet. Da muss man sehr genau hinschauen. Als ich Vorstandschef der Deutschen Bahn wurde, habe ich mir auch die großen Infrastrukturprojekte wie den Bau des Bahnhofs Stuttgart 21 noch einmal vorlegen lassen. Meine Hoffnung ist, dass die Senatorin erneut zu dem Schluss kommt, dass der Bau eines Tunnels die beste Lösung ist. Er ist der Brücke einfach in vieler Hinsicht überlegen. Wir benötigen nur einfach eine schnelle Entscheidung.
Und wie sehen Sie die Diskussion über die A 26?
Wir benötigen die A 26-Ost ohne Wenn und Aber zur Entlastung der Verkehre im Hamburger Hafen. Wir haben nur Wettbewerbschancen, wenn der Hafen schnell und zuverlässig ist. Dazu benötigen wir eine gute Hinterlandinfrastruktur.
Was muss die HHLA selbst tun, um ihre Wettbewerbsfähigkeit zu steigern?
Die HHLA muss ihr Kerngeschäft ausbauen. Das Unternehmen investiert in diesem Jahr 250 bis 300 Millionen Euro, davon zwischen 220 und 270 Millionen Euro in die Erneuerung und Digitalisierung der Umschlaganlagen, um die Produktivität zu steigern. Die HHLA muss auch die Hinterlandverbindungen ausbauen, insbesondere im Bahngeschäft. Die HHLA ist heute in Europa nach der Deutschen Bahn das zweitgrößte Gütertransportunternehmen auf der Schiene. Da müssen wir am Ball bleiben. Die HHLA steht im Wettbewerb mit anderen Umschlagsanbietern in Hamburg und mit anderen Häfen in Deutschland und Europa und sieht sich zudem einer extrem gewachsenen Marktmacht der Reedereien gegenüber. Die haben in den vergangenen Jahren so viel Geld verdient, dass sie in der Lage sind, einen Verdrängungswettbewerb einzuleiten und den Hafenbetrieben Konkurrenz zu machen.
Rüdiger Grube: Reedereien sollen mehr Steuern zahlen
Das ist schlecht.
Nicht unbedingt. Konkurrenz belebt das Geschäft, aber dann müssen die Spielregeln gleich sein. Das sind sie aber nicht, weil die Reeder praktisch kaum Steuern zahlen.
Hapag-Lloyd zahlt weniger als ein Prozent, die HHLA etwa 30 Prozent Steuern. Fordern Sie eine höhere Besteuerung der Reedereien?
Ich glaube, das muss man historisch betrachten: Die Reedereien haben über viele Jahre kaum Geld verdient. Nun hat sich die Situation geändert; und die Reedereien haben selbst erkannt, dass sie mehr zahlen müssten. Und ja, wir benötigen andere Spielregeln. Wir müssen an die Gruppenfreistellungsverordnung ran, die es Reedern ermöglicht, ihren niedrigen Steuersatz auf See auch auf ihre Landgeschäfte auszuweiten. Wir benötigen zudem eine Überarbeitung der EU-Richtlinien für Beihilfen, denn die Tonnagesteuer ist eine Art Beihilfe. Und drittens benötigen wir eine Anpassung der Regelungen für die deutschen Häfen an europäische Praxis. Wenn das nicht geschieht, sind die Terminalbetreiber einem unfairen Wettbewerb ausgesetzt.
Europäische Terminalbetreiber werben ja um Reedereibeteiligungen, um ihren Häfen Ladung zu sichern. Die HHLA war in dieser Frage in der Vergangenheit sehr restriktiv. Muss sie sich mehr öffnen? Alle Top-reedereien buhlen beispielsweise um eine Beteiligung am Containerterminal Burchardkai.
Die HHLA ist grundsätzlich immer offen für Kooperationen. Sie müssen aber Sinn machen und Mehrwert schaffen.
Beim Stichwort Kooperation sind wir schnell bei der Frage, ob es nicht doch noch einmal einen Versuch geben wird, dass HHLA und Eurogate ihre Containerterminals in den deutschen Seehäfen fusionieren. Die Gespräche sind gescheitert. Sehen Sie Chancen für einen neuen Versuch?
Die Gespräche sind nicht gescheitert, sondern unterbrochen worden, weil wir alle großen geopolitischen Herausforderungen ausgesetzt waren und weil die Unternehmen in der Corona-Krise mit den Stauungen in den Häfen und den durcheinandergewirbelten Fahrplänen der Schiffe genügend andere Aufgaben zu klären hatten. Der Aufsichtsrat der HHLA hat einen solchen Zusammenschluss immer befürwortet. Denn wenn wir die Herausforderungen, über die wir eben gesprochen haben, in den Blick nehmen, dann müssen wir uns Gedanken darüber machen, wie wir uns künftig aufstellen. Es kann nicht sein, dass die Reedereien immer weiter konsolidieren und wachsen und die Terminalbetreiber nur zuschauen.
Hafen Hamburg: HHLA-Chef wünscht sich neue Chance für Moorburg
Sie schieben das jetzt auf die Corona-Herausforderungen, aber die Gespräche sind doch auch an den unterschiedlichen Vorstellungen zwischen Ihnen und Eurogate-Chef Thomas Eckelmann gescheitert.
Thomas Eckelmann ist ein alter Freund von mir. Wir kommen beide aus Moorburg, sind gleicher Jahrgang und schätzen uns. Sie wissen doch: Die Hoffnung stirbt zuletzt. Ich sehe eine Chance, dass es zu einem neuen Anlauf kommt. Der Wille ist auf beiden Seiten vorhanden.
Sie erwähnten ihre Heimat Moorburg. Der Stadtteil möchte endlich einmal aus dem Hafenerweiterungsgebiet entlassen werden, um Sicherheit zu bekommen. Die Grünen wären dafür. Die SPD ziert sich. Wie stehen Sie dazu?
Da schlagen ehrlicherweise zwei Herzen in meiner Brust. Ich bin in Moorburg zur Schule gegangen. Ich habe tiefe familiäre Wurzeln im Obst- und Gemüseanbau dort. Insofern stehe ich zu Moorburg. Auf der anderen Seite ist klar: Wenn Hamburg weiter wachsen will, benötigen wir Flächen. Ich glaube nicht, dass wir mehr Containerflächen brauchen. Wir können auf den vorhandenen Arealen das Doppelte an Containern umschlagen. Wir brauchen aber Platz für die Ansiedelung neuer Unternehmen. Deshalb bin ich für einen Kompromissvorschlag: Ziehen wir am Elbdeich eine Grenze. Das davor liegende Gebiet bleibt für die Hafenerweiterung. Das dahinter liegende Gebiet wird renaturiert – zum Vorteil für Moorburg.