Hamburg. Hamburger Werkstätten melden wochenlange Wartezeiten. Händler B.O.C nimmt vorerst keine Räder an, die woanders gekauft wurden.
Für Bernd Heumann gibt es eine Prämisse. In den Werkstätten seiner Fahrradhandelskette B.O.C. sollen alle Fahrräder repariert werden können – egal, wo die Kunden sie gekauft haben.
Doch seit einigen Tagen ist das anders. „Wir sahen uns dazu gezwungen, in einigen Filialen den Reparaturservice nur noch den Kunden anzubieten, die ihr Fahrrad bei uns gekauft haben“, sagt der Geschäftsführer der Hamburger Kette: „Das ist in unseren drei Hamburger Filialen am Nedderfeld, in Wandsbek und Altona der Fall und wird auch in den nächsten drei Monaten so bleiben.“
Fahrrad Hamburg: Reparatur kann lange dauern und schwierig werden
In der jetzigen Hochphase der Saison seien schlichtweg zu viele Reparaturanfragen gekommen. „Wir haben zwölf Prozent mehr Aufträge als im vergangenen Jahr. Das ist eine Menge, weil wir die Kapazitäten nicht hochgefahren haben und nicht so schnell anpassen können“, sagt Heumann. Und schon in Vorjahren meldete das Unternehmen, das mit vollständigem Namen Bike & Outdoor Company heißt, kräftige Zuwächse im Werkstattgeschäft.
Momentan lägen die Vorlaufzeiten für Werkstatttermine zwischen sieben und 40 Tagen. Im Umkreis von zehn Kilometern um die Sindelfinger Filiale sei man zum Beispiel der einzige Meisterbetrieb, der überhaupt noch reparieren dürfe. Daher werde man dort überrannt.
In Hamburger B.O.C.-Werkstätten gibt es lange Wartezeiten
Nur in wenigen der deutschlandweit 43 Filialen – vor allem in neu eröffneten, die sich im Umfeld noch etablieren müssen – könnten alle Aufträge angenommen werden. Die Hamburger Geschäfte rangieren alle am oberen Ende bei den Wartezeiten. Daher erfolgte der drastische Schritt, Reparaturtermine nur noch an Kunden zu vergeben, die ihr Rad im Unternehmen gekauft haben.
„Temporäre Beschränkungen auf eigene Kunden sind normal in der Branche“, sagt Hans-Peter Obermark, Sprecher des Verbandes des Deutschen Zweiradhandels (VDZ). Gerade in der Urlaubszeit würden Geschäfte so handeln. Aber auch Krankheiten und Fachkräftemangel spielten dabei eine Rolle.
Verband sieht lokale „Verwerfungen“ durch preisaggressive Firmen
Immer wieder käme es auf lokalen Märkten auch zu „Verwerfungen“, weil Firmen preisaggressiv aufträten, aber am Service sparten. So würden sie nicht einmal für ihre eigenen Kunden die zeit- und personalintensiven Servicekapazitäten aufbauen. Später blockierten diese Radkäufer dann die Werkstätten von Mitbewerbern, sodass diese ihr Serviceversprechen nicht einhalten und den Erwartungen der eigenen Kunden nicht gerecht werden könnten, so Obermark.
Das Fahrradcenter mit Standorten in Harburg und Buchholz – hinter denen die Hamburger Brüder Dirks mit ihrer Marke Trenga De stecken – entschloss sich schon vor längerer Zeit dazu, wegen des Mangels an Technikern und freien Kapazitäten keine „fremden“ Velos anzunehmen. Laut Homepage beträgt die aktuelle Vorlaufzeit für einen Wartungsauftrag drei bis vier Wochen.
In kleinen Läden müssen Monteure auch mal im Verkauf aushelfen
Das ist in anderen Hamburger Werkstätten ähnlich. „Wir liegen zwischen vier bis sechs Wochen“, sagt Valeri Petkau von Fahrrad Löwe. Die Gründe dafür seien vielschichtig: In der Corona-Pandemie seien viele Leute – gerade in citynahen Gebieten, in denen der Fahrradladen an der Wandsbeker Chaussee liegt – auf das Fahrrad umgestiegen. Dann fallen natürlich im Zeitverlauf auch Reparaturen an.
Wenn ein Mechaniker in dem kleinen Laden mal hoch in den Verkauf müsse, um einen Kunden zu beraten, pausiere die Reparatur. Das sorgt für Verzögerungen. Und wer sich ab und an aufs Velo schwingt, tut das bevorzugt im Sommer. Es ist also ein klassisches Saisongeschäft, das bei besserem Wetter wohl zu noch längeren Wartezeiten führen würde – wie im vergangenen Sommer, in dem es in der Spitze bis zu zehn Wochen in dem Eilbeker Geschäft waren. Noch würden aber alle Räder angenommen, so Petkau. Egal, ob bei Fahrrad Löwe gekauft oder bei einem anderen Händler.
Bundesweit liegt Wartezeit zwischen zwei Tagen und mehreren Monaten
Einige Händler möchten sich zu dem Thema nicht öffentlich äußern. Die Wartezeit liege derzeit bei etwa sechs Wochen, heißt es von einem Unternehmen, das anonym bleiben möchte. Wer auf gut Glück hereinkomme, könne eben dieses haben und 24 Stunden später ein einsatzfähiges Velo zurückerhalten. Das Rad könne aber auch für ein bis zwei Wochen weg sein, weil die Reparatur so lange dauere.
Den nächsten freien Termin in der Werkstatt gebe es in gut einem Monat, meldet ein anderer Betrieb. Noch nehme man aber jedes Fahrrad an, egal, wo es gekauft wurde.
„Es gibt Regionen und Betriebe mit einer Wartezeit von zwei Tagen. Es gibt andere Betriebe, die haben mehrere Monate Vorlaufzeit. Das ist deutschlandweit immer individuell und sehr verschieden“, sagt Uwe Wöll. Er ist Geschäftsführer des Verbundes Service & Fahrrad (VSF). Dem Fachhandelsverband gehören rund 320 Betriebe an, überwiegend sind es Händler, aber auch Hersteller und Dienstleister gehören dazu.
Deutscher Fahrradhandel könnte ad hoc 7500 Mechaniker einstellen
„Es gibt Engpässe in Werkstätten, das kann man nicht leugnen“, sagt Wöll. Allein der Fahrradhandel – also ohne Industrie – könnte ad hoc 7500 Stellen für Fahrradmechatroniker und -mechaniker besetzen, die übrigens zwischen 2800 und 3000 Euro brutto verdienen würden. Es werden aber pro Jahr nur etwa 2000 in Deutschland ausgebildet. Die Branche hofft – wie andere auch – auf Quereinsteiger wie Flüchtlinge, um den Bedarf etwas zu lindern. Mitbringen müssten sie vor allem handwerkliches Geschick.
Wöll sieht aber auch Handlungsbedarf in vielen Werkstätten. Zweimal jährlich würde man rund 50 Händler schulen, um die Arbeitsabläufe dort zu verbessern. „Wenn ausgebildete Fahrradmechaniker oder -mechatroniker ans Telefon gehen und 15 bis 20 Prozent ihrer Arbeitszeit damit verbringen, Werkstattannahmen zu machen, Termine zu organisieren oder Neufahrräder auspacken und an denen Lenker geradestellen beziehungsweise Pedalen festschrauben – dann stimmt etwas nicht“, sagt Wöll. Es sei viel sinnvoller, solche Arbeiten einer Telefonservicekraft oder Quereinsteigern zu überlassen.
Autospezialist ATU betreibt eine Pilot-Werkstatt für E-Bikes
Das Ausschließen eines gewissen Kundenkreises hält er dauerhaft für den falschen Weg: „Nur Eigenfahrzeuge zu reparieren, halte ich für eine Notlösung.“ Der Bedarf an Werkstattleistungen für Fahrräder wird in Zukunft wohl weiter zunehmen. „Werkstätten, die sich gut aufgestellt haben, haben in den vergangenen acht bis zehn Jahren ihre Kapazitäten bereits verdoppelt“, sagt Wöll.
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In München-Moosach betreibt sogar der Autospezialist ATU eine Pilot-Werkstatt für E-Bikes und Fahrräder. Ob man so ein Serviceangebot deutschlandweit ausrollen und damit auch nach Hamburg kommen wolle, ließ ein Firmensprecher auf Anfrage offen.
Jobräder und E-Bikes lassen Werkstattbedarf wachsen
Der wachsende Bedarf liegt zum einen an den Jobrädern. Wer über den Arbeitgeber ein neues Velo bezogen hat, bringt dieses normalerweise in vorgeschriebenen Intervallen zur Wartung. Denn Service und Reparatur gehören in der Regel zum Angebot dazu. Zum anderen liegt das aber auch an dem steigenden Anteil von E-Bikes, deren Verkauf in einem zu Corona-Zeiten stark gewachsenen Markt mittlerweile rund die Hälfte ausmacht.
Insgesamt kommen so generell mehr Räder in die Wartung, die zudem bei einem elektrisch angetriebenen Rad deutlich mehr Zeit brauche als bei einem bionischen Rad. Wie viel Mehraufwand das bedeutet, darüber gibt es unterschiedliche Angaben. Die Arbeit an Motoren, Akku, Sensoren und Leitungen eines mit E-Motor betriebenen Zweirads sei um etwa zehn bis 15 Prozent aufwendiger als eine normale Wartung, sagt Wöll. B.O.C.-Chef Heumann spricht davon, dass die Wartung eines elektronisch angetriebenen Rads im Vergleich zum normalen Rad rund 50 Prozent zeitaufwendiger sei.
Fahrrad Hamburg: B.O.C. will künftig wieder alle Räder annehmen – in der Nebensaison
In all seinen Werkstätten beschäftigt Heumann 400 Mitarbeiter, darunter 63 Azubis im mechatronischen Bereich. Man habe in der Vergangenheit bei den Lehrlingen schon ordentlich personell aufgestockt. Aber um den erwarteten Reparaturbedarf zu decken, könnte er pro Jahr und pro Werkstatt mindestens einen Mechatroniker zusätzlich einstellen.
Für langfristig orientierte Kunden gibt Heumann zumindest etwas Entwarnung: „Aktuell können wir nur für unsere Kunden die Reparaturen sicherstellen. Aber die Nachfrage nach Werkstattterminen wird wieder runtergehen, sodass wir in der Nebensaison wieder alle Fahrräder annehmen können werden. Die Situation muss sich nur erst einmal entzerren.“