Hamburg. Volle Lager und zurückhaltende Kunden machen Räder derzeit zunehmend günstig. Und wie sieht es mit Werkstattterminen aus?

Das Fahrrad war für viele Menschen das begehrte Verkehrsmittel in der Pandemie. Statt sich der Ansteckungsgefahr im öffentlichen Nahverkehr auszusetzen, bevorzugten sie die Bewegung an der frischen Luft. Die Branche erlebte eine Sonderkonjunktur.

Die Verkaufszahlen erreichten ein 20-Jahres-Hoch, Teile waren knapp, die Preise stiegen, das Wunschfahrrad war kaum zu bekommen – doch nun hat sich die Lage normalisiert.

Fahrräder: günstige Angebotspreise trotz Saisonstart

„Nach den außerordentlichen Jahren 2020, 2021 und 2022 war zu erwarten, dass sich der Markt etwas beruhigen wird“, sagt Bernd Heumann, Geschäftsführer des Hamburger Fahrradhändlers Bike & Outdoor Company (B.O.C.).

Der Umsatz liege bisher zwar um rund neun Prozent unter den Werten des Vorjahres, aber dennoch ist er damit zufrieden. Schließlich sei das immer noch 40 Prozent höher als im Vor-Corona-Jahr 2019.

Lager sind gut gefüllt, Händler reagieren mit Rabatten

Die gute Nachricht für die Kunden. Die Lager seien sehr gut gefüllt, es gebe eine hohe Verfügbarkeit an Rädern. Der Grund: Die Produktion des Jahres 2022 wurde fast zeitgleich mit der Vororder des Jahres 2023 ausgeliefert.

„Diese Überangebot führt aktuell zu Preisreduktionen, sodass die Kunden auf gute Angebote zurückgreifen können“, sagt Heumann, der mit 43 Läden Chef eines der größten Fahrradfilialisten in Deutschland ist. Seine Erfahrung: Der Handel rabattiere bereits trotz des Saisonstarts stark. Man sehe dies, weil es bei B.O.C. eine „Geld-zurück-Garantie“ gebe. Wenn Kunden das Rad innerhalb von vier Wochen nach dem Kauf bei einem Wettbewerber günstiger sehen, bekämen sie die Differenz ausbezahlt.

Branchenkenner halten sogar eine Preisschlacht für möglich

„Es gibt derzeit wohl ein Überangebot“, sagt auch Volker Dohrmann, der beim Hamburger Fahrradhersteller Stevens die Bereiche Strategie, Produkt und Marketing verantwortet: „Es ist daher möglich, dass es am Markt zu Preisschlachten kommt.“ Die Hersteller hätten in den Corona-Jahren massiv Teile bestellt, sich bevorratet und seien ins Risiko gegangen. In der Branche heißt es, dass so viele Räder vorhanden wären, um den Bedarf bis Ende 2024 zu decken.

Waren die Lieferketten während der Pandemie angespannt, hätten sie sich nun wieder stabilisiert. Vor drei Monaten habe man auf eine Nabe des japanischen Branchengiganten Shimano noch 2,5 Jahre gewartet. Jetzt liege die Lieferzeit bei sieben bis acht Monaten. Sättel aus Italien seien nun bereits nach sechs Wochen statt zuvor in 1,5 Jahren erhältlich.

Durchschnittspreise für Räder stiegen in drei Jahren um 45 Prozent

Auch wenn es jetzt Rabatte gibt, muss man allerdings berücksichtigen, dass die Fahrradindustrie die Preise nochmals erhöht hat. Der Durchschnittspreis für ein normales Rad sei binnen eines Jahres um 70 auf 1350 Euro gestiegen, für ein E-Bike um 350 auf 4240 Euro, sagt Dohrmann: „Der Trend zum Fahrradfahren ist ungebrochen. Allerdings werden die Marken-Räder im Fachhandel im Schnitt jedes Jahr bis zu zehn Prozent teurer – sei es wegen des höheren Elektroanteils, gestiegener Qualität oder gestiegener Kosten für Rohstoffe, Zulieferteile, Lohn oder Energie bei der Herstellung.“

Wie stark die Durchschnittspreise in den vergangenen Jahren anzogen, zeigt die Statistik des Zweirad-Industrie-Verbandes (ZIV). Wurden 2019 für ein normales Fahrrad 343 Euro im Schnitt ausgegeben, waren es im vergangenen Jahr 500 – plus 45 Prozent. Ein E-Bike verteuerte sich um 600 auf 2800 Euro.

Branche erzielte 2020 den besten Absatz seit 20 Jahren

Die Kunden ließen sich davon aber nicht abschrecken. 4,6 Millionen Räder wurden 2022 hierzulande verkauft. Das waren zwar 100.000 weniger als ein Jahr zuvor, aber noch 300.000 mehr als 2019. Das erste Corona-Jahr 2020 sorgte mit 5,04 Millionen abgesetzten Rädern für einen Bestwert seit 20 Jahren.

Inwieweit 2023 an die vergangenen Erfolgsjahre anschließt, wird in der Branche natürlich genau beäugt – doch es herrscht eine gewisse Skepsis. „Sicherlich getrieben von der hohen Inflation und den stark gestiegenen Energiekosten gibt es verständlicherweise eine gewisse Kaufzurückhaltung“, sagt B.O.C.-Chef Heumann.

Die Saison kommt bisher „nicht so richtig aus dem Quark“

„Die Saison kommt nicht so richtig aus dem Quark“, sagt Stephan Dirks. Er und sein Bruder Jens Peter sind Gründer und Geschäftsführer des Harburger Fahrradherstellers Trenga De. Zudem betreiben sie direkt nebenan am Großmoordamm und in Buchholz zwei Fahrradcenter und verkaufen als Händler direkt an den Endkunden.

Die Brüder Stephan (links) und Jens-Peter Dirks stehen in der Fertigung ihres Unternehmens Trenga De.
Die Brüder Stephan (links) und Jens-Peter Dirks stehen in der Fertigung ihres Unternehmens Trenga De. © FUNKE Foto Services | Roland Magunia

Normalerweise zieht das Geschäft mit den ersten Sonnenstrahlen des Jahres und steigenden Temperaturen an – dieses Jahr ist das anders. „Wir spüren eine wundersame Kaufzurückhaltung. Und ich glaube nicht, dass es nur am Wetter liegt. Dafür hatten wir schon zu gute Tage“, sagt Dirks.

Ein Traditionshersteller rutschte schon in die Insolvenz

Aus seiner Sicht müssten die Preise trotz schwacher Konsumstimmung wegen der gestiegenen Kosten und Bezugspreise weiter steigen. Aber weil die Lager voll seien und die Nachfrage dümpele, traue sich das niemand. Einige Anbieter würden die Preise sogar senken. Die Anspannung im Markt, ob alle Firmen das Jahr überstehen, sei hoch. Mit dem Traditionsunternehmen Prophete aus Nordrhein-Westfalen ist ein Hersteller bereits in die Insolvenz gerutscht, auch wenn mittlerweile ein Investor für den Fortbetrieb gefunden wurde.

Unter Druck gerate man zum Beispiel durch zwei Entwicklungen: Zum einen würden immer mehr Firmen Dienstfahrräder anbieten – und die vermittelnden Leasingfirmen hohe Provisionen kassieren. Zum anderen träfen die steigenden Zinsen die Unternehmen besonders stark. Denn in der Branche müsse die gesamte Ware vorfinanziert werden. Das ist bei stark steigenden Kreditzinsen entsprechend teurer.

Händler Dirks hält das Angebot für Kunden derzeit für „sehr gut“

Grundsätzlich bleibt Dirks aber optimistisch, denn die Nachfrage nach Rädern werde auch in der Zukunft hoch sein. Und immerhin lägen die Umsätze noch auf Vor-Corona-Niveau, auch wenn das Kostenniveau seitdem um 20 Prozent gestiegen sei.

„Für die Kunden ist es ein günstiger Moment“, sagt Dirks: „Das Angebot für sie ist sehr gut. Sie haben große Auswahl, fast alles ist verfügbar.“ Mittelfristig erwarte er allerdings schon Preisanstiege – so wie in allen Bereichen des Lebens.

Stevens-Manager sieht gute Chancen auf das Wunschrad

Mussten Verbraucher in den vergangenen Pandemie-Jahren Abstriche machen bei der Farbe, der Ausstattung oder Sonderwünschen und nehmen, was es gab, haben sie nun wieder deutlich bessere Karten. „Kunden haben jetzt gute Chancen auf ihr Wunschrad“, sagt Dohrmann, der bei bei dem Billstedter Unternehmen für 2023 einen Umsatz auf Höhe des sehr guten Jahres 2021 erwartet.

Im Trend lägen nach wie vor Gravelbikes – geländegängige Rennräder – bei den herkömmlichen Rädern sowie E-Bikes, die mit einem leichten Heckmotor und kleineren Batterien ausgestattet sind und teilweise einen Carbonrahmen haben. Sie sähen aus wie ein normales Fahrrad, führen sich auch so, gäben dem Fahrer aber die Unterstützung eines Motors, so Dohrmann. Vor allem Mountainbikes würden kaum noch ohne elektrischen Antrieb verkauft.

Erstmals könnten mehr E-Bikes als normale Räder verkauft werden

Deutschlandweit hatten E-Bikes vergangenes Jahr einen Marktanteil von 48 Prozent. Der ZIV erwartet, dass sie 2023 erstmals an den unmotorisierten Fahrrädern vorbeiziehen. Bei Stevens wird das noch nicht der Fall sein, der Anteil der motorisierten Velos ist geringer. In den B.O.C.-Geschäften machen die motorisierten Zweiräder wegen ihrer hohen Preise zwar 52 Prozent des Umsatzes aus, bei der verkauften Stückzahl ist es aber nur jedes Dritte.

In Werkstätten muss man zwei bis drei Wochen auf Termin warten

Der seit Jahren stetig zunehmende Verkauf von E-Bikes macht sich übrigens in den Werkstätten bemerkbar. „Die Nachfrage nach Reparaturleistung ist abermals um etwa 10 Prozent gestiegen“, sagt Heumann. Mittlerweile gebe es mehr als 70 Auszubildende zum Zweiradmechatroniker und Zweiradmonteur.

Dennoch müssen Kunden mit Wartezeiten auf einen Termin zur Reparatur rechnen, und zwar „abhängig von der jeweiligen Personalsituation einzelner Standorte bis zu zwei Wochen“, sagt Heumann.

Der Fachkräftemangel sei in dem Bereich deutlich spürbar, heißt es beim Fahrradcenter. Es gebe zu wenig Techniker. Die Reparatur von Fremdrädern sei daher nicht zu schaffen, sagt Dirks: „Unsere eigenen Kunden können wir gut mit Werkstattterminen versorgen. Innerhalb von zwei bis drei Wochen kriegen sie einen Termin, wenn das Rad von uns kommt.“