Hamburg. In den Läden des Lederwarenhändlers gibt es oft Rabatte auf Reisegepäck, Handtaschen und Schulranzen. Die Gründe.

Die Baustelle vor der Tür ist weg. Gerade noch rechtzeitig zum Beginn der Reisezeit. Ein halbes Jahr war vor dem Lederwarengeschäft Alligator am Jungfernstieg der Gehweg wegen Leitungsbauarbeiten aufgerissen. Kunden mussten sich ihren Weg an der Hamburger Nobeladresse im Zickzackkurs suchen. „Kaum jemand ist noch vor unseren Schaufenstern stehen geblieben“, sagt Hans-Georg Jacobus, Inhaber und Geschäftsführer der Traditionsfirma. Die Umsätze mit Koffern, Taschen und Schulranzen waren um knapp ein Drittel eingebrochen. Dazu kam ein Wasserschaden im Untergeschoss. Wochenlang hatte Jacobus mit knalligen Schildern und saftigen Rabatten geworben. Auch jetzt gibt es „Sale“-Angebote.

Hamburger Traditionsunternehmen macht Großteil des Umsatzes mit Reisegepäck

Alles andere als einfach für das Familienunternehmen, das mit aktuell zehn Standorten eines der letzten seiner Art im Norden ist. Alligator ist noch das, was man einen „Vollsortimenter“ nennt. Im Schaufenster am Jungfernstieg stehen hochwertige Koffer, Lederaktentaschen und Handtaschen von bekannten Marken. Es gibt bunte Rucksäcke und günstige Freizeittaschen, ergonomische Schulranzen und Portemonnaies aller Art. Das Hauptgeschäft macht die Branche allerdings mit Reisegepäck. Auch bei Jacobus und seinem gut 50-köpfigen Team liegt der Anteil bei 60 Prozent des Umsatzes. Während der Corona-Pandemie und auch noch danach war der wichtige Geschäftsbereich wegen der Reisebeschränkungen dramatisch eingebrochen. Jetzt geht es langsam wieder bergauf.

Reisegepäck: Nachfrage steigt nach Corona-Krise deutlich

„Die Menschen reisen wieder und kaufen Koffer“, sagt der 37-Jährige. In den Sommerwochen von Anfang Juli bis Ende August ist für sein Unternehmen Hauptsaison. Durch den Ladenteil für hochwertigere Marken geht es über eine Treppe ins Untergeschoss. Hier stehen Hunderte Koffer dicht an dicht. Am Vortag waren mehrere Paletten mit neuer Ware angekommen, die schon dringend erwartet worden waren. „Wer einen neuen Koffer kauft, will ihn sehen und anfassen“, sagt der Einzelhändler. Es geht um Größe und Farbe, Qualität und Preis. Alligator hat die großen Anbieter wie Samsonite und Travelite im Sortiment, aber auch günstige Modelle. Mehr als ein Dutzend Exemplare verkauft der Händler im Sommer jeden Tag allein am Jungfernstieg.

Das Kofferangebot bei Alligator Lederwaren am Jungfernstieg reicht von sehr hochwertig (wie auf dem Foto) bis günstig.
Das Kofferangebot bei Alligator Lederwaren am Jungfernstieg reicht von sehr hochwertig (wie auf dem Foto) bis günstig. © Michael Rauhe

Dabei gibt es fast auf alles Preisabschläge. Bei vielen Waren des Händlers ist der Originalpreis auf dem Etikett durchgestrichen und mit rotem Stift durch ein günstigeres Angebot ersetzt. Das habe nichts mit Geschäftsschließungen, Lagerverkäufen oder Verramschen zu tun, erklärt Alligator-Chef Jacobus die Strategie hinter dem Dauer-„Sale“. „Es ist mein Prinzip, dass bei mir im Laden niemand für einen Artikel mehr bezahlt als im Internet.“ Seit einiger Zeit beschäftigt sich ein Mitarbeiter in der Zentrale in Groß Borstel nur damit, Preise in Netz abzugleichen und zu ändern. Einen eigenen Onlineshop hat das Unternehmen vor einiger Zeit aufgegeben.

Alligator hat keinen Onlineshop, verkauft aber zu Internetpreisen

Ein beliebtes Koffermodell, das gleich im halben Dutzend am Jungfernstieg steht, gibt es etwa für 125,95 Euro statt für 139,95 Euro. Ein anderes Beispiel ist der Trendrucksack Kanken von der Outdoor-Marke Fjällräven, den Alligator mit Rabatten von bis zu 15 Euro zur Preisempfehlung des Herstellers anbietet. „Ich kann meinen Kunden keinen Rucksack für 89,95 Euro verkaufen, wenn er online 74,95 Euro kostet“, sagt der Einzelhändler. „Nur zufriedene Kunden kommen wieder.“

Das ist entscheidend, denn die Branche steht schon länger unter Druck. Nach Angaben des Handelsverbands BTE Textil Schuhe Lederwaren war die Zahl der Unternehmen 2021 erstmals unter 1000 gesunken – auf exakt 964. Ein Minus von 7,2 Prozent zum Vorjahr. Aktuellere Zahlen liegen noch nicht vor. In Hamburg ist etwa das bekannte Lederwarenunternehmen Klockmann, das früher mehrere Filialen in der Innenstadt hatte, nach der Schließung der Filiale am Gänsemarkt nur noch am Flughafen mit einem Geschäft vertreten.

Internationale Luxusmarken profitieren besonders von Umsatzplus

Zwar haben sich die Umsätze im deutschen Lederwarenhandel nach dem Einbruch im ersten Corona-Jahr 2020 stabilisiert und lagen nach einer Schätzung des BTE im Jahr 2021 wieder bei 1,1 Milliarden Euro. „Hauptgrund dafür dürften aber hohe Zuwächse bei den internationalen Luxusketten sein“, sagt BTE-Geschäftsführer Axel Augustin. Gemeint sind angesagte Marken wie Louis Vuitton oder Hermès. Die Schere geht immer weiter auf. Für den mittelständischen Handel sei 2021 noch sehr problematisch gewesen. „Der Aufholprozess wurde erst 2022 und im ersten Halbjahr 2023 gestartet“, so der Handelsexperte.

Das Geschäft hat sich massiv verändert. Taschen und Rucksäcke verkaufen neben Warenhäusern inzwischen auch viele Modehändler, Outlet-Geschäfte und natürlich die großen Onlineshops. „Dazu kommt, dass Marken immer wichtiger werden“, sagt Fachhändler Hans-Georg Jacobus. Der Koffer von Samsonite, der Schulranzen von Ergobag, die Handtasche von Coccinelle, der Rucksack von Gotbag. Hauptsache, der richtige Name steht drauf. Als sich die bekannte Koffermarke Rimowa nach dem Verkauf an die Louis-Vuitton-Muttergesellschaft LVMH vor einigen Jahren aus dem Fachhandel zurückzog und seitdem nur noch über eigene Shops vertreibt, war das ein schwerer Schlag.

Vorbei auch die Zeiten, in denen er mit seinem Vater noch mehrfach im Jahr nach Italien gefahren ist, um die schönsten Lederwaren für die Hamburger Läden einzukaufen. Bemerkbar mache sich zudem, dass deutlich weniger Handtaschen gekauft würden. Der Umsatzanteil ist nach seinen Angaben in den vergangenen 20 Jahren von 40 auf gerade mal 15 Prozent gesunken. Aus Leder sind – auch in seinen Geschäften – nur noch die wenigsten.

Dass ihm diese Entwicklungen nicht gefallen, merkt man dem Alligator-Chef an. Hans-Georg Jacobus führt das Unternehmen in dritter Generation. Sein Großvater, Inhaber des Lederwarenhändlers Buchmann, hatte Alligator in den 1950er-Jahren übernommen. Unter seinem Vater war die Zahl der Filialen auf elf gestiegen. Der heutige Inhaber, der über dem inzwischen geschlossenen Laden an der Hoheluftchaussee aufgewachsen war und eine kaufmännische Ausbildung in der Branche absolviert hat, kam 2009 in die Firma und startet den Umbau. „Langfristig“, sagt er, „überleben nur die größeren Händler. Viele kleinere geben auf.“

Reisegepäck: Hamburger Traditionshändler will expandieren

Um die Zukunft für Alligator ist er nicht bange. „Wir stehen gesund da.“ Er sagt aber auch: „Es ist ein Drahtseilakt.“ Zu konkreten Geschäftszahlen schweigt er. In den vergangenen Jahren hat er umsatzschwache Filialen geschlossen. Mitte August macht deshalb auch der Laden an der Eppendorfer Landstraße zu. „Wir haben außerdem den Warendruck in den Läden reduziert“, sagt der Lederwaren-händler. Sprich: Die Auswahl ist geringer. Die Kunden reagierten positiv. Teilweise seien die Geschäfte sehr voll gewesen. Auch das soll mehr Beweglichkeit für die künftige Entwicklung bieten.

Denn der Alligator-Chef sieht Potenzial für sein Geschäftsmodell. „Wir wollen weitere Standorte eröffnen“, sagt er. Nach der Schließung in Eppendorf ist der Fachhändler mit sieben Filialen in Hamburg vertreten sowie mit je einer in Braunschweig und Wolfsburg. Für seine Expansionspläne hat er größere Städte ab 150.000 Einwohner im Norden im Blick.

In Hamburg sind keine Neueröffnungen geplant. Das liegt auch an den Mieten. „Ich bin sehr froh“, sagt er, „dass ich nach Verhandlungen mit Vermietern etwa in Ottensen und am Jungfernstieg die Standorte mit langfristigen Verträgen sichern konnte.“