Hamburg. Verbandschefin Brigitte Nolte spricht über das Weihnachtsgeschäft und die aktuellen Krisen. Was sie jetzt fordert.
Seit sieben Jahren ist Brigitte Nolte praktisch „Frau Einzelhandel“ in Hamburg. Als Geschäftsführerin des mächtigen Handelsverbands Nord in der Hansestadt vertritt sie die Interessen der Branche. Nach zwei schwierigen Corona-Jahren stehen die Händler durch die Inflation und den Ukraine-Krieg erneut vor großen Problemen. Auch das Weihnachtsgeschäft, das viele Hamburger am letzten Adventswochenende bei schönstem Winterwetter an Alster, Elbe und in die Innenstadt gelockt hat, dürfte die Finanzlage der Betriebe nicht nachhaltig verbessern.
Durch steigende Preise sänken die Margen – und bei sehr vielen Geschäften könnten am Ende des nächsten Jahres keine schwarzen Zahlen mehr stehen. Dazu kommen die Mieten, die teilweise, bei Index-Verträgen, an die allgemeine Preissteigerung gebunden sind. Um finanziell angeschlagene Geschäfte zu retten und die Leerstände in der Innenstadt zu begrenzen, müssten diese Kosten gedeckelt werden, fordert Nolte .
Ein Gespräch über reale Umsatzverluste im Weihnachtsgeschäft, die Verödung der Mönckebergstraße und die Erwartungen an die Innenstadtkoordinatorin.
Hamburger Abendblatt: Kurz vor Ende des Jahres 2022 – wie läuft das Weihnachtsgeschäft für den Hamburger Einzelhandel?
Brigitte Nolte: Die Leute sind in der Stadt unterwegs. Offenbar ist die Freude groß, dass nach zwei Jahren mit Corona-Einschränkungen wieder ein normaler Weihnachtsbummel möglich ist. Weihnachten ist ja auch ein emotionales Geschäft. Daher ist die Konsumstimmung in den letzten Wochen etwas gestiegen, aber sie bewegt sich seit Monaten auf einem historisch niedrigen Niveau. Wir merken auch jetzt, dass angesichts der aktuellen wirtschaftlichen Lage weniger für Geschenke ausgegeben wird als in den Vorjahren.
Und wie fällt der Vergleich zu früheren Jahren aus?
Nolte: Wir gehen davon aus, dass die Umsätze im November und Dezember um gut fünf Prozent steigen. Aber das ist allein den Preissteigerungen geschuldet. Für die Händler bedeutet das: Preisbereinigt sinken die Umsätze um voraussichtlich 4,5 Prozent. Das wäre im historischen Vergleich ein sehr schlechtes Ergebnis.
Stehen angesichts der hohen Energiepreise vor allem Wolldecken, Socken und Wärmflaschen auf den Wunschzetteln? Oder was wird verschenkt?
Nolte: Nach wie vor sind es die klassischen Weihnachtsgeschenke: Gutscheine, Spielwaren, Unterhaltungselektronik, Bücher, Schmuck. Daran ändert sich nichts. Natürlich merken wir bei den niedrigeren Temperaturen, dass mehr warme Kleidung nachgefragt wird. Die Kunden kaufen bedarfsorientiert.
Wie haben sich die Umsätze nach zwei Jahren Corona 2022 für die Händler in Hamburg entwickelt?
Nolte: In der Pandemiezeit waren die Erfahrungen sehr unterschiedlich. Einige Branchen sind gut durch die Krise gekommen, etwa der Lebensmitteleinzelhandel, aber auch die Sortimente Möbel, Fahrräder oder Outdoor. Bei Mode und Schuhen sah es ganz anders aus. Jetzt machen wir die Erfahrung, dass alle gleich betroffen sind. Die Verbraucher halten ihr Geld zusammen, auf der anderen Seite steigen die Kosten für die Händler. Das setzt der ganzen Branche nach zwei Pandemiejahren extrem zu. Unter dem Strich steht für 2022 ein reales Minus. Wie hoch das im Einzelnen ausfällt, wird sich zeigen.
Was macht den Händlern jetzt besonders zu schaffen?
Nolte: Praktisch alle Hersteller haben die Preise erhöht. Sämtliche Kostenpositionen sind gestiegen, auch die Löhne und Gehälter. Hinzu kommt der Fachkräftemangel. Manche Geschäfte haben die Öffnungszeiten reduziert, damit sie mit einer Schicht auskommen. Dadurch lassen sich Kosten sparen und werden Mitarbeiter entlastet.
Beobachter rechnen damit, dass im Januar der Preisnachzahlungsschock für Energie und Heizung noch mal mehr auf die Konsumstimmung drückt. Erwarten Sie eine steigende Zahl an Ladenschließungen und Insolvenzen?
Nolte: Schon heute gibt es im Vergleich zu 2019 bundesweit 41.000 Geschäfte weniger. Rechnerisch auf Hamburg bezogen sind das etwa 1100 Geschäfte, die bereits weggefallen sind. Aktuell zehren die Kostensteigerungen die Renditen auf. Gleichzeitig sind die Reserven nach der Pandemiezeit bereits aufgebraucht. Gerade Bekleidung und Schuhe sind die Branchen mit dem geringsten Bruttobetriebsüberschuss. Bei den aktuellen Kostensteigerungen und der Verbraucherzurückhaltung können bei sehr vielen Geschäften am Ende des nächsten Jahres keine schwarzen Zahlen mehr stehen.
Schon jetzt verlassen immer mehr Händler die Innenstadt. Zuletzt hat das Modehaus AppelrathCüpper die Schließung angekündigt. Was läuft schief?
Nolte: Ich kenne die betriebswirtschaftlichen Daten nicht, aber ein wichtiger Punkt sind die Mieten. Sie machen einen großen Anteil der Kosten aus. Aktuell kommt hinzu, dass die meisten Unternehmen Index-Mieten mit ihren Vermietern vereinbart haben, die Miete also an die Inflationsrate gekoppelt ist. Wenn die Preissteigerungen nachfragegetrieben sind, ist das auch akzeptabel. Wir haben jetzt aber eine kostengetriebene Inflation. Wenn die Miete noch weiter erhöht wird, können die Einzelhändler nur noch das Geschäft aufgeben. Die Bestandsmieten müssten sinken und nicht steigen. Bei Neuverträgen ist schon jetzt deutlich spürbar, dass die Mieten fallen. Aber die Immobilienbranche sorgt sich natürlich um den Wert ihrer Objekte.
Sogar das Traditionsunternehmen Görtz hat es getroffen, zahlreiche Filialen sollen dichtgemacht werden. Auch die Warenhauskette Galeria will weitere Kaufhäuser – voraussichtlich auch in Hamburg – schließen. Befürchten Sie einen Dominoeffekt?
Nolte: Wo viel Leerstand ist, sinkt die Qualität der Lage und ist es auch für andere Geschäfte nicht mehr attraktiv. Was Leerstand bewirkt, zeigt sich aktuell in der Hamburger Innenstadt etwa am Beginn der Mönckebergstraße, wo die beiden großen Kaufhäuser Kaufhof und Karstadt Sports seit mehr als zwei Jahren geschlossen sind. Ich bin aber sehr zuversichtlich, dass es für das Zentrum immer eine Nachfrage für die Gewerbeflächen gibt. Das gilt für jedes attraktive Quartier. Aber es hängt von den Mietpreisen ab.
Apropos Mönckebergstraße: Auch die Weihnachtsbeleuchtung kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Tor zur Innenstadt ein Problemfall ist: Leerstände, Interimsmieter, Dauerschlussverkauf – warum sollen Hamburger und Besucher noch zum Einkaufen kommen?
Nolte: Das Problem besteht sicherlich am östlichen Teil. Aber es ist lösbar. Gerade bei den beiden Kaufhäusern braucht es komplett neue Konzepte. Inzwischen ist der ehemalige Kaufhof an einen neuen Eigentümer verkauft. Das Potenzial der Innenstadt ist enorm. Aber es dauert alles viel zu lange. Mit der neuen Innenstadt-Koordinatorin ist viel Hoffnung verbunden. Aber es ist auch sehr mühsam, die unterschiedlichen Interessen und Zuständigkeiten zu koordinieren. Da hätte ich mir mehr Schwung gewünscht.
Parallel wächst mit der Verödung auch die Zahl der Obdachlosen, die in den Wintermonaten nach Ladenschluss und am Sonntag vor den Eingangstüren der Geschäftshäuser Schutz suchen.
Nolte: Das war auch schon früher so. Aber es stimmt: Wo Leerstand ist, lassen sich die Obdachlosen eher nieder. Dazu kommt die Situation am Hauptbahnhof. Das ist für Menschen, die mit dem öffentlichen Nahverkehr in die Stadt kommen, teilweise schwer zu ertragen. Die Stadt macht schon einiges, etwa mit dem Winternotprogramm. Aber offenbar reicht es nicht.
Was muss aus Sicht des Handelsverbands jetzt als Erstes passieren, um die Innenstadt wieder attraktiver zu machen? Geredet wurde in den vergangenen Jahren genug.
Nolte: Die Stadt muss in erster Linie den öffentlichen Raum in den Fokus nehmen. Was mit den großen leer stehenden Immobilien passiert, entscheiden letztendlich die Eigentümer. Vor allem aber müssen Entscheidungen schneller getroffen werden. Im übernächsten Jahr wird das Überseequartier eröffnet. Der Plan war, die Innenstadt bis dahin attraktiv zu gestalten. Die Politik könnte jetzt konkret mehr machen, was die Index-Mieten betrifft. Eine konkrete Forderung ist eine Deckelung eines möglichen Mietanstiegs. Der Hamburger Senat hat im November eine Bundestagsinitiative beschlossen, die eine Kappungsgrenze bei privaten Mietern vorsieht. Das muss auch für den gewerblichen Bereich gelten.
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In Lübeck hat die Stadt schon vor zwei Jahren die Karstadt-Filiale in zentraler Altstadt-Lage gekauft. Wäre es auch in Hamburg sinnvoll, wenn die Stadt eingreift und das Kaufhof-Gebäude oder Karstadt Sports in städtisches Eigentum übernimmt?
Nolte: Klar, das wäre natürlich ein großartiges Signal.
Wie sieht die Hamburger Innenstadt in einem Jahr aus?
Nolte: Ich bin realistisch. Da werden die beiden Kaufhäuser noch nicht wieder neu bespielt sein. Wir haben ein Jahr vor uns, in dem der typische Innenstadthandel vor besonders großen Herausforderungen steht. Die Menschen haben zudem ihre Stadtteile wiederentdeckt, auch weil viele im Homeoffice arbeiten. Wir werden nicht weiter sein, aber haben hoffentlich Lösungen, wie es weitergehen könnte.