Hamburg. Firma Tonste aus dem Norden will abbaubaren Kunststoffersatz ganz groß rausbringen. Test in Hamburger Eisdielen startet bereits.
In der Eistruhe von Giovanni L. im Wandsbek Quarree ist die Auswahl groß. Im Angebot sind neben gängigen Klassikern auch ausgefallene Geschmacksvarianten wie Tahiti Lemon mit Basilikum, Royal Mint oder Coconut Kiss. Damit nicht genug. Wer ein Eis zum Mitnehmen bestellt, bekommt seit Kurzem ein ganz besonderes Eislöffelchen dazu.
„Nach dem Verbot von Einwegbesteck aus Plastik vor zwei Jahren haben wir alles mögliche ausprobiert“, sagt Eisdielen-Betreiber Christopher Schönhoff. Holz, Pappe, Bambus, gepresste Fasern, Keksteig – nichts habe ihn und seine beiden Geschäftspartner qualitativ überzeugt.
Hamburger Eiscafés: Wie Plastik, nur öko – Ist das der perfekte Eislöffel?
Deshalb war der Gastronom sofort dabei, als er das Angebot bekam, als Erster in Hamburg den Prototyp eines nachhaltigen Eisspatels aus einem neuartigen Kunststoffersatz zu testen. Wie Plastik, nur öko.
„Mich hat das Material direkt überzeugt“, sagt der 38-Jährige. „Es besteht ausschließlich aus pflanzlichen Inhaltsstoffen und ist komplett biologisch abbaubar.“ Die Löffel halten so lange, wie man sie braucht, bevor sie in Kontakt mit Feuchtigkeit beginnen, sich zu zersetzen. Und, das ist ihm besonders wichtig: Anders als etwa Holz haben sie keinen Eigengeschmack, der sich auf das Eis auswirkt.
Neuer Bio-Kunststoff macht Traceless Konkurrenz
Periamyl heißt der Stoff, von dem die Erfinder glauben, dass er „die Welt verändern wird“. Dahinter steckt kein hippes Start-up, sondern die ungewöhnliche Allianz aus dem mittelständischen Wuppertaler Familienunternehmen Periplast und den erfahrenen Verpackungsexperten Torsten Kahns und Stephan Gross aus dem schleswig-holsteinischen Ratekau mit ihrer Firma Tonste. Klar, dass es nicht bei Eislöffeln bleiben soll.
Aber der Reihe nach. Angefangen hat das Projekt vor drei Jahren. Timo Porsch, Juniorchef des Spitzguss-Produzenten Periplast und Doktor der Chemie, hatte die Idee für die Innovation. „Wir stellen in unserem Betrieb unter anderem Garnrollen und Spulen her und haben uns schon länger mit Bio-Kunststoffen beschäftigt“, sagt der 38-Jährige.
Aber er habe nichts auf dem Markt gefunden, das seinen Anforderungen in der Verarbeitung, Produktstabilität und Nachhaltigkeit genügt hätte. Porsch fing an, verschiedene Verfahren auszuprobieren. Herausgekommen ist ein Granulat, das Periplast inzwischen in einem komplexen – und geheimen – Prozess produziert. Dabei nutzen Posch und sein Team fast ausschließlich natürliche Stärke, die aus Industriemais gewonnen wird statt erdölbasierter Inhaltsstoffe.
400 Millionen Tonnen neuer Kunststoff im Jahr
Weltweit werden 400 Millionen Tonnen Kunststoff im Jahr neu produziert. Jedes Jahr steigt der Berg an Plastikmüll. Fast die Hälfte der Abfälle wird auf Deponien entsorgt. 22 Prozent landen unkontrolliert in der Umwelt. Recycelt werden gerade mal neun Prozent. Periamyl kann man dagegen laut Porsch gar nicht falsch entsorgen.
„In Verbindung mit Feuchtigkeit zersetzt sich das Material und zerfällt in seine natürlichen Bestandteile, anstatt wie herkömmliche Kunststoffe lange die Umwelt zu belasten“, sagt der Entwickler. Trotzdem kann Periamyl von der Kunststoffindustrie in Standardmaschinen verarbeitet werden und erreicht eine ähnliche Produktstabilität. Inzwischen wurden die Eigenschaften des Plastikersatzes mit mehreren Zertifikaten bestätigt. Die Patentanmeldung läuft.
Tonste vertreibt den neuen Bio-Kunststoff
Und hier kommt Tonste ins Spiel. „Als uns Periamyl zum ersten Mal präsentiert wurde, waren wir sofort begeistert“, sagt Torsten Kahns. Der 54-Jährige, der mit seiner Firma Ka-Pack in Ratekau industrielle Holzverpackungen herstellt, hat Anfang dieses Jahres mit Stephan Gross die neue Firma gegründet, die ausschließlich Produkte aus Periamyl vertreibt. Zum Start gibt sie neben Eislöffeln auch Pommes-Gabeln und Golf-Tees.
Im Moment sind die beiden Gründer bundesweit unterwegs, um Kunden von ihren Produkten zu überzeugen. Dabei hat Stephan Gross, der weiterhin parallel im Vertrieb eines Kartonagen-Herstellers arbeitet, als Anschauungsmaterial immer eine Schachtel mit vier wassergefüllten Röhrchen dabei. Darin sieht man den Zersetzungsprozess eines Eisspatels vom ersten Tag bis zu sechs Wochen. „Zum Schluss bleibt nur eine milchige Flüssigkeit. Das ist Wasser mit Stärke. Unschädlich für die Natur. Fische oder Vögel können sie ohne Probleme fressen“, sagt der 54-Jährige.
Bundesweit gibt es diverse Unternehmen, die an biologisch abbaubaren Plastikersatzstoffen arbeiten. Bekannt ist das Hamburger Bioökonomie-Start-up Traceless. Die Gründerinnen Anne Lamp und Johanna Baare haben ein Verfahren entwickelt, mit dem sie einen Plastikersatz aus Pflanzenresten herstellen, das sich ebenfalls in Verbindung mit Feuchtigkeit biologisch abbaut. Im Mai haben sie eine Millionenförderung aus dem Umweltinnovationsprogramm des Bundesumweltministeriums erhalten.
Die Erwartungen sind hoch. Das Start-up, das im vergangenen Jahr unter anderem mit dem Deutschen und dem Hamburger Gründerpreis ausgezeichnet worden war, kooperiert mit mehreren großen Unternehmen, darunter Otto, Lufthansa und Das Futterhaus. Für den Modehändler C&A produziert Traceless als erstes Produkt einen Sockenhaken als Ersatz für herkömmliche Kunststoffprodukte.
Bislang waren neue Entwicklungen in der Pilotanlage in Buchholz in der Nordheide allerdings nur in sehr kleinen Mengen möglich. „Als nächsten Schritt errichten wir eine richtige Industrieanlage“, hatte Johanna Baare im Mai gesagt. Die Vorbereitungen laufen. Starttermin und einen Standort wollen sie noch nicht verraten, aber nach Abendblatt-Informationen will Traceless künftig im Hamburger Süden produzieren.
Peripast kann 1000 Tonnen des neuen Bio-Kunststoffs im Jahr produzieren
Da ist Periplast schon einen Schritt weiter. „Wir können 1000 Tonnen unseres Granulats im Jahr produzieren“, sagt Geschäftsführer Timo Porsch. Das klingt erst mal noch nicht nach viel, aber damit lassen sich umgerechnet etwa 200 Millionen Eislöffelchen herstellen – etwa der Hälfte des Jahresbedarfs der Deutschen. Laut Porsch könne die Produktion zudem schnell auf das Vierfache hochgefahren werden. Im Moment läuft die Entwicklung weiterer Produkte.
Die Ideen reichen von kompletten Einwegbesteck-Sets mit Messer, Gabel, Löffel über Zahnsticks bis zu Garnrollen. „Langfristig wollen wir auch dünnwandigere Materialien herstellen, etwa für Einsätze in Pralinen- oder Keksschachteln“, sagt Entwickler Porsch. Er kann sich viele weitere Anwendungen vorstellen. Wichtigstes Kriterium: Sie dürfen nicht längerfristig mit Feuchtigkeit oder Wasser in Verbindung stehen. Denn der Zersetzungsprozess beginnt schon wenige Stunden nach dem Erstkontakt (s.o.).
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Mit weiteren Verschärfungen der Verpackungsgesetze wird auch der Bedarf an abbaubaren Kunststoffen steigen. „Wir sehen uns nicht als Konkurrenz zu anderen Herstellern in dem Segment“, betont deshalb Tonste-Gründer Torsten Kahns. Trotzdem geht es jetzt darum, Periamyl im großen Stil an den Markt zu bringen. Dabei spielt der Preis eine wichtige Rolle. Beispiel Eislöffel: Am billigsten (aber nicht mehr erlaubt) sind die aus einfachem Kunststoff für 1 bis 1,5 Cent pro Stück. Holz- oder Papier-Eislöffel gibt es für vier bis fünf Cent. Die Periamyl-Exemplare schlagen dagegen mit sechs bis sieben Cent zu Buche. „Nachhaltigkeit hat einen Preis“, betont Kahns.
Bio-Kunststoff ist noch deutlich teurer als herkömmliches Plastik
Gastronom Schönhoff, der mit dem Unternehmen Genusscampus zwei weitere Giovanni L.-Standorte in Ottensen und in Norderstedt betreibt, sieht es ähnlich. Erst mal hat er 8000 Eislöffel geordert. Außerdem Pommes-Gabeln für das Fleetschlösschen in der HafenCity und Ratsherrn-Das Lokal in Eimsbüttel, die ebenfalls unter seiner Führung laufen. Ein allererster Testlauf für den neuen Bio-Kunststoff in Kiel war gut angekommen. „Wenn unsere Kunden es auch positiv bewerten, wäre ich bereit, die teureren Eislöffeln dauerhaft einzusetzen“, sagt er.