Hamburg. Die Kritik an den Mehrwegregeln in der Gastronomie ist groß. Wie die Hamburger Umweltbehörde bei Verstößen reagiert.

Mehrweg statt Einweg: Seit Anfang Januar haben Verbraucherinnen und Verbraucher die Wahl, wenn sie im Restaurant oder Café um die Ecke Essen und Getränke zum Mitnehmen bestellen. Theoretisch. Denn bei der Umsetzung der neuen Regeln unter dem sperrigen Namen Mehrwegpflicht hakt es gut 100 Tage nach dem Start quer durch die Republik erheblich. Hamburg ist da keine Ausnahme. Dabei ist völlig unklar, wie viele Gastronomen in der Hansestadt die gesetzlichen Vorgaben beim Außer-Haus-Verkauf umsetzen – und wie viele nicht.

In der Umweltbehörde, die für das Thema zuständig ist, heißt es auf Abendblatt-Anfrage: „Kontrollen wurden bisher nicht durchgeführt.“ Erklärt wird das unter anderem mit der angespannten Personalsituation. Derzeit reagieren die Beamten nur auf konkrete Hinweise aus der Bevölkerung. Im ersten Quartal 2023 waren es exakt neun Meldungen. Da es sich dabei um eine Ordnungswidrigkeit handelt, könnten Verstöße mit einem Bußgeld von bis zu 10.000 Euro geahndet werden. Theoretisch. „Ob es sich um Verstöße handelt, wird derzeit noch geprüft“, so eine Sprecherin der Umweltbehörde.

Gastronomie: Neue Mehrwegregeln seit 1. Januar

Die sogenannte Mehrwegangebotspflicht gilt seit 1. Januar. Das bedeutet: Restaurants, Bistros und Cafés, die Essen und Getränke für den Verzehr außer Haus verkaufen, müssen ihre Produkte alternativ jetzt auch in Mehrwegverpackungen anbieten – und zwar ohne Kostenaufschlag. Erlaubt ist allerdings ein Pfand. Damit sollen langfristig Einwegverpackungen aus Kunststoff ersetzt werden. Ausgenommen sind kleinere Geschäfte wie Imbisse und Kioske, in denen höchstens fünf Beschäftigte arbeiten und die eine Ladenfläche von nicht mehr als 80 Quadratmetern haben.

Das klingt kompliziert und ist es auch. Schon jetzt zeichnet sich ein Mehrweg-Flickenteppich ab, der bei Verbraucherinnen und Verbrauchern statt für Akzeptanz für Verwirrung sorgt. Neben diversen übergreifenden Mehrwegsystemen wie etwa Vytal oder Recup/Rebowl gibt es eine Vielzahl von individuellen Lösungen bei den einzelnen Betrieben. Nicht nur viele Gastronomen, auch Umwelt- und Verbraucherschutzorganisationen sind unzufrieden mit der Ausgestaltung der Vorschriften und fordern Nachbesserungen vom Bundesumweltministerium.

Dehoga kritisiert komplizierte Vorschriften

„Es ist ein nerviges Thema“, sagt Jens Stacklies, Vizepräsident des Dehoga Hamburg und als Chef der Stacklies-Unternehmensgruppe mit Fischauktionshalle und Privatbrauerei Gröninger einer der größten Gastronomen der Stadt. Zwar sei das Gastgewerbe für die Vermeidung von Plastikverpackungen, aber die Vorschriften stellten die Betriebe vor große Herausforderungen. „Das Ganze ist unausgegoren“, sagt Stacklies, der etwa 6000 Unternehmen in Hamburg vertritt. Unverständlich, kompliziert und nicht immer praktikabel seien die Regeln, bei denen zudem eine Reihe von Ausnahmen gilt – unter anderem für Pizza-schachteln und Burgerverpackungen aus Pappe. Auch Alu-Schalen sind weiterhin erlaubt.

Zudem bestünden ungeklärte Hygiene-Haftungsrisiken bei den zurückgegebenen Behältern, moniert Stacklies. Auch deshalb hat der Gastronom inzwischen in ein eigenes Mehrweggeschirr investiert, das seine Beschäftigten nach der Rückgabe in Industriespülmaschinen waschen. Von Kollegen in der Branche habe er gehört, dass sie erst mal vorhandenes Einweggeschirr aufbrauchen wollen, bevor sie sich mit dem Thema Mehrwegangebot beschäftigen. Grundsätzlich sehe er aber Chancen, Einweg zu verbannen, sagt der Dehoga-Vize. „Das muss sich noch einspielen.“ Mindestens bis Jahresende werde das noch dauern.

Block House: Geringe Nachfrage von Kunden

Auch andere große Unternehmen in Hamburg wie die Block-Gruppe sind auf der Suche nach passenden Lösungen. „Die Nachfrage für die Mehrwegverpackungen ist sowohl bei Block House als auch bei Jim Block überschaubar“, erklärt eine Firmensprecherin. In den bundesweit 44 Block-House-Restaurants sind demnach aktuell gerade mal 200 eigene Mehrwegverpackungen im Umlauf. Bei der Burger-Kette Jim Block werden Behälter des App-basierten Mehrwegsystems Vytal eingesetzt, die auch an anderen Stellen wieder abgegeben werden können.

Andere wie die Gründerinnen der Gastrokette Poké Bar, Maria Alberti-Moghaddam und Leslie Schwittay, setzen schon seit Jahren auf eigenes Mehrweggeschirr, das von Stammkunden gern genutzt wird. Parallel haben sie auch Mehrweggeschirr eines Systemanbieters im Angebot. „Es läuft gut“, sagen die Unternehmerinnen.

Greenpeace startet Meldeportal für Verstöße

Greenpeace hat Ende März ein bundesweites Meldeportal initiiert, bei dem Verbraucher und Verbraucherinnen Verstöße direkt an die zuständigen Stellen melden können. Schon in den ersten Wochen sind mehr als 1200 Meldungen registriert worden – jede Woche kommen rund 100 dazu. Zahlen für Hamburg gibt es nicht. Aber Anfang Januar hatten die Umweltschützer bei insgesamt 39 Testkäufen in der Hansestadt ein eher negatives Ergebnis ausgemacht. „Nur bei 23 Prozent der Betriebe wurden Mehrweg-Alternativen angeboten, bei knapp 77 Prozent gab es das nicht“, hieß es.

„Das ist kein Kavaliersdelikt mehr“, sagt Viola Wohlgemuth, die in der deutschen Greenpeace-Zentrale in Hamburg für Kreislaufwirtschaft zuständig ist. Die Änderungen des Verpackungsgesetzes sei vor mehr als zwei Jahren verabschiedet worden. Die Betriebe hätten lange genug Zeit gehabt, sich vorzubereiten. Das neue Meldeportal ist allerdings nicht unumstritten. „Es geht nicht um Denunziantentum“, wehrt sich Wohlgemuth gegen Kritik. „Unser Ziel ist es, die Behörden in Gang zu bringen. Bislang versandet das Gesetz.“

Deutsche Umwelthilfe klagt gegen Rewe und Starbucks

Die Deutsche Umwelthilfe geht noch einen Schritt weiter und will jetzt mit rechtlichen Schritten gegen Unternehmen vorgehen, die gegen die Mehrwegangebotspflicht verstoßen. Nach einer Reihe von Testbesuchen hatte der Umwelt- und Verbraucherschutzverband Ende März Klagen unter anderem gegen die Coffeeshop-Kette Starbucks, den Lebensmittelhändler Rewe und die Kinobetreiber Cinestar eingereicht.

„Einen großen PR-Coup“ nennt auch Tristan Jorde von der Verbraucherzentrale Hamburg die Mehrwegangebotspflicht. Er fordert ein verpflichtendes und einheitliches Rückgabesystem, das einfach handhabbar ist. „Vor allem müssen auch die Ausnahmen wie bei beschichteter Pappe oder Aluminium unbedingt weg“, sagt der Verbraucherschützer. Inzwischen zeichnet sich ab, dass das Bundesumweltministerium eine Verschärfung der Regeln plant.

Gastronomie: CDU prangert Umsetzung der Mehrwegpflicht in Hamburg an

Auch in der Hamburger Politik sorgt das Thema für Unruhe. „Abfallmengen zu reduzieren und Ressourcen einzusparen ist für den Umweltschutz sehr wichtig. Hierzu kann die seit Januar geltende Mehrwegangebotspflicht durchaus einen Beitrag leisten“, sagt CDU-Politiker André Trepoll, Vizepräsident der Bürgerschaft und Fachsprecher für Verfassung, Bezirke und Bürgeranliegen. In einer schriftlichen Kleinen Anfrage an den Senat hat der Oppositionspolitiker den aktuellen Stand von Umsetzung und Kontrollen der Mehrwegangebotspflicht abgefragt.

In der Antwort gibt es dazu wenig Konkretes. „Die BUKEA (Umweltbehörde, d. Red.) setzt zunächst verstärkt auf Aufklärung und Überzeugung und bietet mit der Kampagne ,Einfach Mehrweg’ umfangreiche Hilfestellungen. Kontrollen wurden bisher noch nicht durchgeführt“, heißt es. Der Zeitraum von drei Monaten seit Inkrafttreten der Mehrwegangebotspflicht sei „zu kurz für eine erste Bilanz“.

Trepoll will sich damit nicht zufrieden geben. „Dass weder für die Gastronomen klar erkennbar ist, wie sie ihrer Pflicht konkret nachkommen sollen, noch durch den Senat, der sich immer wieder als Klimaretter darstellt, Personal für die Kontrollen zur Verfügung gestellt wurde, ist eine Farce! Die Kampagne allein reicht dafür nicht!“ Diese hat, in dem Punkt gab es übrigens Klarheit in der Senatsantwort, 124.000 Euro gekostet.