Hamburg. Hamburger Start-up Traceless erhält Millionenförderung für die Herstellung seiner Innovation. Wo die neue Anlage stehen soll.
Die Summe ist auf den Euro genau berechnet: 5.128.401,00 Euro steht auf dem Scheck, den die Überbringerin aus Berlin im Gepäck hat – und sie sorgt für strahlende Gesichter. Das Hamburger Start-up Traceless erhält eine Millionenförderung aus dem Umweltinnovationsprogramm des Bundesumweltministeriums.
„Das ist ein großer Meilenstein für uns“, sagt Gründerin Anne Lamp (32) bei der Übergabe am Mittwoch. Gemeinsam mit Johanna Baare (34) steht die Hamburgerin hinter dem Bioökonomie-Unternehmen, das einen Plastikersatz aus Pflanzenresten entwickelt hat. Mit dem Geld vom Bund kann jetzt der Bau einer Produktionsanlage starten.
Hamburger Start-up: Plastikersatz aus Pflanzenresten – Produktion soll starten
Die Erwartungen sind hoch. Das Start-up, das im vergangenen Jahr unter anderem mit dem Deutschen und dem Hamburger Gründerpreis ausgezeichnet worden war, arbeitet bereits mit mehreren großen Unternehmen zusammen, darunter Otto, Lufthansa und Das Futterhaus.
Für den Modehändler C&A produziert Traceless als erstes Produkt einen Sockenhaken als Ersatz für herkömmliche Kunststoffprodukte. Bislang waren neue Entwicklungen in der Pilotanlage in Buchholz in der Nordheide allerdings nur in sehr kleinen Mengen möglich. „Als nächsten Schritt errichten wir eine richtige Industrieanlage“, sagt Johanna Baare.
Start-up: Starttermin für die Traceless-Fabrik steht
Noch sind nicht alle Vorbereitungen abgeschlossen, aber der Zeitplan steht. „Die neue Anlage soll von Ende 2024 an einige Tausend Tonnen unseres Materials produzieren“, so die Gründerinnen. Den genauen Standort wollen sie noch nicht verraten, aber nach Abendblatt-Informationen will Traceless künftig im Hamburger Süden produzieren. Das Investitionsvolumen liegt im „mittleren zweistelligen Millionenbereich“. Im Moment laufen noch Gespräche mit Investoren und Banken. „Wir rechnen damit, dass die Finanzierungsrunde bis Herbst abgeschlossen ist.“
Anne Lamp und Johanna Baare haben Traceless 2020 gegründet. Der Name kommt aus dem Englischen und bedeutet übersetzt „spurlos“. Verfahrenstechnikerin Lamp hatte im Rahmen ihrer Promotion an der TU Hamburg die Idee für das neue Verfahren. Das Ziel: Verpackungen, Einweggeschirr, Folien und Papierbeschichtungen aus den Resten landwirtschaftlicher Produktion, die bisher als Tierfutter dienen, herzustellen statt aus erdölbasiertem Kunststoff.
Traceless-Produkte sind biologisch abbaubar
Grundprodukt ist ein Granulat, das Traceless in einem hochkomplexen – und geheimen – Prozess produziert. Dabei nutzt das Start-up natürliche Polymere. „Wir machen uns zunutze, dass die Natur über Millionen von Jahren Stoffe entwickelt hat, die sich selbst abbauen“, sagt die Verfahrenstechnikerin Lamp. Das Traceless-Material kann von der Kunststoffindustrie weiterverarbeitet werden.
Wie Plastik, aber öko. Die Produkte sind biologisch abbaubar und verrotten – Sauerstoff, Wasser und bestimmten Temperaturen ausgesetzt – innerhalb von wenigen Wochen anstatt wie herkömmliche Kunststoffe sehr lange die Umwelt zu belasten.
Bis 2030 will Traceless eine Million Tonnen Granulat hergestellt haben
Weltweit werden 400 Millionen Tonnen Kunststoff produziert. Jedes Jahr steigt der Berg an Plastikmüll. Fast die Hälfte der Abfälle werden auf Deponien entsorgt. 22 Prozent landen unkontrolliert in der Umwelt. Recycelt werden gerade mal neun Prozent. Genau dort setzen die Gründerinnen an. „Um einen echten Beitrag zur Lösung der Plastikverschmutzung und der Klimakrise zu leisten, müssen wir unsere Materialien im industriellen Maßstab produzieren“, sagt Johanna Baare, Psychologin mit Betriebswirtdiplom und für das Geschäftliche bei Traceless zuständig. Bis 2030 will Traceless eine Million Tonnen Granulat hergestellt haben.
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„Mit der neuen Anlage können wir jährlich mehrere Tausend Tonnen konventionellen Kunststoff substituieren“, sagt Anne Lamp. Das entspricht nach ihren Angaben umgerechnet der jährlichen Einsparung von sechs Millionen Litern Benzin, einer Wassermenge von anderthalb Mal der Binnenalster oder dem Plastikmüll von 80.000 Personen. Dass sie mit ihren Plänen auch das Bundesumweltministerium überzeugt haben, freut die Hamburger Gründerinnen besonders. „Es wurde umfassend geprüft, ob unsere Technologie tatsächlich zum Umweltschutz beiträgt. Die Förderzusage ist dafür eine tolle Bestätigung“, sagt Lamp.
Berliner Politikerin: „Traceless-Gründerinnen denken groß“
„Mich beeindruckt, dass die Traceless-Gründerinnen groß denken“, sagt Bettina Hoffmann, Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesumweltministerium, die eigens zur Übergabe des Bescheids ins niedersächsische Buchholz gekommen war. „Mit kleinen Verbesserungen können wir die Probleme nicht verändern, wir suchen nach einer weltweiten Lösung.“
Der Zuschuss aus dem Umweltinnovationsprogramm sei für solche Projekte wie Traceless genau richtig, weil er für die erstmalige großtechnische Umsetzung von Innovationen im Umweltbereich gedacht sei. Auch wenn der Betrag nur ein Bruchteil der Investitionssumme sei, „helfen wir, ein Projekt auf den Weg zu bringen, dass es sonst in dieser Form nicht gegeben hätte“, so die Politikerin, die seit 2017 für Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag sitzt.
Traceless: Plastik der Zukunft aus Getreideresten
Zwar gibt es längst Ökoplastik in verschiedenen Varianten. Aber bislang hat sich keines der Materialien durchsetzen können. Auch deshalb ist das Interesse an einer Produktionssteigerung und der Entwicklung weiterer Prototypen aus dem Traceless-Granulat bei den Kunden groß. Projekte wie kompostierbare Versandtaschen (Otto), biologisch abbaubares Einweggeschirr (Lufthansa) oder verrottende Hundekotbeutel (Futterhaus) sind bislang nicht über die Testphase hinausgekommen. „Die Projekte laufen, aber ausreichend Material für die Umsetzung haben wir erst nach dem Start der neuen Produktionsanlage“, sagt Anne Lamp. In gut einem Jahr soll die Zukunft des Plastiks beginnen.