Hamburg. Betriebe in Personalnöten: Öffnungszeiten gekürzt, Sortiment wird ausgedünnt. Die ungewöhnlichen Wege der Bäcker.

In der Backstube der Bäckerei Heinz in Allermöhe ist Hochbetrieb. Chef Heinz Hintelmann holt gerade ein Blech mit frischem italienischen Landbrot aus dem Ofen. Dann bereitet er den Teig für Brötchen vor. Die Luft steht. Er schwitzt. Für ein Gespräch hat er keine Zeit. Die Filialen warten auf Nachschub. Dabei ist er eigentlich aus dem aktiven Geschäft raus. Hintelmann ist 70. Aber weil das Personal knapp ist, muss er noch einmal ran. Zuletzt vier Wochen am Stück – ohne einen freien Tag.

Das Thema Fachkräftemangel beherrscht seit Monaten die Wirtschaft. Es trifft Industriebetriebe genauso wie Steuerberaterbüros oder kleine Handwerker. Inzwischen ist das Problem im Alltag angekommen und betrifft jedermann. Kaum deutlicher abzulesen ist das als an der derzeitigen Lage der Hamburger Bäcker.

Namhafte Bäcker und Konditoreien haben in diesem Jahr schon ganz aufgegeben: Stechmann in Schnelsen, Janeke in Harburg und Schumann auf St. Pauli. An die verkürzten Öffnungszeiten bei einigen anderen Anbietern hat man sich gewöhnt – dann gibt es halt sonntags keine frischen Brötchen. Neu ist: Immer mehr Bäcker müssen ihr Sortiment ausdünnen, weil ihnen das Personal fehlt.

Personalnot: Hamburger Bäcker suchen Fachkräfte mit Headhuntern

Bäcker Becker in Marmstorf im Hamburger Süden ist so ein Beispiel. Inhaber ist Peter Becker, der lange Handwerkskammerpräsident in Hamburg war. Inzwischen führt längst seine Tochter, Wiebke Krüger, die Geschäfte und kämpft derzeit mit einem Problem. Das Personal ist knapp. Früher hatte sie zehn gelernte Bäcker in der Backstube, doch dann gingen einige in Ruhestand oder wechselten den Beruf. „Erst im vergangenen Jahr haben zwei Leute gekündigt. Der eine wollte Busfahrer werden, der andere wechselte in die Industrie zu Aurubis“, sagt sie und fügt hinzu: „Ich suche noch heute nach Ersatz.“

Bäckern fehlt Personal: Wiebke Krüger hinter dem Tresen ihrer Hauptfiliale. Sie muss das Sortiment einschränken, um klarzukommen.
Bäckern fehlt Personal: Wiebke Krüger hinter dem Tresen ihrer Hauptfiliale. Sie muss das Sortiment einschränken, um klarzukommen. © HA

Derzeit hat sie sieben ausgebildete Bäcker, dazu zwei Azubis und einen Rentner, der noch über die Altersgrenze hinaus arbeitet. Dennoch kann die Bäckerei nicht mehr alles anbieten, was sie sonst früher gebacken hat: Ihre beliebte Brotsorte „Oldenburger“ wird nur noch einmal in der Woche gebacken, früher zweimal. Schwarzbrot wird montags und freitags gebacken, früher montags, mittwochs und freitags.

Brezeln gibt es gar nicht mehr im Angebot. „Das liegt nicht daran, dass wir die Produkte nicht verkaufen könnten, sondern daran, dass uns die Leute fehlen, um sie herzustellen“, sagt Krüger. Einen Meister hat sie jetzt hinzugewonnen, der demnächst bei ihr einsteigt. Das schafft Entlastung. Krüger, die mit etwas mehr als 50 Beschäftigten sechs Filialen bewirtschaftet, sucht aber weiter. „Ich habe sogar einen Headhunter engagiert.“

Sind Produkte ausverkauft, wird nicht mehr nachgebacken

Gleiches berichtet Dirk Hansen von der gleichnamigen Bäckerei in den Elbvororten. er betreibt Filialen in Sülldorf, Iserbrook, Rissen, Groß Flottbek und Lurup. „Sind Produkte ausverkauft, können wir sie nicht nachbacken. Das gilt vor allem für aufwendige Sorten.“ Teig sei nämlich nicht gleich Teig. „Unsere Buchweizenbrötchen sind sehr beliebt, weil die kaum jemand anders führt. In der Herstellung kosten sie aber das Fünffache an Zeit im Vergleich zu einfachen Brötchen.“

Zeit bindet Personal, und das kostet wiederum Geld. „Eigentlich müsste ich diese Brötchen viel teurer machen. Das geht aber nicht“, sagt er. Also drehe er an den Preisen an anderer Stelle, damit die Mischkalkulation aufgeht.

Große Ketten zahlen bessere Gehälter als kleine Bäckereihandwerksbetriebe

Auch Hansen benötigte zehn ausgebildete Bäcker. Und hat derzeit nur sieben. Zum Teil würden sie ihm von den großen Ketten weggeschnappt, die eng mit den Einzelhandelskonzernen verwoben seien, wie „Allwörden“ oder „Nur Hier“ mit Edeka. „Die können etwas besser bezahlen, und wir Handwerksbetriebe haben das Nachsehen.“ Höhere Löhne könne er nicht zahlen, sagt Hansen. „Ich biete dann zusätzliche Urlaubstage als Anreiz an. Wie Wiebke Krüger sucht auch er jetzt mittels eines Headhunters frische Kräfte für sein Geschäft.

„Das kann ein Betrieb sich aber nur in Ausnahmefällen und bei wichtigen Funktionen wie Meistern leisten“, sagt Jan Loleit, Geschäftsführer der Bäcker- und Konditorenvereinigung Nord. „Ansonsten sind Headhunter viel zu teuer.“ Auch er nennt den Fachkräftemangel ein großes Problem des Bäckerhandwerks. „Viele haben geglaubt, sie finden Nachwuchs über die sozialen Medien. Aber das funktioniert überhaupt nicht.“

Hamburger Bäckereien – Zahl der Auszubildenden im Verkauf sinkt drastisch

Die Zahl der Bäckerazubis sei zwar im Vergleich zum Vorjahr mit rund 60 relativ stabil. Aber bei den Verkäuferinnen gehen die Zahlen herunter. 185 Einzelhandelsauszubildende hatten Hamburgs Bäcker vor zwei Jahren. Im vergangenen Jahr waren es noch 170, in diesem nur noch 127.

Viele Betriebe könnten nicht mehr Lohn bezahlen. „Die Produktionskosten sind derzeit sehr hoch. Und welche Auswirkungen die von Russland unterbundene Lieferung ukrainischen Getreides auf die Preise haben wird, wissen wir noch gar nicht.“ Dabei hätten die Betriebe bereits schwierige Jahre hinter sich: „Zunächst kam Corona, dann die Auswirkungen des Ukraine-Kriegs. Da musste das Angebot von vielen verschlankt werden. Das gilt insbesondere für aufwendige Backwaren wie Laugengebäck.“

Angebot wird verschlankt – bestimmte Backwaren lohnen sich nicht mehr

Zurück zu Bäcker Hintelmann. Vorn am Tresen brummt das Geschäft. Und ein Lieferwagen wartet, um die weiteren Filialen bei Edeka im ABC-Center Nettelnburg, bei Edeka in Fünfhausen und im Grachtenhaus in Neu-Allermöhe mit Nachschub zu versorgen. Im Moment könne er alles liefern, sagt der umtriebige Bäcker. „Weil ich so hervorragende Mitarbeiter habe.“ Er sei aber kurz davor gestanden, sein Sortiment zu verkleinern. „Auf einmal fehlten mir drei Mitarbeiter. Einer war im Urlaub und zwei krank. Was macht man da?“ Wäre das Richtung Wochenende passiert, hätte er die Produktion zurückfahren müssen. „So können wir es gerade noch halten, weil die Familie mithilft und der Mitarbeiter aus dem Urlaub zurückgekommen ist. Sogar meine 92 Jahre alte Schwiegermutter hilft noch aus.“

Bäcker Heinz Hintelmann muss auch vorn im Verkauf mit aushelfen.
Bäcker Heinz Hintelmann muss auch vorn im Verkauf mit aushelfen. © Michael Rauhe

Das bedeutet aber auch, dass er als 70-Jähriger wieder mehr anpacken muss. Neue Leute sucht er über sein gutes Netzwerk. Hintelmann kennt im Bezirk Bergedorf viele Leute und ist im Vereinswesen aktiv. „Die Kontakte sind auch bald erschöpft“, sagt er und winkt ab. Noch hätten die Kunden den Luxus auszuwählen, bei welchem Bäcker sie einkaufen gehen. „Aber wenn das mit dem Fachkräftemangel so weitergeht, werden die kleinen Handwerksbetriebe nach und nach schließen. Und dann gibt es nur noch die Industrieware von den großen Ketten.“

Personalnot: Headhunter sollen Fachkräfte für Hamburger Bäcker finden

Nicht alle Bäcker sind in Sorge: Keinen Anlass zur Klage hat die bekannte Bäckerei Rohlfs mit ihren 180 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in 14 Filialen zwischen Winterhude und Farmsen. „Wer jetzt schimpft, hat in der Vergangenheit seine Hausaufgaben nicht gemacht“, sagt Hardy Krause, der das Unternehmen zusammen mit Uwe Rohlfs führt. „Der Mangel an Bäckergesellen hat sich seit Langem abgezeichnet. Da musste man konsequent gegensteuern und massiv ausbilden.“ Das habe er getan.

„Meine Personalkosten waren anfangs jenseits von Gut und Böse, aber heute bin ich froh über die Investition.“ 35 voll ausgebildete Bäcker habe er in der Backstube. „Das Durchschnittsalter beträgt 33 Jahre. Und darauf bin ich stolz“, sagt Krause.

Einen Lichtblick für die Zukunft hat auch Ronald Bartels Chef der Bäckerei Schütt in Eißendorf: Auch er überlegt, wie er sein mangelndes Personal am besten einsetzt. „Ich habe aber endlich wieder einen Azubi,“ sagt er. „Auf den habe ich zwei Jahre gewartet.“