Hamburg. Neues Programm soll ältere Arbeitnehmer gewinnen – auch branchenfremde. In Hamburg sollen mehr als 1000 Stellen aufgebaut werden.

Michael Appel sucht neongrüne Linien. Er steht in einer Halle von Lufthansa Technik an einer Prüfbank für Flugzeugmotorengeschäft. Mit Strom wird ein künstliches Magnetfeld aufgebaut, sodass der Schaft, auf den später die Motorteile quasi draufgeschoben werden, magnetisch wird.

Dann wird der Schaft mit einer Suspension überspült. In ihr ist Eisenpulver mit grün fluoreszierendem Farbstoff enthalten. Das Pulver setzt sich an schadhaften Stellen wie Kanten und Rissen fest. Stellt er einen Riss fest, muss das Teil normalerweise ausgetauscht werden.

Lufthansa Technik holt Rentner zurück – wegen Fachkräftemangel

Seit Anfang Juni kümmert sich Appel um solche Aufgaben – wieder. Denn der 67-Jährige war zuvor bereits ein Jahr zu Hause. Als Rentner. Er verbrachte die Zeit mit seiner Ehefrau, dem Hund, spielte Tennis und machte Fitness. „Zu Hause ist es schön, mein Tag war voll ausgelastet – aber ich wollte auch gern noch etwas anderes machen“, sagt Appel.

Im Januar kam der Anruf, ob er nicht wiederkommen wolle. Er sollte junge Leute ausbilden, weil es durch personelle Abgänge ein Defizit in dem Bereich gäbe. Nun ist er seit wenigen Wochen ein zweites Mal in Diensten von Lufthansa Technik – nach 42 Jahren am Stück in seinem ersten, normalen Arbeitsleben.

Lufthansa Technik: Ex-Rentner Appel freut sich, gebraucht zu werden

Die Rückkehr sei ihm relativ leichtgefallen. Weil er sein Netzwerk im Unternehmen gepflegt habe, sei er technisch fast überall auf dem neusten Stand gewesen. Lediglich einige Auffrischungskurse habe er machen müssen.

Aber warum kehrt er als Rentner zurück? „Ich habe mich gefreut, noch mal gefragt zu werden, ob ich wiederkommen möchte. Es ist ein schönes Gefühl, gebraucht zu werden und mein Wissen an junge Leute weiterzugeben – zumal ich körperlich fit bin“, sagt Appel.

Lufthansa Technik will gezielt Rentner als Arbeitskräfte gewinnen

Wenn es nach seinem (Wieder-)Arbeitgeber geht, könnten sich viele frühere Kollegen an Appel ein Beispiel nehmen. „Wir sprechen gezielt Rentner an, um sie als Arbeitskräfte für uns zu gewinnen“, sagt Frank Bayer, Personalchef von Lufthansa Technik, beim exklusiven Termin mit unserer Redaktion.

Das helfe zum einen beim Lückenschließen, die sich aus dem Fachkräftemangel ergeben. Und zum anderen, um das geplante Wachstum zu schaffen. „Wir planen, in diesem Jahr um 1200 Arbeitsplätze in Deutschland zu wachsen. Der Großteil davon – sicherlich mehr als 1000 Stellen – soll in Hamburg aufgebaut werden“, sagt Bayer und betont, dass es dabei nur um den Zuwachs gehe.

Lufthansa Technik will 2023 in Hamburg mehr als 1000 Stellen aufbauen

Denn jährlich verließen das Unternehmen durch natürliche Fluktuation rund 800 Menschen. Unterm Strich müsse Lufthansa Technik in diesem Jahr also 2000 Menschen in der Bundesrepublik einstellen – weltweit werden sogar mehr als 4000 Mitarbeiter gesucht.

Hintergrund: Die Luftfahrt zählte lange Zeit zu den globalen Wachstumsbranchen. Dann kam im Frühjahr 2020 Corona, die Flieger standen am Boden, bei Lufthansa Technik fielen entsprechend die Aufträge für die Wartung, Reparatur und Überholung von Flugzeugen und ihren Teilen weg – die Disziplin, in der die Fuhlsbüttler Weltmarktführer sind. Zuerst mussten Hunderte Leiharbeiter gehen, kurz darauf rund 300 Beschäftigte, die in der Probezeit waren. Die Existenz des Unternehmens sei gefährdet, hieß es damals.

Das Konzept Senior Experts@LHT lag in der Schublade

Doch mittlerweile hat das Geschäft wieder deutlich angezogen. Die Passagiere buchen fleißig Tickets, die Flieger sind wieder in der Luft und müssen in vorgeschriebenen Intervallen gewartet und überholt sowie auch mal repariert werden. Für das vergangene Jahr meldete Lufthansa Technik einen Gewinn vor Zinsen und Steuern von 511 Millionen Euro – eine historische Bestmarke. Zahlreiche neue Aufträge wurden eingesammelt, der Personalbedarf steigt – aber der Arbeitsmarkt ist weitgehend leer gefegt.

Daher wurde das Konzept „Senior Experts@LHT“ gestartet, mit dem die Rentner zurückgeholt werden sollen. Ein ähnliches Programm habe man bei Bosch gesehen und im Anschluss im Haus vorangetrieben. Eigentlich wollte man es schon 2019 auf den Markt bringen, aber dann kam Corona dazwischen.

Personalchef hofft, dass ältere Mitarbeiter ihr Fachwissen weitergeben

Die langjährigen Mitarbeiter hätten eine unheimliche Erfahrung, die man weiter nutzen wolle. „Bis jemand so eine Rissprüfung machen kann, dauert es“, sagt Bayer mit Blick auf den wiedereingestellten Kollegen Appel: „Deshalb sind wir noch mehr darauf angewiesen, dass uns ältere Kollegen unterstützen mit ihrem Wissen und ihr Fachwissen weitergeben.“

Im Prinzip sei jede der ausgeschriebenen Stellen auch für Rentner geeignet. Lufthansa Technik möchte ältere Beschäftigte überzeugen, die Rente später anzutreten, die Altersteilzeitregelung zu unterbrechen oder sogar aufzuheben – vor dem Erreichen der passiven Phase gehe das. Eine Mindestdauer für die Beschäftigung gebe es dabei nicht.

Auch branchenfremde Rentner haben Chancen

Anders sieht es aus, wenn zuvor extern Beschäftigte gewonnen würden. Denn auch dieser Personenkreis solle angesprochen werden und sei begehrt. Die Einschränkung: Wegen der luftfahrtrechtlichen Ausbildung seien dann wohl mindestens zwölf Monate Vertragsdauer sinnvoll.

Personalchef Frank Bayer will dieses Jahr mehr als 1000 Stellen in Hamburg aufbauen. Dabei setzt er auch auf Rentner.
Personalchef Frank Bayer will dieses Jahr mehr als 1000 Stellen in Hamburg aufbauen. Dabei setzt er auch auf Rentner. © Marcelo Hernandez

„Es gibt eine Reihe von Jobprofilen, für die man nicht vorher schon bei Lufthansa Technik gewesen sein muss“, sagt Bayer und nennt als Beispiele Werkzeugmechaniker und Oberflächenbeschichter. Nach einer kurzen Anlernphase könnten sie eingesetzt werden, wenn sie woanders ähnlich gearbeitet haben. Auch ITler und Elektroniker seien gefragt.

Rentner dürfen mittlerweile unbegrenzt hinzuverdienen

Für Rentner kann das mittlerweile auch finanziell eine äußerst attraktive Option sein. Denn lange galt für vorgezogene Altersrenten eine Hinzuverdienstgrenze von 6300 Euro im Jahr. In den vergangenen drei Jahren wurde diese Grenze aufgrund der Corona-Pandemie bereits stark angehoben. Zum Jahresanfang 2023 ist sie ganz weggefallen.

„Wir schaffen die Hinzuverdienstgrenze bei vorgezogenen Altersrenten ab“, wird Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) zitiert. Man habe mit der starken Erhöhung während der Corona-Jahre gute Erfahrungen gemacht und ermögliche „nun dauerhaft, den Übergang vom Erwerbsleben in den Ruhestand flexibel zu gestalten“, so Heil. Es darf also unbegrenzt hinzuverdient werden – allerdings werden darauf ab einer gewissen Höhe Steuern fällig.

Lufthansa Technik hofft, 50 bis 100 Rentner einstellen zu können

Ob wie von der Bundesregierung erhofft der Fachkräftemangel damit abgemildert werden kann, ist aber umstritten. So kommt ein Autorenduo des Kölner Instituts für Wirtschaft zu dem Schluss, dass durch die Neuregelung die Schäden am Arbeitsmarkt nicht ausgeglichen werden könnten, die durch die Rente mit 63 verursacht worden wären.

Auch bei Lufthansa Technik ist man sich bewusst, dass das „Senior Experts@LHT-Programm“ im Verhältnis zur benötigten Stellenanzahl ein Nischenprodukt bleiben werde. „Wenn wir in diesem Jahr zwischen 50 und 100 Rentner einstellen könnten, wäre das ein großer Erfolg“, sagt Bayer: „Jeder Mensch hilft uns.“ Seit dem 1. Juni seien ein gutes Dutzend Rentner im Zuge des Programms eingestellt worden.

Andreas Breuel bildet nun aus anstatt Motorrad zu fahren

Einer von ihnen ist Andreas Breuel. „Der Ruhestand war ‘ne tolle Zeit“, sagt der 65-Jährige. Er brachte die Kinder mit auf den Weg in die Schule, machte Sport, fuhr Motorrad und fing mit dem Bogenschießen an. Im Januar kam der Anruf von seinem Teamleiter. Auch Breuel sollte neue Kollegen ausbilden, wie er es in der Vergangenheit schon gern und sogar in den USA und Indien gemacht hatte.

Der Norderstedter wird aktiv, wenn ein Flugzeug wegen eines technischen Defekts am Boden stehen bleiben muss (Aircraft on Ground). Er kommuniziert mit den Kunden und versucht, das Material zu beschaffen. Die Computersysteme dafür seien komplex. Aber: „Es ist, als wenn ich vorgestern aufgehört hätte“, sagt Breuel, der im Juni 2022 nach 38 Jahren bei Lufthansa Technik in Rente gegangen war.

Lufthansa Technik holt Rentner zurück

Für seinen Re-Start hat er sich zwei Privilegien ausbedungen. In Früh- und Spätschichten kann er von 8 bis 20 Uhr eingesetzt werden, aber Nachtschichten sind tabu. Und der Freitag ist frei. Er arbeitet an vier Tagen die Woche für 28 Stunden. „Das ist relativ viel, finde ich. Ich muss mich erst wieder dran gewöhnen“, sagt Breuel: „Aber die Arbeit hat sofort wieder Spaß gemacht.“ Sein Plan: Ende Mai 2024 will er mit dann 66 Jahren ein zweites Mal in Rente gehen.

Ex-Rentner Michael Appel steht seit Anfang Juni wieder an der Prüfbank für Flugzeugmotorenschäfte.
Ex-Rentner Michael Appel steht seit Anfang Juni wieder an der Prüfbank für Flugzeugmotorenschäfte. © Marcelo Hernandez

Sein Kollege Appel hat sich sogar für zwei Jahre in die Pflicht nehmen lassen. Er hat ebenfalls freitags frei und arbeitet vier Tage in der Woche, sogar 32 Stunden lang. Die Arbeitszeiten seien ihm freigestellt worden, sagt er: „Aber wenn ich Leute ausbilden soll, machen ein oder zwei Tage keinen Sinn.“