Hamburg. Die Russland-Sanktionen und die Abhängigkeit von China haben zum Ergebnis beigetragen. Die FDP spricht von „desaströsen Quartalszahlen“.

Lange wurde gerechnet. Am Mittwochmittag gab die Marketingorganisation des Hafens dann bekannt, wie der Seegüterumschlag im Hamburger Hafen in den ersten drei Monaten dieses Jahres verlaufen ist. Das Ergebnis ist so, wie es sich zum Jahresbeginn bereits angedeutet hatte: niederschmetternd. Insgesamt wurden Seegüter im Volumen von 28,1 Millionen Tonnen in Hamburg umgeschlagen, das sind 10,2 Prozent weniger als im Vorjahreszeitraum. Der Containerumschlag lag bei 1,9 Millionen Standardcontainern (Twenty-Foot-Equivalent-Unit, TEU). Das sind 16,9 Prozent weniger als im ersten Quartal 2022.

So eindeutig das Ergebnis ist, so unterschiedlich fällt dessen Deutung aus. Axel Mattern, Vorstand von Hafen Hamburg Marketing, spricht in einer Stellungnahme von schwierigen Rahmenbedingungen und betont, dass der Ladungsrückgang nicht nur Hamburg, sondern alle Häfen treffe. „Die volkswirtschaftlich schwierige Situation spiegelt sich in den aktuellen Umschlagzahlen aller Häfen der Nordrange wider. Hamburg befindet sich hier im Mittelfeld der Wettbewerber“, so Mattern.

Hamburger Hafen: 16,9 Prozent weniger Containerumschlag

Im Vergleich der Quartalsergebnisse des aktuellen und des vergangenen Jahres müsse beachtet werden, dass Russland zu Beginn des vergangenen Jahres noch der viertgrößte Handelspartner des Hamburger Hafens gewesen sei. „Nach dem Angriffskrieg auf die Ukraine traten Sanktionen in Kraft, die sich in diesem Vergleich bemerkbar machen – die Ladungsmengen von und nach Russland fehlen nun in der Gesamtbetrachtung.“ Hinzu käme eine zeitweise instabile Wirtschaftssituation in China aufgrund der Pandemie, welche sich bis in das aktuelle Jahr fortgesetzt habe. Beides bleibe nicht ohne Auswirkungen auf den Hamburger Hafen.

Ist der enorme Rückgang des Containerumschlags, also ein allgemeines Problem der großen Nordessehäfen, wie Mattern es andeutet? Der Präsident des Unternehmensverbands Hafen Hamburg, Gunther Bonz, setzt einen anderen Akzent und zielt auf Wettbewerbsnachteile des Hamburger Hafens gegenüber seinen Hauptkonkurrenten in Antwerpen und Rotterdam ab: „Wenn die politisch Verantwortlichen die großen Wettbewerbsnachteile wie Einfuhrumsatzsteuer, das Privileg der Tonnagersteuer für Reederterminals und die hohen Hamburger Standortkosten unter anderem bei Mieten und Pachten nicht verändern, wird sich der Rückgang des Hafens weiter fortsetzen“, sagt er.

Ladungsrückgang in Hamburg stärker als bei Konkurrenz

Tatsache ist, dass der Hamburger Hafen im ersten Quartal 2023 nicht als einziger Federn lassen musste. Auch seine großen Konkurrenten in den Niederlanden und in Belgien verzeichneten Ladungsrückgänge: in Antwerpen ging der Containerumschlag um 5,7 Prozent auf 3,1 Millionen TEU zurück, in Rotterdam sogar um 11,6 Prozent auf 3,2 Millionen TEU. So stark wie in Hamburg war der Mengenverlust aber nicht.

Welche der beiden Deutungen ist folglich richtig? „Die Wahrheit liegt dazwischen“, sagt Jan Ninnemann, Hafenexperte und Logistik-Professor an der Hamburg School of Business Administration (HSBA). „Natürlich lässt sich feststellen, dass sich angesichts der globalen Herausforderungen die Rahmenbedingungen für alle Häfen in Nordeuropa verschlechtert haben. Wir sehen aber auch, dass die Rückgänge in Hamburg wieder einmal stärker ausfallen als bei den Konkurrenten – so ist es immer, wenn es zu Ladungseinbrüchen kommt. Und das weist auf strukturelle Probleme der Hansestadt hin.“

Ninnemann nennt zwei: Wenn die Ladung zurückgeht würden Reedereien kostensensibler und teure Häfen meiden. Hamburg sei nun einmal teuer. Zudem seien die Reedereien in Krisenzeiten darum bemüht, in erster Linie ihre eigenen Umschlagkapazitäten auszulasten. Und da der Hamburger Hafen kaum Terminalbeteiligungen habe, sei er im Hintertreffen.

Hafen Hamburg: Auch Hinterlandtransporte gehen zurück

Bedenklich ist aus Hamburger Sicht zudem die hohe Abhängigkeit des Hafens von China. Der Handel mit der Volksrepublik macht 30 Prozent des Hamburger Umschlags aus. Lässt die Konjunktur in der Volksrepublik aber nach, führt das sofort zu deutlichen Mengenrückgängen in Hamburg, was sich auch in den jüngsten Zahlen niedergeschlagen hat.

Schließlich haben die Mengenrückgänge beim Umschlag im Hafen dazu geführt, dass auch der Weitertransport der Waren ins Hinterland zurückgegangen ist. Eben jener Hinterlandtransport ist aus Wertschöpfungsgründen eigentlich Hamburgs Zugpferd. Laut HHM wurden 635.000 Standardboxen auf der Schiene transportiert. Das waren 10,1 Prozent weniger im Vergleich zum Vorjahreszeitraum.

CDU: Teil der Hafenpolitik hat sich an schlechtes Abschneiden gewöhnt

Die Opposition wirft der Hamburger Regierung vor, die Nöte des Hafens wissentlich zu vernachlässigen: „Es ist unerträglich, wie sehr sich ein Teil der Hafenpolitik schon daran gewöhnt hat, dass Hamburg schlechter abschneidet als Rotterdam and Antwerpen“, sagt der hafenpolitische Sprecher der CDU-Bürgerschaftsfraktion, Götz Wiese.

Dabei seien die Zahlen klar: Minus 16 Prozent in Hamburg sei ein deutlich stärkerer Rückgang im Vergleich mit Rotterdam und Antwerpen. „Hamburg verliert weiter Marktanteile und das muss uns wirklich mit großer Sorge erfüllen. Der Hamburger Hafen braucht einen neuen Business-Plan. Aber der Senat zaudert seit Jahren, der Hafenentwicklungsplan steht immer noch aus.“

Hafen Hamburg: FDP bezeichnet Hamburger Umschlagverlust als „desaströs“

Noch deutlicher wird Michael Kruse, Berichterstatter für Häfen der FDP-Bundestagsfraktion. „Desaströs“ seien die Quartalszahlen, sagt er. „Nachdem die HHLA die von ihr gewünschte China-Beteiligung bekommen hat, zählen nun keine Ausreden mehr: Das Ergebnis an der Kaikante muss sich drastisch verbessern. Der Hamburger Hafen siecht auch fünf Jahre nach Amtsübernahme durch Peter Tschentscher dahin. Vielleicht sollte er den einen oder anderen repräsentativen Termin delegieren und sich besser um das wirtschaftliche Fundament Hamburgs kümmern. Weite Delegationsreisen sind nicht viel wert, wenn man dafür den Heimathafen vernachlässigt“, lautet Kruses Kritik.

Die Marketingorganisation des Hafens beschwört angesichts der Misere ein Licht am Ende des Tunnels: „Im weiteren Jahresverlauf ist mit einer Erholung der Umschlagzahlen des Hamburger Hafens zu rechnen. Wir hatten in den ersten drei Monaten statistisch einen extremen Basiseffekt zu verzeichnen, da sich die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen der ersten Quartale der Jahre 2022 und 2023 sehr stark voneinander unterscheiden“, sagt Mattern.

Die Zeit wird zeigen, ob er recht hat.