Hamburg. Warum Kreuzfahrten ab Hamburg auch im Winter beliebt sind und die Hansestadt eine wichtige Rolle spielt.

Die Kreuzfahrtliebe der Deutschen ist ungebrochen. Die Nachfrage sei Anfang dieses Jahres größer gewesen als jemals zuvor, sagt Helge Grammerstorf, deutscher Direktor des internationalen Branchenverbands Cruise Lines International Association (Clia). „Wir hatten die sechs buchungsstärksten Wochen in der Geschichte. Jetzt sind wir auf dem Vor-Corona-Niveau, also immer noch hoch“, sagt Grammerstorf im Gespräch mit dem Abendblatt. Gründe seien ein Nachholeffekt nach der Zeit des Lockdowns und eine ungebrochene Reiselust .

Allerdings registriere die Branche Veränderungen beim Buchungsverhalten. „Zum einen gibt es natürlich geopolitische Einflüsse auf die Fahrtgebiete“, sagt der Clia-Direktor und meint unter anderem die Auswirkungen des Kriegs gegen die Ukraine. „Zum anderen stellen wir fest, dass Fernreisen noch etwas schwächer gebucht werden. Das liegt wohl nicht zuletzt daran, dass der asiatische Markt deutlich später aus der Corona-Krise herauskam als die meisten anderen Gebiete.“

Seereisen: Hamburg wird als Einsteighafen für Fern-Kreuzfahrten immer wichtiger

Zudem habe die Branche gelernt, dass die Nachfrage nach Reisen zu nordischen Destinationen höher sei, als sie es vor der Pandemie gewohnt war. „Bisher konzentrierten wir uns im Sommer auf den Norden, im Winter auf den Süden. Wir haben aber infolge der Corona-Auswirkungen festgestellt, dass auch im Herbst und im Winter Seereisen in Nordeuropa stark nachgefragt sind. Das wird auch so bleiben.“ Ein neuer Trend sei zudem, dass immer mehr Gäste ihre Karibik-Kreuzfahrt in deutschen Häfen wie Hamburg starten. „Früher ist man in die Karibik geflogen und hat dort das Schiff bestiegen. Heute kann man alternativ bereits hierzulande an Bord gehen.“

Die Ursachen dafür sind vielfältig: Flugreisen gelten in der letzten Zeit nicht gerade als zuverlässig. Erst gab es Probleme mit der Pandemie, dann Flugausfälle, Umroutungen, Koffer-Chaos und Streiks. Grammerstorf will nicht ausschließen, dass das Einfluss aufs Buchungsverhalten genommen hat. „Flugreisen sind ja auch deutlich teurer geworden“, sagt er. „Die deutschen Häfen sind auch als Einsteigehäfen immer beliebter geworden.“

Kreuzfahrtbranche auf Pandemien in der Zukunft besser vorbereitet

Laut Grammerstorf ist die Kreuzfahrtbranche inzwischen besser vorbereitet für den Fall, dass es erneut zu einer Pandemie kommt. „Die Corona-Pandemie hatte uns weltweit unvermutet getroffen. Und niemand wusste anfänglich, wie man damit umgehen soll. Keine Reederei und kein Hafen hatte Strategiepläne oder Blaupausen für eine solche Situation. So war die Zuständigkeit der staatlichen Stellen häufig nicht klar. Und jeder Hafen ging anders damit um. Zusammen mit den Verwaltungen haben wir als Branche erreicht, dass die deutschen Häfen weitgehend gleiche Standards haben.“

Die Zusammenarbeit mit Hamburg sei aber in der Zeit gut gewesen, insbesondere mit der Arbeitsebene der Behörden. „Die erste Kreuzfahrt nach dem Lockdown startete in Hamburg.“ Auch mit den übrigen übrigen deutschen Häfen habe man gut zusammengearbeitet. „Die Probleme, die wir in anderen Ländern hatten, gab es in Deutschland so nicht. Wir konnten beispielsweise erreichen, dass wir nicht anders behandelt werden als Reisen an Land.“

Hamburgs Cruise Days ziehen viele Fans an

Anders als der kürzlich ausgeschiedene Chef der Kreuzfahrtmarken Aida und Costa, Michael Thamm, vermeidet Grammerstorf Kritik an Hamburg. Stattdessen lobt er Veranstaltungen wie die Cruise Days oder die Seatrade. „Die Cruise Days haben eine extreme Anziehungskraft und erzeugen dadurch eine hohe Wertschöpfung in der Stadt. Die Seatrade ist eine Fachmesse, aber auch deren Werbewirksamkeit für Hamburg darf man nicht unterschätzen. Leitende Mitarbeiter von Reedereien sind hergekommen, haben die Kreuzfahrtbegeisterung in der Stadt erlebt und erst daraufhin Hamburg als Destination in ihr Programm genommen. Die Hansestadt hat sich zu einem wichtigen Kreuzfahrtstandort entwickelt.“

Früher habe die Branche angenommen, die lange Revierfahrt die Elbe hinauf sei ein Nachteil. „Mittlerweile haben die Touristiker verstanden, dass diese Annahme falsch ist. Im Gegenteil: Die Fahrt die Elbe hinauf ist für viele Gäste ein Höhepunkt, und da Hamburg zu über 90 Prozent ein Wechselhafen ist, machen viele Passagiere diese Fahrt auf ihrer Reise nur einmal.“

EU-Vorgabe für Landstromanschlüsse nicht realisierbar

Grammerstorf kritisiert, dass die Häfen mit Ausnahme in Deutschland zu wenig für den Ausbau von Landstromversorgung täten. Solche Anlagen gebe es weltweit nur in 29 Häfen. „Wir fahren aber 1200 Häfen im Jahr an. Hier ist noch viel zu tun, wobei die deutschen Häfen schon weit vorne sind.“ In Hamburg soll im Sommer am Kreuzfahrtterminal Steinwerder die zweite Landstromanlage errichtet werden.

Die EU-Vorgabe, wonach alle Häfen bis 2030 mit Landstrom ausgerüstet sein sollen, hält Grammerstorf für nicht realisierbar. Es sei ihm schleierhaft, wie man das schaffen wolle. „Wir gehen davon aus, dass innerhalb der nächsten fünf Jahre etwa sieben Prozent der Liegeplätze über Landstromanschlüsse verfügen werden.“

Besser sehe es bei den Schiffen aus: Etwa 40 Prozent könnten heute schon Landstrom aufnehmen. In den kommenden fünf Jahren würden es 75 Prozent sein, weil die Neubauten, die abgeliefert werden, zu fast 90 Prozent damit ausgestattet seien und auch nachgerüstet werde. „Es ist aber natürlich schwer, die Reeder davon zu überzeugen, einen Landstromanschluss einzubauen, wenn sie sowieso nur Häfen anlaufen, die keine Versorgung anbieten können.“

Chef der Kreuzfahrtbranche lobt Naturschutzbund

In Sachen Klimaschutz sieht der Verbandschef die Kreuzfahrtbranche in der Schifffahrt als Vorreiter. Das erste LNG-betriebene Schiff sei ein Kreuzfahrtschiff gewesen. Das erste Schiff, das Treibstoff einsparte, weil es auf künstlich erzeugten Wasserblasen fährt, ebenfalls. Ende dieses Jahrzehnts sollten die ersten CO2-freien Schiffe fahren. „Wir haben ferner das Ziel, bis 2050 die gesamte Flotte CO2-neutral zu haben. Wir sind in vielen Bereichen Technologievorreiter. Grund ist, dass wir viel mehr im öffentlichen Fokus stehen als beispielsweise Frachtschiffe. Die Umweltschützer hatten sich nicht auf unsere Branche gestürzt, weil wir in Sachen Umweltverschmutzung relevanter sind als etwa Containerschiffe, sondern weil wir sichtbarer sind. Wir waren durch Aufmerksamkeit ja auch gezwungen, Neuerungen anzustoßen.“

Dennoch wird die Kreuzfahrtindustrie von den Umweltverbänden immer wieder aufs Korn genommen, insbesondere von Naturschutzbund Nabu, mit dem sich der Verband Clia seit Langem streitet. Dennoch findet Grammerstorf lobende Worte. „Ich muss heute anerkennen, dass es beim Nabu mittlerweile qualifizierte Mitarbeiter gibt, die wissen, wovon sie reden. Sie bewerten einige Dinge anders, als wir es tun. Aber mit denen können wir uns in der Sache auseinandersetzen. Die Zielsetzung, die Kreuzfahrt CO2-neutral zu machen, teilen wir. Allerdings geht es ihnen nicht schnell genug.“ Mit manchen anderen Nichtregierungsorganisationen sei die Auseinandersetzung weniger zielführend. „Da wird die Kritik schnell ideologisch und wenig sachlich.“

Seereisen Hamburg: Keine Ausbeutung von Mitarbeitern auf Kreuzfahrtschiffen?

Als offenen Punkt bezeichnet der Clia-Direktor selbst den Umgang der Industrie mit den Vorwürfen, an Bord der Kreuzfahrtschiffe würden die Mitarbeiter ausgebeutet. „Darüber müssen wir reden und als Branche transparenter damit umgehen.“ Es arbeiteten verschiedene Gruppen von Beschäftigten an Bord, und damit seien auch die Verhältnisse unterschiedlich. „Durchweg gelten für die Mitarbeiter an Bord Tarifverträge mit Gewerkschaften unter dem Dach der internationalen Transportarbeitergewerkschaft ITF. Die stehen bestimmt nicht in Verdacht, auf der Arbeitgeberseite zu sein.“ Die ausländischen Beschäftigten zum Beispiel verdienten auf den Schiffen mehr, als sie zu Hause jemals bekommen könnten. „Darum kommen sie ja immer wieder. Sie haben in ihrer Zeit auf dem Schiff keine Lebenshaltungskosten, denn sie wohnen und essen kostenlos, erhalten medizinische Versorgung und Kleidung. Auch wir leiden unter dem Arbeitskräftemangel und setzen uns sehr für ein Zuwanderungsgesetz ein und hoffen auf vereinfachte Visa- Regularien.“

Den Vorwurf, dass seine Branche selbst kaum ausbilde, räumt Grammerstorf ein: „Ich könnte mir durchaus vorstellen, dass wir mehr eigenes Personal auf unseren Schiffen ausbilden, beispielsweise auch im Hotel- und Gastronomiebereich, vorausgesetzt, diese Ausbildung wird auch nach deutschen Standards anerkannt. Für unsere asiatischen Mitarbeiter gibt es solche Initiativen in deren Heimatländern teilweise schon.“

Mehr über Kreuzfahrten im „Kreuzfahrt Guide 2023“ vom Abendblatt (270 Seiten, 19,50 Euro), erhältlich in der Geschäftsstelle, im Buchhandel und über abendblatt.de/shop.