Hamburg. Teams sind oft monatelang an Bord, arbeiten sieben Tage in der Woche und bis zu 14 Stunden am Tag – für weniger als den Mindestlohn.
Die Reiseziele sind verlockend. Die „Mein Schiff“-Flotte von TUI Cruises fährt derzeit mit zwei Kreuzfahrtschiffen durch die Karibik. Die „AIDAaura“ cruist vor dem südlichen Afrika herum. Die MS „Europa 2“ erkundet die Küste Australiens. Für 16 Tage geht es bis nach Bali.
Inklusive An- und Abreisepaket wurden für die Reise vor Kurzem auf dem wiederholt als weltbester Kreuzfahrtliner gekürtem Schiff mindestens 11.300 Euro pro Person fällig. Dafür verspricht die Hamburger Reederei Hapag-Lloyd Cruises während ihrer Luxustörns „legeren Lifestyle für maximal 500 Gäste“ auf dem 226 Meter langen Meeresriesen und einen Schlüssel zwischen Passagieren und Besatzung von nahezu eins zu eins.
Kreuzfahrt: Branche steht wegen Arbeitsbedingungen immer wieder in der Kritik
Den Urlaubern soll es an nichts fehlen und sie sollen ihre Reise genießen – doch für die Crew auf und unter Deck stehen harte Jobs an. Immer wieder sieht die Branche sich wegen der Arbeitsbedingungen auf Kreuzfahrtschiffen Kritik ausgesetzt. Das Abendblatt sprach mit Reedereien, dem Dienstleister Sea Chefs und der Ver.di-Gewerkschafterin Susana Ventura, wie sie die Lage einschätzen.
„Komm mit uns an Bord und erlebe Abenteuer statt Alltag“, heißt es auf der Internetseite von Sea Chefs. Das Unternehmen mit einem Standort in Hamburg ist Dienstleister in den Bereichen Hotel-, Restaurant- und Crew-Management und bezeichnet sich selbst als einen der weltweit führenden Partner von Reedereien und Reiseveranstaltern in der Kreuzfahrtbranche.
Bei TUI Cruises sind die Beschäftigten nicht direkt angestellt
Aktuell würde für 24 Hochsee- und Expeditionsschiffe sowie 49 Flusskreuzfahrtschiffe das Personal gestellt. Mehr als 13.000 Crew-Mitglieder werden beschäftigt – zu den Kunden gehören sowohl die beiden Hamburger Kreuzfahrtreedereien TUI Cruises und ihre Schwester Hapag-Lloyd Cruises als auch die Bonner Phoenix Reisen mit den aus der ZDF-Fernsehserie „Das Traumschiff“ bekannten Schiffen MS „Deutschland“ und MS „Amadea“. „Was wir hervorheben wollen, ist, dass wir kein Personal vermitteln; wir sind konzeptions-, leistungs- und produktverantwortlich“, teilt Sea Chefs mit.
An Bord der aktuell zwölf Schiffe würden mehr als 8000 Crewmitglieder verschiedener Nationalitäten bei unterschiedlichen Arbeitgebern tätig sein, sagt eine TUI-Cruises-Sprecherin. Der größte davon sei Sea Chefs. Direkt bei den Reedereien sind die Beschäftigten also nicht angestellt. Warum ist das so?
TUI Cruises arbeitet mit „starken Partnern“ zusammen
„TUI Cruises wurde 2008 gegründet und ist seitdem stark gewachsen. Daher haben wir uns für verschiedene Bereiche starke Partner mit Erfahrung auf ihrem jeweiligen Gebiet an die Seite geholt, die uns auf diesem Weg unterstützen“, sagt die Sprecherin. Das gelte für die Logistik der benötigten Lebensmittel, den Neubau der Schiffe wie für das Crew-Management.
„Es ist branchenüblich, dass Seeleute über spezialisierte Dienstleister rekrutiert und angestellt werden, um dann auf verschiedenen Schiffen verschiedener Flotten eingesetzt werden zu können. Dies ist auch im Sinne der Besatzung, die so einen sicheren Arbeitsplatz hat“, sagt die Sprecherin.
Kreuzfahrt: Gewerkschaft kritisiert die Praxis bei Anstellungen
„Für Reedereien ist das in jedem Fall einfacher, eventuell auch billiger und sie tragen weniger Verantwortung, wenn es zum Beispiel um die Ausbildung oder die Rückführung der Crew nach der Reise in die Heimat geht“, sagt Susana Ventura, die bei der Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di in der Bundesfachgruppe Maritime Wirtschaft tätig ist. Zudem leitet sie das Vertragsbüro zur Billigflaggenkampagne der Internationalen Transportarbeiter Föderation (ITF), die 1948 gegründet wurde, um Sozialdumping auf hoher See zu bekämpfen. „Sea Chefs hat zudem die Erfahrung, Personal in dessen Heimatland zu rekrutieren“, sagt Ventura.
Sea Chefs selbst verweist auf den Fachkräftemangel im Hotel- und Gaststättenbereich, der es immer schwieriger mache, einen hohen Anteil deutschsprachiger Crewmitglieder anzuwerben. Die meisten würden zwar aus Europa stammen, doch man rekrutiere mittlerweile vermehrt in Osteuropa, auf den Philippinen, in Indonesien und Indien.
Für Europäer sind die Löhne unter Deck nicht attraktiv
„Der Großteil der Beschäftigten unter Deck, die für Reinigungsaufgaben oder schwere körperliche Arbeiten eingesetzt werden, kommt im Normalfall aus Asien wie den Philippinen oder Indien“, sagt Ventura. Das dürfte einen einfachen Grund haben. Denn für sie sind die gezahlten Löhne angesichts der geringeren Lebenshaltungskosten in der Heimat und besonders niedrigen Gehälter in Berufen vor Ort noch einigermaßen attraktiv, für die meisten Europäer hingegen nicht.
„In der Branche starten die Gehälter bei etwa 900 US-Dollar pro Monat für Reinigungskräfte, Zimmermädchen und Wäschereimitarbeiter“, sagt Gewerkschafterin Ventura. Das sind umgerechnet rund 836 Euro. Ein Bäcker könne in der Spitze bis zu 1300 Euro verdienen.
Barkeeper verdienen auf deutschen Schiffen etwa 1500 Euro
Höher läge die Bezahlung für die Beschäftigten, die auf den Schiffen regelmäßig Gästekontakt haben. „Eine Barfrau oder ein Barmann verdient um 1500 Euro pro Monat auf einem deutschen Kreuzfahrtschiff“, sagt Ventura. Wer Führungsaufgaben übernimmt, erhalte deutlich mehr. Ein Bar- oder Restaurantmanager verdiene in der Spitze mehr als 3000 Euro, ein Hotelmanager mehr als 4000 Euro.
Die Unternehmen machen auf Anfrage keine Angaben zur Höhe der gezahlten Gehälter. Die TUI-Cruises-Sprecherin bestätigt allerdings den Einstiegsbereich von 900 US-Dollar in der Branche „für leicht anlernbare Tätigkeiten“. In Führungspositionen könnten bis zu 6000 US-Dollar (5574 Euro) verdient werden.
Aida Cruises erhöht die Gehälter
AIDA Cruises bestätigt indirekt Meldungen, nach denen man die Löhne im Februar und Juli um jeweils 2,5 Prozent anheben wird. Ansonsten bittet die Reederei mit Sitz in Hamburg und Rostock aber um Verständnis, dass man als Teil eines börsennotierten Konzerns (Carnival Corporation) keine Detailangaben zu Vergütungsmodellen und Tarifverträgen mache. Bei den Sea Chefs heißt es nur: „Die Gehälter richten sich nach der Qualifikation des Crew-Mitglieds und liegen über dem Branchendurchschnitt.“
Alle Unternehmen verweisen zudem darauf, dass die Arbeitsbedingungen der Besatzung durch multinationale Abkommen wie der Maritime Labour Convention (MLC) geregelt seien. Der jeweilige Arbeitgeber setze diese dann mit der verantwortlichen Gewerkschaft in individuelle Tarifverträge um. Neben dem Gehalt und der Vertragslänge seien auch Arbeitszeit, Umgang mit Überstunden und Gewährung von Sachleistungen wie Kost und Logis, kostenfreie An- und Abreise zum Einsatzort und Versicherungen in dem Regelwerk festgelegt.
Sieben-Tage-Woche bei Aida
Die Sea Chefs würden zum Beispiel auch Kosten der medizinischen Versorgung während der Arbeitszeit sowie das Training und die Weiterbildung – darunter Deutschkurse – übernehmen. AIDA Cruises teilt mit, dass man die Betriebszugehörigkeit honoriere, individuelle Arbeitszeitmodelle und Bonussysteme anbiete. Die Beschäftigten könnten speziell für die Crew ausgewiesene Fitnessstudios, Saunen und Pools sowie in der Freizeit fast alle öffentlichen Bereiche nutzen.
Die Arbeitstage an Bord sind allerdings lang. Wer sich auf der Webseite der Sea Chefs für einen Job interessiert, kann schnell erkennen, worauf er sich einlässt. „Dein Arbeitstag an Bord wird durchschnittlich zehn Stunden betragen, an sieben Tagen die Woche. Das ist nicht zu unterschätzen“, steht dort. Dann schließt sich die Frage an: „Bist du bereit für die intensivste Zeit deines Lebens?“ Auch bei AIDA gilt grundsätzlich die Sieben-Tage-Woche.
Arbeitszeit auf hoher See: bis zu 14 Stunden täglich
Für in Deutschland beschäftigte Arbeitnehmer nahezu undenkbar – doch die Regeln auf hoher See sind andere. „Unter internationalem Recht können Seeleute jeden Tag 14 Stunden lang arbeiten. Ihnen müssen nur zehn Stunden Ruhezeit pro Tag gewährt werden“, sagt Ventura: „Es gibt Leute, die bis zu elf Monate am Stück durcharbeiten, sieben Tage die Woche, bis zu 14 Stunden täglich.“ Grundsätzlich seien die Vertragslaufzeiten in der Kreuzfahrtindustrie unterschiedlich, im Regelfall seien allerdings neun Monate das Maximum.
Ein Beispiel aus der Praxis: Der oben erwähnte Barkeeper bekommt 1500 Euro Monatslohn. Überstunden werden laut Gewerkschafterin zusätzlich vergütet. Hinzu kommt Trinkgeld. Allerdings müsste das Geld theoretisch versteuert werden. „Eigentlich sind es Bruttogehälter“, sagt Ventura. „Aber wenn man wie Seeleute zum Beispiel eine gewisse Zeit nicht zu Hause ist – in Deutschland 183 Tage –, muss man häufig keine Steuern zahlen. Meistens ist brutto dann also gleich netto.“
"In der Corona-Krise haben alle ihre Jobs verloren"
Der Haken: Die meisten auf dem Meer Beschäftigten seien nicht sozialversichert. Die Pandemie habe sie daher besonders hart getroffen. „In der Branche sind flexible Verträge mit Laufzeiten von wenigen bis maximal elf Monaten üblich. In der Corona-Krise haben sie alle ihre Jobs verloren“, so Ventura. Zudem gab es Probleme bei der Rückführung. Viele Seeleute saßen während der Pandemie monatelang fest, konnten nicht nach Hause.
Die Vertragslängen würden zwischen drei und neun Monaten variieren, heißt es von den Sea Chefs. Das Unternehmen spricht davon, dass „immer mehr Crew-Mitglieder in Festverträge übergeführt“ wurden, um „Talente“ an sich zu binden. Zudem habe man jahrelang „höchste Anstrengungen“ unternommen, um die Beschäftigten in die gesetzliche Sozialversicherung zu bringen. Dies sei auch gelungen.
Kreuzfahrt: Unternehmen versichern unisono, die Atmosphäre an Bord sei gut
„Da unsere Schiffe unter maltesischer Flagge fahren“, sagt die TUI-Cruises-Sprecherin, „haben europäische Crewmitglieder die Möglichkeit, an der gesetzlichen Sozialversicherung teilzunehmen.“ Wortgleich verweisen beide Unternehmen auf eine hohe Zahl an Stammbeschäftigten: „Die Wiederholungsquote liegt bei über 80 Prozent. Die Besatzung im Hotelbereich arbeitet im Durchschnitt vier Jahre und mehr an Bord. Das spricht für eine gute Atmosphäre an Bord.“
Gewerkschafterin Ventura verweist allerdings auch auf viele Beschwerden in der Branche wegen Problemen bei der Bezahlung wie nicht bezahlten Überstunden. Hinzu kommen die Monate ohne Beschäftigung. Typische Modelle bei den Arbeitszeiten wären vier Monate auf See, zwei zu Hause. Auch 2–1 oder 3–2 wären gängig. In den Löhnen des Hotel- und Gaststättengewerbes sei technisch gesehen eine Urlaubsvergütung von sechs Tagen pro Monat enthalten. Die Beschäftigten erhielten also während der Vertragslaufzeit eine Entschädigung für die Zeit zu Hause. Höhere Offiziere und Kapitäne hätten in der Regel einen höheren Urlaubsanspruch von 8,5 bis 15 Tagen pro Dienstmonat.
Corona sorgte für hohe Verluste der Kreuzfahrt-Reedereien
Die Pandemiejahre haben die Branche hart getroffen. Im Geschäftsjahr 2019 (bis 30. September), also vor Corona, erzielte TUI im Kreuzfahrtsegment einen Gewinn vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen von 366 Millionen Euro. Ein Jahr später schloss das Segment mit einem Minus von 322,3 Millionen Euro, 2021 war es ein Verlust von 277,5 Millionen Euro. 2022 gelang der Sprung zurück in die schwarzen Zahlen mit einem kleinen Gewinn von 0,8 Millionen Euro.
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Wesentlicher Grund: In den vergangenen Monaten sind die Buchungszahlen wieder deutlich angezogen, und die Branche kehrte auf den jahrelang gewohnten Kurs stetigen Wachstums zurück. Alle Schiffe seien wieder unterwegs, einige Reedereien hätten schon wieder mehr Gäste an Bord als 2019, heißt es vom Weltverband der Kreuzfahrtindustrie Clia.
Was Arbeiten an Bord trotz langer Tage und schlechter Bezahlung attraktiv macht
Das lässt auch den Personalbedarf steigen. AIDA Cruises warb Ende Januar im Cruise Center Altona für sich als Arbeitgeber. „Die Jobmesse in Hamburg war für AIDA sehr erfolgreich“, sagt eine Sprecherin. Man sei ständig auf der Suche nach Talenten, biete mehr als 220 verschiedene Jobpositionen an Bord der Schiffe und damit vielfältige Karrierechancen, so die Sprecherin: „Aktuell beschäftigen wir rund 17.500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus 60 Nationen, davon rund 1500 an unseren Standorten in Rostock und Hamburg.“
Aber warum zieht die Branche angesichts des überschaubaren Lohns als Arbeitgeber? „Das Arbeiten auf Kreuzfahrtschiffen erscheint auch jungen Deutschen attraktiv, die die Welt sehen wollen“, sagt Ventura. So heißt es beispielsweise auf der AIDA-Homepage: „Selbstverständlich kann die Crew in ihrer Freizeit Landgänge unternehmen.“ Auch für Menschen aus Süd- oder Osteuropa könnten in einigen Jobs die Gehälter angesichts des Lohnniveaus im Heimatland locken, so die Gewerkschafterin. Oder für Personen, die im Zuge der Covid-19-Krise ihre Stelle verloren haben.
Kreuzfahrt-Firmen halten Karrieresprünge an Bord für schneller möglich als an Land
AIDA Cruises berichtet davon, dass sich Schulabgänger für ein Jahr lang beruflich orientieren wollen, sich für Ausbildungsplätze oder Möglichkeiten eines Studiums interessieren. Auch Quereinsteiger und verschiedene Fachkräfte aus Hotellerie und Gastronomie, Entertainmentbereich und Schifffahrt hegten bei der Jobmesse in Hamburg Interesse an Jobs.
TUI Cruises und Sea Chefs teilen erneut wortgleich mit: „Je nach Qualifikation und Entwicklung sind auch schnelle Karrieresprünge möglich, Aufstiege gelingen an Bord oft wesentlich schneller als an Land.“ Zudem werde an Bord der „Mein Schiff“-Flotte Nachwuchs zum Beispiel zum Koch oder Hotel- und Gastgewerbeassistenten ausgebildet.
Gewerkschaft Ver.di fordert bessere Bezahlung der Crews
Doch trotz des Herausstellens von positiven Karrierechancen auf den Schiffen gibt es wohl eine Entwicklung, wie es sie auch an Land in Hotellerie und Gastgewerbe gibt: „Die Reedereien haben Probleme, Personal zu finden“, sagt Ventura. Zwar seien die Löhne für die nächsten zwei Jahre bereits beschlossen. Aber generell müsse die Bezahlung natürlich besser werden. „So hoch wie möglich, aber mindestens muss es einen Inflationsausgleich geben – auch wenn die Branche zwei Jahre Krise mit teilweise keinem Umsatz hinter sich hat“, sagt die Gewerkschafterin.
Die maximal möglichen Einsatzzeiten an Bord sollten kürzer als die bisher international möglichen elf Monate sein. Und die Angestellten sollten direkt bei den Unternehmen angestellt sein mit dauerhaften Verträgen inklusive Sozialversicherung, fordert sie.
Kreuzfahrt: „Internetzugang sollte menschliches Recht sein“
Und dann gibt es noch einen Umstand, der heutzutage mit nahezu täglichen Videokonferenzen wie aus der Zeit gefallen scheint. Laut Homepage der Sea Chefs ist die Nutzung des Internets für die Besatzung auf einigen Schiffen zwar kostenfrei, aber abhängig von der Reederei „in der Regel kostenpflichtig gegen einen geringen Aufpreis“.
Das treibt Ventura um: „Im Jahr 2023 sollte Internetzugang ein menschliches Recht sein. Viele Beschäftigte müssen dies extra bezahlen, aber können und wollen sich das nicht leisten. Daher wissen sie nicht, was bei ihren Familien zu Hause los ist. Das ist inakzeptabel.“