Hamburg. Handelskammer-Umfrage: 62 Prozent der Betriebe im produzierenden Gewerbe sehen ihre Existenz wegen hoher Energiekosten gefährdet.

Am Freitag voriger Woche hatte der Chef des Hamburger Stahlwerks von ArcelorMittal bereits angekündigt, das Herzstück der Produktionsanlagen wegen der hohen Energiekosten vorerst abzuschalten und die Kurzarbeit für die Beschäftigten auszuweiten. Wenn es nach den aktuellen Ergebnissen einer Blitzumfrage der Handelskammer Hamburg unter knapp 2470 Unternehmen der Hansestadt geht, dürfte das aber erst der Anfang sein.

Denn demnach sehen sich 42 Prozent aller Hamburger Betriebe aufgrund der enormen Strom- und Gaspreisanstiege in ihrer Existenz gefährdet. Im produzierenden Gewerbe betrifft dies sogar 62 Prozent der befragten Firmen. In diesem Wirtschaftszweig befürchten 52 Prozent der Unternehmen, die Geschäftstätigkeit wegen der aktuellen Situation am Energiemarkt ganz oder zumindest in Teilen aufgeben zu müssen.

Energiekrise: "Jetzt ist die Zeit zum Handeln"

„Jetzt ist die Zeit zum Handeln“, sagte Norbert Aust, Präses der Hamburger Handelskammer, zu den Resultaten der Umfrage. „Hamburgs Wirtschaft ist auf dem Weg in eine schwerwiegende Krise.“ Die Stimmung sei „dramatisch“ schlecht, so Aust.

Auf die Frage, welche Maßnahmen ihnen in der jetzigen Situation am meisten helfen würden, nannten die Geschäftsführer der befragten Betriebe eine Deckelung der Energiepreise (66 Prozent), Steuerermäßigungen (52 Prozent) sowie staatliche Beihilfen zu den Energiekosten (37 Prozent).

Energiekrise: "Szenario der Deindustrialisierung" droht

Es drohe ein „Szenario der Deindustrialisierung“, sagte Malte Heyne, Hauptgeschäftsführer der Handelskammer. „Viele Industriebetriebe werden ihre Produktion nicht wieder hochfahren können, sofern sie den Betrieb mangels Gas und hoher Energiepreise einstellen müssen“, erklärte er. Dies bedeute nicht nicht nur den Verlust von Arbeitsplätzen und Wohlstand, es sei auch „schädlich für den Klimaschutz“, so Heyne.

Denn Hamburgs Grundstoffindustrie sei „hocheffizient“, daher wäre eine Produktionsverlagerung aufgrund nicht wettbewerbsfähiger Energiepreise in weniger klimafreundliche Produktionsstandorte „ein Bärendienst der deutschen Energiepolitik für den Klimaschutz.“

Energiekrise: Kupferhütte Aurubis stellt Produktion in Deutschland infrage

Hamburgs Kupferhütte Aurubis hat zwar bisher noch keine Einschränkungen in der Herstellung beschlossen, hält sie aber offenbar für durchaus möglich. „Die aktuell stark gestiegenen Preise für Strom und Gas ermöglichen über die Zeit keine Produktion von Kupfer und Metallen in Europa, die dringend für die Energiewende benötigt werden“, sagte ein Unternehmenssprecher kürzlich dem Abendblatt.

Aufgrund der hohen Energiepreise sei der Konzern „aus wirtschaftlichen Gesichtspunkten“ gezwungen, die Kupferproduktion in Deutschland grundsätzlich „infrage zu stellen“, hieß es.

Energiekrise: Auch Gastronomiebetriebe sind durch die hohen Preise gefährdet

Nach den von der Handelskammer vorgelegten Daten hat sich der Gaspreis für Gewerbekunden gegenüber dem vorigen Jahr mehr als verdoppelt, während sich der Börsenstrompreis per Ende August im Vergleich zum Vorjahresmonat fast verfünffachte.

Von den Hamburger Unternehmen, die befürchten, ihre Geschäftstätigkeit wegen der Energiekosten zumindest teilweise einstellen zu müssen, machen 92 Prozent die zu hohen Stromkosten dafür verantwortlich, 74 Prozent nennen als Grund die zu hohen Gaspreise. Unter der Lage am Energiemarkt leiden nicht nur Industriefirmen, sondern auch die Gastronomie und der Handel.

„In manchen Unternehmen unserer Branche machen die Energiekosten bis zu 20 Prozent vom Umsatz aus“, sagte Stephan von Bülow, Vorsitzender der Geschäftsführung der Hamburger Block-Gruppe, zu der unter anderem die Steakhauskette Block House und das Fünf-Sterne-Hotel Grand Elysée gehören. „Wir schauen mit großer Sorge in die Zukunft“, sagte der Manager. „Für viele Betriebe in der Gastronomie bedeutet es das Aus, wenn ihnen nicht geholfen wird.“

Energiekrise: Betriebe vor großen Herausforderungen

Nachdem die Block-Gruppe im ersten Quartal wegen der Corona-Einschränkungen noch Verluste geschrieben habe, sei nun nach einer kurzen Erholungsphase schon die nächste Krise da. Dabei müsse man in diesem Jahr schon die Anhebung des Mindestlohns, die einer Gehaltssteigerung von 20 Prozent entspreche, verkraften.

„Wir sind aber nicht mehr in der Lage, Kostenerhöhungen an die Kunden weiterzugeben“, sagte Stephan von Bülow, weil die hohe Inflationsrate – angeheizt vor allem durch die hohen Energiepreise – zahlreiche Verbraucher ohnehin bereits zum Konsumverzicht zwinge. „Die Menschen müssen sich fragen: Tanke ich das Auto voll oder gehe ich essen?“

Energiekrise: Energieeinsparungen helfen nur begrenzt

Verschärft werde die Situation der Block-Gruppe noch dadurch, dass sie 42 Millionen Euro an Corona-Hilfskrediten innerhalb von fünf Jahren an die staatliche Förderbank KfW zurückzahlen müsse. „Warum streckt man diesen Zeitraum jetzt nicht?“, fragte der Chef des Gastronomiekonzerns. Die Möglichkeiten, durch Energieeinsparungen die aktuellen Probleme abzumildern, seien begrenzt, eine Absenkung der Raumtemperatur in den Restaurants von 21 auf 19 Grad habe man schon beschlossen.

Ähnlich empfindet das Denise Rathgeber, Inhaberin des Hamburger Schreibwaren- und Geschenkartikelhändlers Dössel & Rademacher. Sie hat, wo immer das möglich war, längst auf Strom sparende LED-Beleuchtung umgestellt. Dass auch ihr Geschäft laut Verordnung der Bundesregierung nun die Türen zwecks Energieeinsparung geschlossen halten muss, wird nach Schätzung von Rademacher den Umsatz um zehn Prozent reduzieren.

Energiekrise: Fünf Forderungen der Handelskammer an die Politik

Aus der Sicht von Handelskammer-Präses Aust ist das „Entlastungspaket“ des Bundes für Firmen nicht ausreichend. Er stellte fünf Forderungen an die Politik: Die Energiekostenzuschüsse müssten verlängert werden, auf die Gasumlage solle man verzichten. Die Energiesteuern seien auf den europäischen Mindestsatz abzusenken. Hamburgs Wirtschaft brauche schnell Lösungen für neue Energiequellen, nachdem das russische Gas als Brücke zu neuen Technologien nicht mehr tauge. Außerdem müsse der Bund Genehmigungszeiten etwa für die Umstellung von Gas auf Öl oder für den Bau von Windturbinen deutlich verkürzen.

Aust von der Handelskammer Hamburg erklärt: „Wir erwarten, dass die im November beginnende Bundesratspräsidentschaft Hamburgs dafür genutzt wird.“