Hamburg. Hamburger Verein organisiert Arbeitseinsätze freiwilliger Helfer. Mehr als 6000 Menschen haben schon mitgemacht.
Sieben Stunden hatten sich Thomas Jokerst-Gracias, seine drei Kolleginnen und zwei Kollegen für die Renovierung der möblierten 40-Quadratmeter-Altbauwohnung vorgenommen: Wände streichen, spachteln, Türen neu lackieren sowie einige Ausbesserungsarbeiten am Mobiliar. Dabei lebt keiner der sechs selber hier. Sie sind Beschäftigte der Techniker Krankenkasse, die sich dank Gleitzeit einen Tag freigeschaufelt haben, um ehrenamtlich diese Übergangswohnung für obdachlose Frauen zu renovieren.
Organisiert hat den Einsatz der Verein Tatkräftig e.V., der sich und sein Konzept „Ein Team – Ein Tag – Ein Ziel“ bei der Hamburger Krankenkasse vorgestellt hatte. „Es haben sich bei uns 19 Gruppen gebildet, die sich Aufgaben für ehrenamtliche Aktionen gesucht haben“, sagt Jokerst-Gracias. 15 der Teams übernehmen Einsätze, die von Tatkräftig vermittelt wurden. „Uns geht es so gut, während andere Menschen in dieser Stadt große gesundheitliche Probleme haben – oder auch kein Dach über dem Kopf“, sagt der Werbemanager.
Sie wollen etwas „richtig Sinnvolles“ tun
Den Teilnehmern der Hilfsaktionen gehe es darum, etwas zu tun, das „richtig sinnvoll“ ist, so Jokerst-Gracias: „Und das macht einfach auch Spaß.“ Die gute Laune beflügelt die Gruppe offenbar, denn jetzt, nach vier Stunden Arbeit, bleibt gar nicht mehr so viel zu tun. Die Wände des Wohnzimmers sind makellos weiß, die Farbe an den Türen trocknet.
Seit fünf Jahren hat der Verein Kemenate Frauen Wohnen e.V. die Altbauwohnung gemietet. Sieben zuvor obdachlose Frauen haben in dieser Zeit nacheinander übergangsweise darin gelebt, bis sie eine eigene Bleibe gefunden hatten. „Während der maximal zwölf Monate, die sie in der Übergangswohnung bleiben können, werden die Frauen sozialpädagogisch betreut“, sagt Ingrid Borgmeier, Projektmanagerin bei dem Eimsbütteler Verein Kemenate. „Das Interesse daran, hier eine Zeit lang leben zu können, ist groß.“
Den Pinsel bringen die Freiwilligen mit
Die Miete für die Wohnung wird aus Spenden finanziert, auch das Material, das für die Renovierung benötigt wird. Die Arbeitsmittel wie Farbrollen, Pinsel und Werkzeug haben die Beschäftigten der Techniker Krankenkasse von zu Hause mitgebracht.
Seit mehr als 30 Jahren kümmert sich Kemenate um obdachlose Frauen. Mehr als 7300 von ihnen sollen offiziellen Schätzungen zufolge in Hamburg leben, die Dunkelziffer dürfte aber hoch sein. Ein zweites Projekt des Vereins neben der Übergangswohnung ist ein Tagestreff in der Charlottenstraße. Dort können sich die Frauen waschen, etwas essen und das Internet nutzen, außerdem dient der Ort als Postadresse für die Behörden. Nach Angaben des Vereins besuchen täglich etwa 35 Frauen den Tagestreff. Dessen Miete und die Personalkosten für die Betreuung dort übernimmt die Sozialbehörde. Daneben gelingt es dem Kemenate-Team immer wieder, Frauen über die Kontakte des Vereins eine permanente Wohnung zu vermitteln.
Mehr als 100 Einsätze pro Jahr
Miriam Schwartz, Gründerin und Vorsitzende von Tatkräftig e.V., kannte die Übergangswohnung bereits von einer früheren Hilfsaktion: „Ich war auch hier, als die Räume vor der Übernahme durch Kemenate renoviert wurden.“ Mehr als 100 Einsätze pro Jahr werden von Tatkräftigen organisiert. Seit der Gründung im Jahr 2012 haben gut 6000 Freiwillige daran teilgenommen. „Wer das einmal getan hat, empfiehlt uns meist weiter“, sagt Schwartz. Angesprochen werden die potenziellen Helfer auch über soziale Medien. Manchmal melden sich sogar Schulklassen.
Zwar gibt es in Hamburg eine ganze Reihe von Organisationen, die von Ehrenamtlichen aufrechterhalten werden. „Wir wenden uns aber an Menschen, die durch ihre Arbeit oder das Studium zu sehr eingebunden sind, um regelmäßig ehrenamtlich aktiv sein zu können“, erklärt Schwartz. Als besonders gelungen empfindet sie Einsätze, bei denen es gelingt, Verständnis zwischen den Helfern und den Menschen, denen geholfen wird, zu schaffen. Ein Beispiel dafür: „Wir haben in einer Wohngemeinschaft für Menschen mit Assistenzbedarf mitgeholfen, die Balkone zu begrünen. Bei dieser Gelegenheit haben die Freiwilligen mit den Bewohnern gemeinsam Pizza gegessen. Hinterher habe ich von einem der Teilnehmer gehört: ,Ich wusste gar nicht, dass Menschen mit Assistenzbedarf so viel Humor haben‘“.
„Viel Respekt auf beiden Seiten“
Ähnliches hat Miriam Schwartz bei einer von Tatkräftig-Freiwilligen ermöglichten Hafenrundfahrt mit Senioren aus äußerst prekären Verhältnissen, vermittelt über das JesusCenter im Schanzenviertel, erlebt. Diese Menschen hätten sich einen solchen Ausflug sonst nicht leisten können, und sie wären auch wegen Mobilitätseinschränkungen nicht ohne Hilfe auf die Barkasse gekommen. „Dort kam es dann zu langen Gesprächen mit viel Respekt auf beiden Seiten“, sagt die Vereinsgründerin.
Ein anderes Freiwilligenteam hat den zuvor trostlosen Spielplatz eines Flüchtlingsheims aufgearbeitet und die Geräte kunterbunt angestrichen: „Das war eine supertolle Überraschung für die Kinder, die von den Arbeiten nichts mitbekommen haben.“
Für den September ist Tatkräftig bereits ausgebucht, erst im Oktober sind wieder Termine für den Einsatz von Freiwilligenteams verfügbar. Die Gruppe muss mindestens sechs Personen umfassen, maximal waren es aber auch schon einmal 100 Helfer an einem Tag.
Eine wichtige Einschränkung gibt es jedoch: Tatkräftig wird nur für gemeinnützige Organisationen oder Initiativen aktiv, nicht für Einzelpersonen.