Hamburg. Viele wünschen sich mehr Rücksichtnahme. Der raue Umgangston ist im ÖPNV aber leider nicht das einzige Problem.

Es gibt Menschen, die fahren partout nicht mit öffentlichen Verkehrsmitteln. „Eine Stunde durchgerüttelt werden, dazu telefonierende Mitfahrer, die auch noch ihr Essen auspacken, das alles muss ich nicht haben“, schreibt ein Abendblatt-Leser aus Schnelsen, der deshalb immer mit dem Auto in die Innenstadt fährt.

780,8 Millionen Fahrgäste (2018), die den Hamburger Verkehrsverbund (HVV) nutzen, sind zwar längst nicht immer rundum zufrieden, aber sie fahren trotzdem mit Bussen und Bahnen. Entweder weil sie gar kein eigenes Auto haben (in Hamburg kommen 434 Pkw auf 1000 Einwohner) oder weil sie auf ihren täglichen Wegen einen Mix aus Verkehrsmitteln kombinieren, zu dem auch mal das Fahrrad gehört.

Rauer Ton im öffentlichen Nahverkehr

Dabei sind Essensgerüche, Körperausdünstungen der anderen Fahrgäste und Handygespräche im öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) sicher nicht die größten Ärgernisse. Auch der Ton untereinander ist immer wieder sehr rau, wie die Erfahrungen vieler Leser und Kollegen deutlich machen.

Das bekommt auch das Sicherheitspersonal der Hamburger Hochbahn, das immer wieder tätliche Angriffe und Bedrohungen erlebt, zu spüren. Im vergangenen Jahr zählte das Unternehmen insgesamt 86 Zwischenfälle, im ersten Halbjahr 2019 schon 59, wie aus einer Kleinen Anfrage der CDU kürzlich hervorging. Dazu kommen 31.000 Sachbeschädigungen durch Vandalismus und Graffiti.

Auch untereinander gehen Fahrgäste häufig nicht zimperlich um: An einem verregneten Tag ging es einer älteren Frau beim Einsteigen in den Metrobus der Linie 5 nicht schnell genug. Sie piekte eine jüngere Frau vor sich mit ihrem Regenschirm in den Rücken. Offenbar so kräftig, dass es wehtat und die Frau so erschrak, dass sie sich umdrehte und der alten Frau eine runterhaute.

Ein häufig genanntes Ärgernis und Anlass für Auseinandersetzungen ist auch laute Musik, die aus Kopfhörern schallt: „Wenn sie mich stört, bitte ich denjenigen höflich darum, die Musik leiser zu stellen“, sagt eine Kollegin. Die meisten Menschen reagierten darauf sofort. Nicht so ein junger Typ, der sie provokativ anschaute, den Stinkefinger zeigte und die Musik noch lauter stellte. „Alle Mitfahrer waren genervt von ihm, ich hatte keinen Lust auf Streit, setzte mich an das andere Ende des Abteils. Seine hämmernden Beats waren bis dorthin zu hören.“

Pöbeleien münden in Polizeieinsätzen

Dieselbe Kollegin berichtet von einem Erlebnis ihres Sohnes, der mit einem Freund frühmorgens von der Reeperbahn mit der S-Bahn unterwegs nach Hause war. „Ein betrunkener Mittzwanziger fing plötzlich an, den Freund zu beschimpfen, er hätte ihn im spiegelnden S-Bahn-Fenster beobachtet. Mein Sohn und der Kumpel reagierten nicht auf den pöbelnden Mann und setzen sich woanders hin, der Mann kam nach, setzte sich ihnen gegenüber und beschimpfte die beiden weiter.“ Eine junge Frau habe versucht zu vermitteln, ohne Erfolg. Als ihr Sohn und dessen Freund ausstiegen, sei der Typ ihnen nachgegangen und habe dem Freund ihres Sohnes ohne Vorwarnung ins Gesicht geschlagen. „Dann setzte er sich seelenruhig wieder in die S-Bahn. Zum Glück zog die junge Frau die Notbremse, der Mann wurde von der Polizei festgenommen, der Prozess ist angesetzt.“

Eine junge Mutter wünscht sich etwas mehr Sensibilität der anderen Passagiere, wenn Schwangere oder Frauen mit Babys einsteigen: „Neulich stand ich mit dem Baby in der Trage in einem vollen Bus auf der Höhe des Busfahrers, also direkt hinter der Windschutzscheibe. Dem Busfahrer war das total egal. Ich hätte es toll gefunden, wenn er jemanden gebeten hätte, vielleicht mal Platz zu machen.“ Schon während ihrer Schwangerschaft habe ihr nur ein einziges Mal jemand seinen Sitzplatz angeboten, sagt sie.

Ein Dauerthema ist das Ein- und Aussteigen und das Gedrängel an den Türen. Regelmäßig wird man Zeuge von Pöbeleien, wenn zusteigende Fahrgäste in den Eingang drängeln, ehe Aussteigewillige auch nur die Chance hatten, sich in Bewegung zu setzen.

Füße auf den Sitzen und Imponier-Spagat

Als weitere Ärgernisse werden von vielen genannt: die vom Tagwerk Gebeutelten, die deswegen ihre Füße hochlegen müssen – auf den Sitz. Männer, die nicht imstande sind, ihre Knie zusammen zu halten und im Imponier-Spagat mehrere Sitzplätze blockieren. „Musikanten“, die ausnutzen, dass man in der Bahn nicht weglaufen kann. Mitfahrer, die ihre neuesten Deals/Eroberungen etc. sofort fernmündlich weitertragen müssen. Der Extremfall: Die Kiez-Anreisenden, die aus dem Umland einfallen – im Gepäck 4,8 Hektoliter Billigsprit. Nichts für schwache Nerven! Acht Stunden später dann die Reste von letzter Nacht am Sonnabend-/Sonntagmorgen.

Manchmal gibt es auch gedankenlose Autofahrer, die den Nahverkehr nachhaltig behindern. Eine Kollegin fuhr an einem Abend mit dem Bus von der Trabrennbahn Bahrenfeld Richtung Bahnhof Altona. Wegen einer Sperrung der Barnerstraße musste der Bus in die enge Gaußstraße Richtung Bahnhof fahren. Dort ging es nach circa 30 Metern nicht weiter. Ein Smart stand quer geparkt am Straßenrand, auf der anderen Seite war eine Betonbarriere, damit die Autos langsam fahren. Die Busfahrerin versuchte zunächst durchzukommen, wobei zwei Fahrgäste halfen. Sie stiegen aus und lotsten den Bus so weit es ging durch die Enge. Doch da war nichts zu machen.

Das Logo der Aktion
Das Logo der Aktion "Seid nett zueinander" vom Abendblatt. © HA

Der eine Fahrgast ging in die Kneipe, vor der das Auto stand, und fragte dort nach dem Besitzer. Der andere schaute in den Smart, wo tatsächlich ein Zettel mit Handynummer auf der Ablage lag. Diese diktierte er der Busfahrerin durch die geöffnete vordere Bustür, doch leider war der Angerufene nicht der Eigentümer des Autos. Nun blieb nur: Bus ausmachen und auf Polizei und Abschleppwagen warten. Das wartete die Kollegin nicht mehr ab und ging zu Fuß weiter. Immerhin sagt sie: „Die Teamarbeit war ein nettes Erlebnis, da wir spontan gemeinsam versuchten, mit verschiedenen Ideen die Situation effektiv zu lösen.“

Auch gute Erfahrungen im ÖPNV

Aber auch viele ÖPNV-Nutzer berichten von positiven Erfahrungen: „Nach einem langen Arbeitstag steige ich in die überfüllte S 3 an der Stadthausbrücke und seufze innerlich. Wie gern würde ich jetzt sitzen“, sagt eine Kollegin. „Ein junger Mann mit Migrationshintergrund sieht mir meine Erschöpfung offenbar an, steht auf und bietet mir seinen Sitzplatz lächelnd an.“

Ihr falle beim täglichen S-Bahn-Fahren auf, dass es vor allem junge Männer aus dem arabischen Raum sind, die besonders aufmerksam gegenüber älteren Menschen seien und sofort ihren Sitzplatz anböten. Viel Rücksichtnahme anderer Fahrgäste lobt auch ein Leser. Er schreibt: „Seit meine Ehefrau mit einem Rollator unterwegs ist, ist mir besonders aufgefallen, dass viele doch recht aufmerksam sind und beim Einsteigen in den Bus helfen oder ob Hilfe nötig ist, nachfragen. Das gilt auch bei Müttern, die mit Kinderwagen unterwegs sind. Junge Leute bieten einen Sitzplatz besonders im Bus an.“

Ein weiterer Leser schreibt: „Es gibt viele Möglichkeiten nett zueinander zu sein. Beispiele gefällig? Den HVV-Bus an einer Engstelle vorlassen, obwohl man eigentlich Vorrang hätte. Wird prompt belohnt, der Busfahrer bedankt sich per Handzeichen! An einer Fahrbahnverengung den Reißverschluss praktizieren. Oder einen Radfahrer nicht überholen, wenn nicht ausreichend Platz vorhanden ist! Das ist für alle Verkehrsteilnehmer sehr entspannend.“

Rücksichtsloses Verhalten von Radfahrern

Als besonders rüpelhaft werden von vielen im Straßenverkehr Fahrradfahrer empfunden, wie aus einigen Zuschriften hervorgeht. Ein Leser berichtet davon, wie schwer es ihm fällt, als Fußgänger nett zu Radfahrern zu sein. „Täglich bin ich auf dem Gehweg mit Radfahrern konfrontiert. Neulich klingelte sogar ein Radfahrer hinter uns, der in der falschen Richtung auf dem Gehweg fuhr, um vorbeizukommen. Als Fußgänger muss ich jetzt ständig nach rechts und links schauen, auch wenn ich die Straße bei Grün überquere, denn viele Radfahrer fahren ungehindert weiter.

Gerade in Eppendorf ist das schlechte Verhalten von Radfahrern ein Massenphänomen. Dennoch hat ein Polizist am Eppendorfer Marktplatz nur mit den Schultern gezuckt, als ich ihn neulich darauf hinwies, dass ein Radfahrer mit hoher Geschwindigkeit in der falschen Richtung auf dem Gehweg um die Ecke kam.“ Das Verhalten der Radfahrer werde toleriert, verwunderlicherweise ganz anders als die viel selteneren E-Roller auf dem Bürgersteig, die als Gefahr gesehen würden.