Hamburg. Zwei Polizisten sprechen über zunehmende Aggressionen – und was jeder tun kann, um ein wenig Respekt zu zeigen.
Das letzte Mal knallte es erst in der vergangenen Woche, sagt Kay Elvert. Ein mutmaßlicher Einbrecher. Er rannte zu Fuß weg, Elvert und sein Kollege hinterher, sie holten ihn ein, dann rastete der Verdächtige völlig aus. Trat und schlug auf die Polizisten ein wie ein wildes Biest. „Das passiert häufiger als früher“, sagt Elvert. Aber fast schlimmer sei es, dass auch ganz normale Bürger immer häufiger „den Menschen in der Uniform nicht mehr sehen.“
Elvert sitzt mit seinem jüngeren Kollegen Niels Sahling im Büro der Gewerkschaft der Polizei (GdP) neben dem Polizeipräsidium und spricht über Respekt. Und wie er in ihren Augen über die Jahre immer mehr verloren ging. Die beiden Gewerkschafter sind im Hauptberuf bei der Schutzpolizei. Sahling steht seit rund zehn Jahren im Staatsdienst, Elvert schon seit mehr als 30 Jahren.
Schlechte Entwicklung
Die Zündschnur der Menschen sei heute oft viel kürzer als früher, sagt Elvert. „Es wird oft gleich als Allererstes losgepöbelt. Die freundlichen Menschen sind noch in der Überzahl, aber die Entwicklung ist schon seit mehr als zehn Jahren sehr schlecht.“
Sahling sagt, das betreffe nicht nur die Arbeit der Polizei: „Auch etwa im Straßenverkehr kochen die Aggressionen schneller hoch, weil anscheinend jeder heutzutage so erbittert auf seinem angeblichen Recht besteht.“ Die Gewerkschafter wollen sich nicht nur beklagen oder Schuldzuweisungen betreiben. „Aber es ist etwas ins Rutschen geraten, das wir als Gesellschaft dringend aufhalten müssen.“
Feindbild Polizei
Zu einer Schicht eines Schutzmanns in Hamburg gehöre inzwischen „auch mindestens eine schwere Grenzüberschreitung“ dazu, sagt Niels Sahling. Plötzlich rufe etwa ein völlig normal aussehender Mann auf dem Kiez eine schwere Beleidigung. Dort zeige sich die niedrigere Hemmschwelle gegenüber der Staatsgewalt. „Man braucht dann Fingerspitzengefühl“, sagt Sahling. Einige brächen sofort in Tränen aus, wenn man sie bloß ruhig zur Rede stellt. „Andere treiben es erst dann so richtig auf die Spitze.“
Kay Elvert erzählt aus seiner Erfahrung, dass die Pöbler gern aus dem Schutz von Gruppen agierten. „Wenn ich bei einem HSV-Heimspiel Dienst habe, kann ich auch die Freundlichkeit in Person sein, und sofort kommen die Mittelfinger. Man ist einfach Feindbild.“ Das gelte auch, wenn man etwa eine Shisha-Bar aufsuche, um dort einen ausgedruckten Zettel mit Gesundheitshinweisen zu überbringen. „Dann wird man gefragt, was man als ,Pisser‘ wolle? Na, helfen, denkt man dann, wie fast immer“, sagt Elvert.
Es weht ein anderer Wind
Die Beamten müssen jeweils selber entscheiden, ob sie eine Strafanzeige wegen Beleidigung fertigen – deren Gesamtzahl wird statistisch nicht erfasst. „Wir mussten uns aber grundlegend darauf einstellen, dass heutzutage ein anderer Wind weht“, sagt Sahling.
Ein Polizeisprecher teilte auf Anfrage mit, dass angehende Polizisten bereits an der Akademie etwa in Form von Rollenspielen „umfassend darauf vorbereitet werden, deeskalierend und handlungssicher“ in Konfliktsituationen zu bleiben.
Bereits in den Auswahlgesprächen werde abgeklopft, ob man die Beleidigungen aushalte, sagt Sahling. Auch der Familienkreis mache sich häufig Sorgen. „Mein Vater hat mir unter anderem deswegen davon abgeraten, denselben Beruf zu ergreifen“, sagt Sahling. Elvert ergänzt, in hitzigen Situationen versuche er, sich in das Gegenüber hineinzuversetzen. „Wenn mich ein Mann nicht gerade freundlich begrüßt, der kurz zuvor von seinem Nachbarn schon auf hundertachtzig geschrien wurde, kann ich das eher verstehen.“
Beleidigungen und Attacken
Ob die Gewerkschafter auch verstehen können, dass Hamburger etwa nach den Geschehnissen beim G-20-Gipfel polizeikritischer seien? Die Polizei gibt sich öffentlich als Schiedsrichter, wird aber in der Wissenschaft auch als politischer Akteur gesehen. „Für mich ist wichtig, dass man die grundlegenden Fakten nicht herumdreht“, sagt Kay Elvert. „Bereitschaftspolizisten sind dazu vor Ort, um Demonstrationen abzusichern. Und die Beamten stellen dabei ihre persönlichen Meinungen hintenan. Ich musste auch schon Aktivisten mit körperlicher Kraft zurückhalten, obwohl ich als Mensch genau ihrer Meinung war.“
Der jüngere Gewerkschafter Niels Sahling hat den Eindruck, „dass oft einfach nicht gesehen wird, was die Polizei für Befugnisse hat und was Staatsgewalt bedeutet“. Wenn es Fehlverhalten von Beamten gebe, sollten das Gerichte am Ende bestrafen. „Selbst pauschal Gewalt gegen Polizisten auszuüben, führt aber ganz sicher nicht weiter.“
Seit Jahren kommt es neben den Beleidigungen statistisch auch zu mehr als vier körperlichen Attacken auf Polizisten pro Tag. Im vergangenen Jahr gab es laut Polizei insgesamt rund 2000 Straftaten gegen Beamte – ein massiver Anstieg von 420 Fällen im Vergleich zum Vorjahr und der höchste Stand seit 2014. Dieser ist jedoch laut Polizeisprecher Florian Abbenseth vor allem dem neuen Straftatbestand des „tätlichen Angriffs gegen Vollstreckungsbeamte“ geschuldet, der auch fast die Hälfte der Fälle ausmachte. 160 Beamte wurden zum Opfer einer gefährlichen oder schweren Körperverletzung.
130 Euro Gefahrenzulage
Die Gewerkschafter Elvert und Sahling sagen, sie beide seien selbst bereits nach Angriffen kurzzeitig dienstunfähig gewesen. „Man fragt sich da schon durchaus mal, ob es das eigentlich wert ist, für 130 Euro Gefahrenzuschlag seinen Kopf auch hinzuhalten.“ Sie plädieren dafür, dass vor allem Pöbeleien schärfer bestraft werden: „Die Strafanzeigen, die man erstattet, führen wegen angeblich mangelnden öffentlichen Interesses sehr oft nirgendwo hin“, sagt Kay Elvert. „Das ist für mich ein fatales Signal, dass man mit solch einem schlechten Verhalten durchkommt.“
Auf der anderen Seite reiche ein freundliches Wort, um auch anstrengende Dienste auszuhalten. Nach dem Vorfall mit dem Einbrecher hätten sich mehrere Autofahrer, die die Rangelei zufällig sahen, bei der Polizei gemeldet und ausgesagt, dass der Einbrecher zuerst gewalttätig worden sei.
„Das ist für mich auch einer der Belege dafür, dass 70 oder 80 Prozent der Menschen noch Respekt vor unserer Arbeit haben.“ Niels Sahling sagt, es sei jedem freigestellt, die Arbeit der Polizei kritisch zu sehen. „Es hilft aber am Ende doch beiden Seiten, wenn man einfach besonnen und freundlich dabei bleibt.“