Hamburg. Daran wollen Schulen, Ärzte, die AWO und Privatleute etwas ändern. Dabei gibt es in Hamburg auch eine gro0e Hilfsbereitschaft.

Die Abendblatt-Aktion „Seid nett zueinander“ stößt bei Firmen, Institutionen, Lesern und Internetnutzern auf breite Resonanz. Ob in der Stadt selbst, aber auch auf Helgoland und in Dithmarschen werden Respekt und Höflichkeit jetzt wieder zum Thema des täglichen Miteinanders. „Die Aktion ist ein wundervoller Aufruf zu einer positiven und zugewandten Grundhaltung“, sagt Professor Hanns-Stephan Haas, Vorstandsvorsitzender der Evangelischen Stiftung Alsterdorf. Sie erinnere daran, dass jeder ganz persönlich entscheiden könne, wie wir Menschen miteinander leben wollen.

Das Abendblatt hatte die Aktion mit dem Aufkleber „Seid nett zueinander“ am 1. August gestartet und damit jenen Slogan mit neuem Leben gefüllt, der die Zeitung seit vielen Jahrzehnten begleitet. Seitdem berichten Leser von ihren negativen und positiven Erfahrungen, melden sich Organisationen zu Wort. Der Landesverband der Arbeiterwohlfahrt (AWO), die in diesem Jahr 100 Jahre alt wird, hat gerade die grünen Abendblatt-Sticker bestellt, um sie in den mehr als 130 Hamburger AWO-Einrichtungen auszulegen.

Selbst­inszenierung in der Gesellschaft

Von der Kita bis zum Seniorentreff soll damit um Aufmerksamkeit für das Thema geworben werden. Dass diese Aktion an der Zeit ist, begründet Frank Krippner von der Leitung der AWO-Unternehmenskommunikation so: „Es sind die kleinen Höflichkeiten im Alltag, die häufig fehlen.“ Dazu gehören das Aufhalten einer Tür, das Anbieten eines Sitzplatzes oder einfach nur ein Lächeln. „Darunter leiden oft besonders die Schwachen in der Gesellschaft, Ältere oder Kinder.“

Dass Respekt heute häufig nicht mehr praktiziert wird, hängt nach Ansicht von Frank Krippner mit der starken Individualisierung und mit der Selbst­inszenierung in der Gesellschaft zusammen. Jeder sei zunehmend und manchmal sogar ausschließlich auf seinen persönlichen Vorteil bedacht. Die Abendblatt-Aktion könne deshalb eine wertvolle Debatte über einen freundlicheren Umgang anstoßen.

Auch die Evangelische Stiftung Alsterdorf nimmt an der Abendblatt-Aktion teil, die bis Ende August dauern wird. Vorstandschef Hanns-Stephan Haas erinnert an die Werte der Stiftung, nämlich Würde, Freiheit, Verantwortung, Gerechtigkeit und Nächstenliebe. Deshalb habe er sich über die Abendblatt-Aktion als Zeichen positiven Miteinanders sehr gefreut. Stress und Zeitmangel seien heute Faktoren, die dazu führten, dass Freundlichkeit und Respekt fehlten.

Wachsende berufliche Belastung

Nach Ansicht von Professor Haas kann man in der Hansestadt allerdings beides erleben: fehlenden Respekt, aber gleichzeitig auch eine große Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft. „Das Gute daran ist, dass wir die Wahl haben, wie wir auf andere Menschen zugehen wollen. Deshalb streben wir in der Stiftung jeden Tag nach einem respektvollen und wertschätzenden Miteinander.“

An der Aktion nimmt auch die Hausärztliche Gemeinschaftspraxis Flurkamp im Hamburger Westen teil. „Wir wollen uns das Thema ,Kommunikation‘ innerhalb des Teams und im Kontakt mit Patienten und Angehörigen bewusster machen“, sagt die Medizinerin Katharina Wollenhaupt. Als Ursache für fehlenden Respekt nennt sie die zunehmende Auflösung familiärer Strukturen und die wachsende berufliche Belastung der Menschen.

Burn-out, Depression, Angsterkrankungen

Die zunehmende Zahl der Patienten mit psychischen Erkrankungen wie Burn-out, Depression und Angsterkrankungen könnten ein Hinweis auf eine veränderte Umgangsweise in der Gesellschaft sein. Mit der Abendblatt-Aktion und den grünen Aufklebern, so die Hausärztin, könnte es gelingen, erneut über das eigene Verhalten nachzudenken und einander mit Achtsamkeit zu begegnen.

Das klappt freilich nicht immer. Selbst Urlauber, die ihre schönste Zeit im Jahr auf der Nordseeinsel Helgoland verbringen, strahlen zuweilen Unzufriedenheit aus. Wie negativ heute Menschen durch ihr Leben gehen können, erleben zum Beispiel die Mitarbeiter des Helgoländer Hotels Weeterkant. Auch sie wollen die Sticker unter den Gästen verteilen.

Immer wieder, berichtet Ulrike Riepenhusen, treffe sie auf Gäste, die mit allem unzufrieden seien – mit dem Wetter, mit ihren Mitmenschen und schließlich mit sich selbst. Diese allgemeine Unzufriedenheit sei der wichtigste Grund für fehlende Freundlichkeit im Alltag. „Jeder hat an vielem etwas auszusetzen. Sei es das Warten in der Schlange im Einkaufsmarkt, die Dünenfähre, die nur halbstündlich fährt, oder die immer schnell ausgeführten Bunkerführungen auf der Nordseeinsel.“ Als Therapeutikum verteilt das Hotel jetzt die Hamburger-Abendblatt-Aufkleber „Seid nett zueinander“.