Hamburg. Vom Hoffnungsträger zum Auslaufmodell, Teil 4: Der Riesen-Airbus startet zu seinem Erstflug – und bald folgen die Probleme.

Zigtausende Menschen sind auf den Deichen und Stränden an der Elbe versammelt. Es herrscht gemütliche Picknick-Atmosphäre. Bis plötzlich Hektik ausbricht. „Da kommt er, da kommt er“, rufen Kinder. Frauen und Männer stehen auf und recken ihre Hälse in Richtung Elbbrücken. Einige klatschen, andere johlen. Schiffssirenen sind zur Begrüßung zu hören. Dann dreht das Riesenflugzeug eine Schleife über das Mühlenberger Loch. Die Stimmung schlägt in nahezu andächtiges Schweigen um.

„Seit viereinhalb Jahren planen und konstruieren wir für den A380“, sagt Airbus-Mitarbeiter Thees Holst. „Und nun fliegt er hier wirklich.“ Das sei ein tolles Gefühl. Der Konzern veranstaltet auf dem Werksgelände einen Familientag mit 100.000 Teilnehmern. Ein tiefer Überflug in 150 Meter Höhe über der Piste des Betriebsflughafens auf Finkenwerder gehört dazu. Für die Landung bleibt allerdings keine Zeit. Rund 20 Minuten kreist der Jet über der Hansestadt.

Schröder nennt Erstflug großen Erfolg

An diesem Sonnabend, dem 27. August 2005, machen sich die Hamburger erstmals selbst ein Bild von dem neuen Riesen-Airbus. Das größte Passagierflugzeug der Welt – es fliegt.

Exakt vier Monate zuvor hatte es in Toulouse den Beweis angetreten. Der A380 feierte seinen Jungfernflug und löste Boeings 747 als Nummer eins ab. Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) nannte den Erstflug einen „großen Erfolg für die Innovationskraft europäischer Unternehmen“. Im Rathaus verfolgte Hamburgs Bürgermeister Ole von Beust (CDU) den Start und sprach von der Krönung einer technologischen Leistung der Spitzenklasse. In Toulouse erlebte der deutsche Ingenieur Jürgen Thomas als Augenzeuge Start und Landung. „Das ist ein historischer Tag für den Flugzeugbau, weil nie zuvor ein so großer Passagierjet geflogen ist“, sagte Thomas, der als „Vater des A380“ gilt.

Beim Biegetest gibt es Risse im Flügel

In den nächsten Monaten stehen aber noch zahlreiche Tests an. Schwierigkeiten bereitet als erster der Biegeversuch. Bei diesem soll demonstriert werden, dass die Flügel weit mehr als die im Flugbetrieb üblichen Belastungen aushalten. Die Kräfte, die auf das Flugzeug wirken, sind extrem. Beim Start müssen bis zu 575 Tonnen in die Luft gehievt werden. Über den Wolken wirken bei manchen Manövern Fliehkräfte, so dass der A380 dann „gefühlt“ fast 1500 Tonnen schwer ist. Zur Simulation dieser Verhältnisse werden die Spitzen der Tragflächen beim Biegetest um 7,40 Meter nach oben gebogen. So soll das 1,5-fache der sogenannten Bruchlast unbeschadet überstanden werden. Doch beim 1,45-fachen gibt es Risse in den Flügeln. Das Problem wird durch zusätzliche Leisten als Verstärkung behoben.

Eine echte Herausforderung findet am 26. März 2006 auf Finkenwerder statt: der Evakuierungstest. Er muss bestanden werden, damit das Flugzeug seine Zulassung erhält. Die Vorgabe: Nach maximal 90 Sekunden haben alle 873 Menschen an Bord – darunter 20 Lufthansa-Mitarbeiter, die die Crew stellen – das Flugzeug über Notrutschen verlassen. Um die Bedingungen zu erschweren, ist es im A380 dunkel. Von den 16 Türen öffnen sich nur acht. Es gehört Mut dazu, sich aus dem acht Meter hohen Oberdeck in die Rutschen zu werfen. Nach 80 Sekunden sind alle raus. „Das ist eine Glanzleistung“, sagt Airbus-Chef Gustav Humbert. Ohne Verletzungen geht das zwar – wie üblich bei diesen Tests – nicht ab. Einige erleiden Brandwunden von der rasanten Rutschpartie, ein Mann bricht sich das Bein. Aber: Der Jet erhält seine Zulassung für 853 Passagiere.

Singapore Airlines freut sich schon auf den Riesen-Airbus. Nach einer ersten Verzögerung soll die Fluggesellschaft ihn im Sommer als Erstkundin erhalten. Doch die Auslieferung verschiebt sich immer wieder. Schuld sind die Kabelbäume, die in Hamburg eingebaut werden sollen. Sie sind wegen der Verwendung unterschiedlicher Software zu kurz und müssen nachgearbeitet werden. Erst am 15. Oktober 2007 kann die Airline den A380 in Empfang nehmen – der Begeisterung tut das keinen Abbruch.

„Neue Königin der Lüfte“

600 Gäste sind zur Zeremonie nach Toulouse gekommen. „Es gibt eine neue Königin der Lüfte“, sagt Singapore-Airlines-Chef Chew Choon Seng. Vor allem die luxuriöse Erste-Klasse-Suite zieht die Blicke auf sich. Rote Rosenblätter liegen auf dem Doppelbett mit cremefarbener Bettwäsche. Auf einem Tablett steht eine Flasche Dom Pérignon neben zwei Champagner-Gläsern. „Heute wollen wir feiern“, sagt Airbus-Chef Thomas Enders. Wohl wissend, dass einem Teil seiner Belegschaft nicht nach Party zumute ist. Schließlich sollen im Zuge des Sparpakets Power8 10.000 Stellen gestrichen werden. Der Konzern will die Kosten senken, die durch Kabelprobleme und steigende Entschädigungszahlungen an die Airlines durch einen mehrfach verzögerten Auslieferungsplan in Milliardenhöhe geschossen sind. Auf diesen Tag könnten aber alle Beschäftigten stolz sein, so Enders: „Heute beginnt ein neues Kapitel in der Luftfahrtgeschichte.“

Auch die Passagiere wollen an diesem Buchteil mitschreiben. Für den zehn Tage später stattfindenden kommerziellen Erstflug werden die Tickets bei Ebay versteigert. Der Geschäftsmann Julian Hayward blättert 73.000 Euro für zwei Erste-Klasse-Sitze auf den Tisch. „Ich bin jemand, der erst handelt und dann denkt“, sagt der 38-Jährige. Das Bewusstsein, Geschichte zu schreiben, sei es ihm wert gewesen. Zumal die Einnahmen aus dem Ticketverkauf – insgesamt fast eine Million Euro – karitativen Zwecke zu gute kommt. Hayward erhält dafür das Privileg, als Erster in Singapur an Bord zu gehen. Über den Wolken gibt es Champagner-Brunch sowie Hummerschwanz und Entenbrust. Nach 7,5 Stunden endet der Premieren-Linienflug mit einer Ehrenrunde über der Oper und der Landung in Sydney – Haywards Wohnort.

In der Luft gibt es zwei heftige Zwischenfälle

Die Produktion läuft hoch. Bei den ausgelieferten Maschinen fallen im Betrieb zunächst nur die üblichen Kinderkrankheiten an – bis zum 4. November 2010. Kurz nach dem Start in Singapur bricht an einer Qantas-Maschine eine Turbinenscheibe. Die Trümmerteile durchschlagen die Triebwerksverkleidung und schlagen in Rumpf und Flügel ein. Der in der Tragfläche untergebrachte Treibstoff fängt Feuer. Verschiedene Systeme fallen aus. Zwei Stunden lang lassen die Piloten Kerosin ab, ehe sie in Singapur zur Landung ansetzen. Vier Reifen platzen, aber das Manöver gelingt. Alle 469 Menschen an Bord überstehen das Unglück ohne Verletzungen. „Der Vorfall war dramatisch und hätte zum Absturz führen können“, sagt Luftfahrtexperte Heinrich Großbongardt: „Generell ist der A380 aber ein sicheres Flugzeug.“

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A380 fliegt ab Hamburg - der Riesenjet von innen

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    Auch wenn Anfang 2012 die nächste Fehlermeldung kommt. Ausgerechnet an dem Qantas-Flieger werden Haarrisse in Metallklammern gefunden. Diese verbinden die Flügelrippen mit der Außenhaut. Alle 68 in Dienst stehenden Maschinen müssen auf Anweisung der Europäischen Flugsicherheitsbehörde auf solche Risse überprüft werden. Airbus verkürzt daraufhin die Prüfintervalle für den Jet.

    Bei Passagieren ist er ungebrochen beliebt

    Im September 2017 gibt es bei einem Air-France-A380 einen ähnlichen Vorfall wie sieben Jahre zuvor bei Qantas. Triebwerksteile lösen sich, die Maschine muss notlanden, Verletzte gibt es nicht.

    Doch trotz dieser Probleme – bis heute ist die Begeisterung bei Passagieren für das Flugzeug ungebrochen. Wer die Wahl zwischen einem A380 und einem anderen Langstreckenflieger habe, fliegt A380, hört man immer wieder. Viele werden daher traurig sein, dass Airbus die Fertigung des größten Passagierflugzeugs 2021 einstellen will. Das mag an der schier unendlichen Größe liegen. Schließlich stehen rund 550 Quadratmeter „Wohnfläche“ zur Verfügung – das gibt es in keinem anderen Jet.