Hamburg. Genau vor zehn Jahren lieferte Airbus das größte Passagierflugzeug der Welt erstmals aus. Warum die Partylaune jetzt vorbei ist.
Der Jubel nimmt majestätische Züge an. „Es gibt eine neue Königin der Lüfte“, sagt Chew Choon Seng in Toulouse. Gerade hat der Chef von Singapore Airlines den weltweit ersten A380 übernommen – das größte Passagierflugzeug der Welt mit vielen Teilen made in Hamburg. In der Suite der luxuriösen Ersten Klasse sind zwei Doppelbetten untergebracht. Rote Rosenblätter liegen auf der cremefarbenen Bettwäsche. Auf einem Tablett steht eine Flasche Dom Pérignon neben zwei Champagner-Gläsern. Zeit zum Anstoßen. „Fliegen im Doppelbett“, titelt das Abendblatt. Airbus-Chef Tom Enders sagt: „Heute beginnt ein neues Kapitel in der Luftfahrtgeschichte.“ Es sei ein wichtiger Tag für Airbus, ein Tag, an dem alle Mitarbeiter stolz sein könnten. Dann gibt er das Motto des Tages vor: „Heute wollen wir feiern.“
An diesem Sonntag ist es auf den Tag genau zehn Jahre her, dass der damalige EADS-Konzern in seiner wichtigsten Sparte Airbus groß feiert. 600 Gäste sind zur Übergabezeremonie nach Südfrankreich angereist. Sie findet am 15. Oktober 2007 statt – mehr als 18 Monate später als geplant. Zwar sind Verzögerungen bei neuen Jets normal, die Probleme beim A380 stürzen allerdings den ganzen Konzern in eine Krise. Und eine Dekade nach der Erstauslieferung muss man feststellen: Die Maschine hinkt den Erwartungen hinterher. Der einstige Hoffnungsträger ist zum Ladenhüter geworden – doch der Reihe nach.
Maximal 605 Passagiere
Seit 1969 durfte sich Boeing mit dem Titel des größten Passagierjets schmücken. Maximal 605 Passagiere fasst die 747, standardmäßig werden aber nur rund 400 Sitze eingebaut. Rund 20 Jahre später gibt es bei den Europäern erste Überlegungen für ein Konkurrenzprodukt des legendären Jumbo-Jets. Mitte der 90er-Jahre werden die Pläne konkreter. In enger Kooperation mit rund 20 Fluggesellschaften tüftelt man an den Details des unter dem Namen A3XX laufenden Projekts. Als 50 Festbestellungen vorliegen, startet EADS am 19. Dezember 2000 das Programm offiziell. Weil die „8“ im wichtigen Markt Asien als Glückszahl gilt und sie den Doppelrumpf mit Sitzen auf zwei Ebenen symbolisiert, heißt die Maschine A380. Als Entwicklungskosten werden mehr als zehn Milliarden Dollar veranschlagt.
Das Rennen um die Endmontage gewinnt Toulouse. Dort werden bis heute alle Langstreckenjets des Konzerns zusammengebaut. Das Seitenleitwerk kommt aus Stade. Und auch Hamburg sichert sich umfangreiche Arbeitspakete. So erfolgt im Werk auf Finkenwerder die Kabinenausrüstung, die Lackierung und Auslieferung der Maschinen an Kunden in Europa und dem Nahen Osten. Die Start- und Landebahn wird extra verlängert – ein umstrittenes Projekt. Notwendig ist das für die geplante Frachterversion – die allerdings wird nie gebaut. Weitere Segmente stammen aus verschiedenen Werken in Europa – und das wird zum ersten großen Problem.
Verkabelungsprobleme stürzen Konzern in die Krise
Zwar wird im Sommer 2000 der EADS-Konzern gegründet, von integrierten Strukturen kann aber keine Rede sein. Deutlich wird das an den Verkabelungen. Die Entwicklungsingenieure nutzen keine einheitliche Software. Das hat fatale Folgen: Kabelschächte im Fußboden und der Kabinendecke passen nicht, sodass die in Toulouse angekommenen Sektionen neu ausgerüstet werden müssen. Dafür werden Tausende Zeitarbeiter eingestellt. Erst ab der Seriennummer 26 kommt die Verkabelung aus einem einheitlichen 3-D-CAD-System.
Es begann mit einem Kabeldesaster
Trotz aller Schwierigkeiten: Der Jungfernflug am 27. April 2005 gelingt. Drei Stunden und 54 Minuten liegen zwischen Start und Landung in Toulouse. Den Konzern kostet das Kabeldesaster, die gestiegenen Personalkosten, eine unzureichende Elektronik sowie Strafzahlungen und Preisnachlässe an die Airlines wegen verspäteter Auslieferung – auch weil den Airlines zu viel Luft für individuelle Details gelassen wurde – Milliarden. Auch wegen dieser Probleme wird das Sanierungsprogramm „Power 8“ beschlossen: 10.000 Stellen sollen gestrichen, sechs Werke verkauft werden, davon vier in Deutschland. Nicht zuletzt deshalb ist die Feierstimmung bei den Arbeitnehmern bei der Erstauslieferung an Singapore gedrückt. Enders räumt ein: „Wir haben die Komplexität des Flugzeuges unterschätzt.“
Bei Luftfahrtfans ist die Begeisterung aber hoch. Für den am 25. Oktober 2007 stattfindenden Erstflug von Singapur nach Sydney zahlt ein Passagier rund 70.000 Euro. Das Geld wird für einen guten Zweck gespendet. Zwar gibt es die üblichen Kinderkrankheiten eines neuen Modells, ernsthafte Vorfälle zunächst aber nicht – bis zum November 2010. Bei einem Qantas-Flug bricht kurz nach dem Start in Singapur eine Turbinenscheibe. Trümmerteile durchschlagen die Triebwerksverkleidung und die linke Tragfläche an vier Stellen. Der im Flügel untergebrachte Treibstoff fängt Feuer, erlischt aber wenig später wieder, wahrscheinlich von selbst.
Leistung der Piloten
Den Piloten gelingt es, die Maschine trotz des Ausfalls verschiedener Systeme in Schräglage sicher zu landen. Verletzt wird niemand. Die mit Rolls-Royce-Aggregaten angetriebenen A380 von Qantas, Singapore und Lufthansa werden vorübergehend stillgelegt und überprüft. Emirates und Air France sind nicht betroffen, weil sie andere Triebwerke nutzen. „Der Vorfall war dramatisch und hätte zum Absturz führen können. Das zu verhindern, war eine herausragende Leistung der Crew“, sagt der Hamburger Luftfahrtexperte Heinrich Großbongardt: „Generell ist der A380 aber ein sicheres Flugzeug.“
Daran ändert auch das nächste Problem Anfang 2012 nichts. Ausgerechnet an dem Qantas-Pannenflieger werden in Metallklammern Haarrisse gefunden. Diese Klammern verbinden die Flügelrippen mit der Außenhaut. Im Februar ordnet die Europäische Flugsicherheitsbehörde EASA an, dass alle 68 eingesetzten Jets auf solche Risse überprüft werden müssen.
Airbus verschätzt sich bei der Marktentwicklung
Die Produktion läuft hoch. Im März 2013 wird der 100. A380 an Malaysia Airlines ausgeliefert. Zwei Jahre später erreicht Airbus mit dem Programm operativ die Gewinnschwelle. Mit jedem jetzt ausgelieferten Flugzeug verdient man Geld – die hohen Entwicklungskosten sind damit aber noch nicht eingespielt. Experten bezweifeln, ob das jemals gelingen wird. Denn der A380 ist nicht so stark gefragt wie ursprünglich gedacht.
Der Flugzeugbauer hat sich bei der Entwicklung des Marktes verschätzt. Die Europäer gingen mit dem A380 die Wette ein, dass der Luftverkehr weiterhin vor allem zwischen den Drehkreuzen wächst. Nur auf Strecken zwischen diesen Hubs würde sich die maximal 853 Passagiere fassende Maschine bei einer hohen Auslastung für die Airlines rechnen. Dahinter steht die Annahme, dass die Start- und Landezeiten an den großen Airports immer knapper werden. Und tatsächlich stoßen die Kapazitäten an ihre Grenzen, nur haben die Fluglinien bisher anders reagiert als erwartet. Brachten früher kleinere Jets 50 bis 70 Passagiere zu den Flughäfen, sind es heute 100 bis 150. „Der Langstreckenbereich wächst stark mit direkten Verbindungen von großen in mittelgroße Städte“, sagt der Hamburger Luftfahrtexperte Cord Schellenberg. Die Kunden verlangen auf diesen Strecken aber ein tägliches Angebot. „Dafür ist das größte Passagierflugzeug der Welt schlichtweg zu groß.“
Boeing holt auf
Boeing entwickelte für solche Verbindungen damals den 787-„Dreamliner“, der 242 bis 330 Fluggäste fasst, und will in zwei Jahren die 777-X nachschieben. Airbus zog mit dem A350 hinterher, der vor vier Jahren seinen Erstflug absolvierte und in der normalen Bestuhlung 325 Passagieren Platz bietet. Hatte bisher eigentlich immer die größte Maschine den Vorteil, die geringsten Kosten pro Sitz zu bieten, machen nun die kleineren Konkurrenten aufgrund eines Technologiesprungs diesen Vorteil zunichte. Neue Triebwerke verbrauchen weniger Treibstoff, zumal die Flieger nur zwei statt vier Antriebe haben. Das traditionelle Baumaterial Aluminium wird an immer mehr Stellen durch Kohlefaserverbundwerkstoffe ersetzt, die leichter und wartungsärmer sind.
Die Fertigungsrate wirdum zwei Drittel reduziert
Letztlich machen Airbus und Boeing mit ihren neuen Maschinen den Markt für ihre Flaggschiffe kaputt. Die US-Amerikaner senken Anfang des vergangenen Jahres ihre Fertigungsrate pro Jahr von 15 auf sechs Stück. Die Europäer ziehen Monate später nach. Wurden 2015 noch 27 Maschinen vom Typ A380 ausgeliefert, sollten es ab 2018 nur noch zwölf pro Jahr sein. In diesem Sommer wird die Rate sogar auf acht Stück reduziert – operativ profitabel ist man damit nicht mehr.
Beide Hersteller haben ein gemeinsames Problem: Aufträge für neue Riesenjets sind Mangelware, bei Airbus ging die letzte Order 2015 ein. Offiziell stehen im Auftragsbuch noch rund 100 Maschinen. Darunter vermuten Experten aber viele Karteileichen. Um die Welt fliegen heute 216 Maschinen vom Typ A380, darunter 98 mit dem Logo von Emirates. Die Airline vom Golf ist mit Abstand größter Abnehmer und will noch weitere 44 Jets haben – drängt aber seit Jahren auf eine neo-Version mit neuen, mindestens zehn Prozent Sprit sparenden Triebwerken. Airbus scheut die Entwicklungskosten. Stattdessen stellt der Konzern im Juni das Konzept A380plus vor. Nach oben gebogene Flügelspitzen (Sharklets) sollen vier Prozent Treibstoff sparen. Auf das Oberdeck sollen vorne und hinten neue Treppen hinaufführen. Auf Gepäckfächer an den Kabinenwänden wird verzichtet. Durch diese und weitere Maßnahmen sollen 80 Sitze mehr Platz haben und die Kosten pro Passagier um bis zu 13 Prozent sinken – nur welche Airline kann diese Plätze dauerhaft verkaufen?
Mit neuen Konzepten werden in der Branche normalerweise gleich neue Kunden präsentiert – doch das bleibt aus. Für Großbongardt ist klar: „Das zeigt, wie gering das Interesse an diesem Flieger ist. Ich glaube, dass der A380 ein Auslaufmodell ist.“ Mit der Reduzierung der Fertigungsrate könne die Maschine bis in die 20er-Jahren hinein montiert werden. Aber neue Aufträge sieht er nicht. Paul Gregorowitsch, Vorstandschef von Oman Air, kam vor Kurzem zu einer ähnlichen Einschätzung. Für Airlines würde sich betriebswirtschaftlich eher der A350 oder Boeings „Dreamliner“ rechnen, sagt der Manager. „Ich glaube nicht, dass der A380 eine Zukunft hat.“
Airbus hofft auf Dutzende Bestellungen aus China
Bei Airbus sieht man das naturgemäß anders. „Wir sind davon überzeugt, dass es neue Bestellungen für den A380 geben wird“, sagte Airbus-Chef Enders Anfang Juli. Damals sammelte der Konzern gerade einen Großauftrag aus China ein. Dortige Fluglinien bestellten 140 Jets für rund 20 Milliarden Euro nach Listenpreis. Der größte Passagierjet der Welt, der offiziell für 436,9 Millionen Dollar angeboten wird, war aber nicht darunter. Bisher fliegen unter der roten Flagge mit den fünf gelben Sternen auch erst fünf Maschinen des Typs. Was Airbus Hoffnung macht? In China versechsfachte sich binnen zehn Jahren die Passagierzahl auf 120 Millionen.
Auch zukünftig wird dort großes Wachstumspotenzial gesehen. „Es sind viele Menschen vorhanden, die reisen wollen, Geld für Milliardeninvestitionen ist vorhanden, und es ist in dem Land prestigeträchtig, mit dem größten Flugzeug der Welt zu fliegen – mit Aufträgen in China könnte es klappen“, sagt Schellenberg. Das Unternehmen erwartet, in den nächsten fünf Jahren bis zu 100 A380 in ganz China verkaufen zu können. „Ich arbeite daran, einen Dominoeffekt zu kreieren“, sagte Airbus‘ China-Chef Eric Chen. Dass auf ihn viel Arbeit zukommt, weiß wohl auch sein oberster Chef. Enders: „Den A380 zu vermarkten, ist offenbar schwierig.“
Zumal die ersten alten Maschinen auf den Gebrauchtmarkt kommen. Die am 15. Oktober 2007 ausgelieferte Maschine fliegt mittlerweile nicht mehr für Singapore. Die Airline hat den zehn Jahre laufenden Leasingvertrag mit dem Eigentümer, dem Dortmunder Fondshaus Dr. Peters, auslaufen lassen. Das Fondshaus hat nun folgende Möglichkeiten: Es kann einen neuen Leasingnehmer finden oder die Maschine verkaufen. Beides halten Experten auf dem Markt für schwierig. Momentan steht der Jet im französischen Tarbes auf einem Flugplatz. Wahrscheinlich kommt es zur Zerlegung und dem Verkauf in Einzelteilen. Ein schneller Absturz binnen zehn Jahren. Der „neuen Königin der Lüfte“ droht der Schrottplatz.